Ist die FDP eine extremistische Partei?
Interview mit dem nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordnetem Rüdiger Sagel
Rüdiger Sagel ist Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen, der im Mai neu gewählt wird. Der Münsteraner war haushalts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen, von wo aus er 2007 zur Linkspartei wechselte. In der letzten Woche erregte er durch einen Erklärung Aufsehen, in welcher er die FDP "extremistisch" nennt.
Herr Sagel - Sie haben auf die Tagesordnung einer Plenarsitzung im nordrhein-westfälischen Landtag einen Punkt setzen lassen, in dem die Parteien dazu aufgefordert werden, nach der Wahl nicht mit den Liberalen zu koalieren, weil die FDP eine "extremistische Partei" sei. Wie kamen Sie zu dieser Einschätzung?
Rüdiger Sagel: Der Spiegel hat in seiner Ausgabe vom 18. Februar den Extremisten - so lautet auch die Überschrift - sogar einen ganzen Artikel gewidmet. Wenn ich mir die reale Politik der FDP anschaue, dann muss man konstatieren, dass wir hier von Seiten des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle eine Volksdiffamierung gegen sozial Schwache erleben. Wir erleben, dass die FDP das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes verletzt. Und in Nordrhein-Westfalen haben wir mehrfach erlebt, dass die NRW-FDP gemeinsam mit der CDU verfassungswidrige Gesetze erlassen hat. Die Verantwortung dafür auf Seiten des Innenministeriums ist bei Ingo Wolf, dem Innenminister der FDP. Es gibt dazu mehrere Verfassungsgerichtsurteile, die feststellen, dass verfassungswidrig gehandelt wurde. Zwei Urteile des Verfassungsgerichts in Nordrhein-Westfalen, und eines vom Bundesverfassungsgericht.
Dazu kommt auch, dass die FDP sich beharrlich weigert, ihre braune Vergangenheit zu verarbeiten. Ich habe selbst eine Studie in Auftrag gegeben, die untersucht hat, welche Abgeordneten eine nationalsozialistische Vergangenheit haben. Dabei hat sich herausgestellt, dass über 40 Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen ihre braune Vergangenheit nicht öffentlich gemacht haben, was in der vor zwei Jahren vom Landtag veröffentlichten Dokumentationen fehlt. Und es hat sich herausgestellt, dass sechs Fraktionsvorsitzende der FDP kontinuierlich seit dem Krieg bis in die siebziger Jahre hinein eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten. Das alles hat mich zu diesem Antrag bewegt.
Die Argumente mit den verfassungsfeindlichen Gesetzen und der nationalsozialistischen Vergangenheit treffen ja auch auf andere Parteien zu. Sind dann die Union, die SPD und die Grünen auch extremistisch?
Rüdiger Sagel: Ich habe am Mittwoch in einer Erklärung im Landtag gesagt, dass das natürlich nicht die FDP alleine ist, sondern dass auch die CDU verfassungswidrig gehandelt hat, dass es auch bei der CDU Verfassungsgegner gibt. Zum Beispiel hat der zuständige Finanzminister, Helmut Linssen von der CDU, zwei verfassungswidrige Haushalte in Umlauf gebracht, die dann von CDU und FDP beschlossen worden sind, was der Verfassungsgerichtshof in Münster - in meiner Heimatstadt - auch festgestellt hat.
Seit wann ist denn die FDP Ihrer Ansicht nach extremistisch? Oder war sie das schon immer?
Rüdiger Sagel: Es gibt bei der FDP sicherlich eine kontinuierliche Entwicklung. Wenn man sich das so ansieht, dann war die FDP in den siebziger Jahren wohl noch eine Partei, die für eine liberale Politik - vor allem im Rechtsbereich - gestanden hat. Das gilt auch noch in den achtziger Jahren. Es gab auch Innenminister wie Hirsch, Baum oder Personen wie Hildegard Hamm-Brücher - das waren sicherlich Menschen, die in der FDP für eine liberale Politik standen. Seit den neunziger Jahren können wir der FDP aber dabei zusehen, dass sie immer marktradikaler auftritt, dass sie Forderungen erhebt, die auch teilweise mit dem Grundgesetz im Konflikt stehen - insbesondere, was das Sozialstaatsprinzip angeht. Das haben wir zuletzt bei Herrn Westerwelle ganz massiv erlebt, als er von spätrömischer Dekadenz bei rund sieben Millionen Hartz-IV-Beziehenden gesprochen hat. Das macht auch sehr deutlich, dass es hier eine immer extremere Ausrichtung bis hin zu extremistischen Positionen innerhalb der FDP gibt. In Nordrhein-Westfalen ist das insbesondere der Fraktionschef Herr Papke, sowie auch der Innenminister Wolf, die diesen Kurs fahren.
Zu den extremen Positionen: Spielen für Ihre Sichtweise auch Gruppen wie die Libertäre Plattform eine Rolle?
Rüdiger Sagel: Da kann ich im Detail nichts dazu sagen. Ich mache meine Sichtweise daran fest, was ganz konkret auf Landesebene in Form des Auftretens der FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen passiert ist, und was ihr Vorsitzender Guido Westerwelle bundespolitisch in letzter Zeit von sich gegeben hat. Also habe ich einen Antrag formuliert, der sehr konkret die reale Politik aufgreift. Das ist alles belegbar, alles dokumentiert, und wie ich schon anfangs aus dem Spiegel zitiert habe, stehe ich mit dieser Meinung nicht alleine da.
Nun hat die FDP aber auch immer noch Mitglieder wie Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum. Sind die Ihrer Ansicht nach auch extremistisch?
Rüdiger Sagel: Nein, das sind sie nicht. Aber sie spielen auch in der aktuellen Tagespolitik bei der FDP keine Rolle, sondern andere Personen haben die Führung übernommen, wie die eben von mir genannten. Und die haben die FDP in eine andere Richtung gelenkt, als das in den siebziger und achtziger Jahren noch der Fall war.
Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass Ihre Haltung nur eine Retourkutsche ist. Nach dem Motto: Die FDP macht mit der Kommunistischen Plattform Wahlkampf gegen die Linkspartei, also mache ich mit extremen Gruppen innerhalb der FDP Wahlkampf gegen die FDP. Was sagen Sie dazu?
Rüdiger Sagel: Es gibt natürlich in Nordrhein-Westfalen einen harten Wahlkampf, das muss man schon deutlich konstatieren. Es ist in der Tat so, dass die FDP mit ihrem Innenminister Wolf an der Spitze nach wie vor die Linke hier in Nordrhein-Westfalen vom Verfassungsschutz überwachen lässt, was in anderen Bundesländern nicht der Fall ist - bzw. haben andere Bundesländer diese Praxis aufgegeben und auch ganz klar argumentiert haben, dass die Linke keine verfassungsfeindliche Partei ist. In Nordrhein-Westfalen hat man sich das Ganze offensichtlich von Anfang an vorbehalten - offensichtlich um hier gleichzeitig mit der Veröffentlichung des aktuellen Verfassungsschutzberichts Wahlkampf gegen die Linke zu betreiben.
Wenn man aber ganz konkret schaut, was die Linke in Nordrhein-Westfalen macht, dann muss man feststellen: Die Linke steht auf dem Boden des Grundgesetzes, die Linke steht auf dem Boden der Landesverfassung und die FDP handelt hier genau entgegengesetzt, indem sie gegen verschiedene Prinzipien der Bundes- wie der Landesverfassung immer wieder verstößt, wie das eben auch durch die vorher zitierten Urteile belegt ist. Im Grunde müsste sich der Verfassungsschutz gegen die FDP selbst wenden. Dabei möchte ich aber deutlich betonen, dass die Linke für die Abschaffung des Verfassungsschutzes in seiner jetzigen Form ist.
André Lichtschlag vom Zentralorgan der Deutschen Libertären, "Eigentümlich frei", schrieb auf der Webseite seines Magazins: "die libertären Liberalen stehen der demokratischen Staatsform skeptisch bis feindlich gegenüber" und meinte, dass der "deutsche Libertarianism" "bis in Teile der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung" hineinreiche und dass diese "inzwischen mehrere "eindeutig verfassungsfeindliche" anarchistische Bücher herausgegeben habe. Haben Sie eine Vorstellung davon, welche er gemeint haben könnte?
Rüdiger Sagel: Ich habe mich auf die aktuelle Praxis auf der politischen Bühne des Landtags und auf die bundespolitische Ebene bezogen. Also kann ich da nichts dazu sagen. Was Sie da aber gerade zitiert haben, das würde ja meine Feststellungen untermauern.
Wenn man das, was Sie an der FDP kritisiert haben, als extremistisch ansieht: Tabuisiert man dann nicht jedes Hinausdenken über die derzeitige Gesellschaftsform - und wäre man dann paradoxerweise genau dadurch nicht selbst verfassungsfeindlich?
Rüdiger Sagel: Es ist ja der Punkt, dass die FDP eine Spaltung der Gesellschaft betreibt. Und das ist sicherlich etwas, was auch unter staatspolitischen Gesichtspunkten mehr als fragwürdig ist. Denn wenn wir das hier erleben, dass der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle mit dem Vorwurf der spätrömischen Dekadenz diese Millionen von Hartz-IV-Leistungsbeziehenden diffamiert - also Leute, die oft unverschuldet in eine schwierige Situation gekommen sind - dann macht das wohl sehr deutlich, wie hier die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird und hier zu Wahlkampfzwecken missbraucht wird. Das ist etwas, was aus meiner Sicht in keiner Weise akzeptierbar ist.
Telepolis hat zu diesem Thema eine Umfrage gestartet: Welche Partei sollte von Verfassungsschutz beobachtet werden?