"Ist es Kunst?"

Über die Funktionsweise und Hintergründe von "name.space"

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Wie entstand name.space?

Das Projekt "name.space" geht zurück auf Gespräche während des internationalen Treffens für taktische Medien, "Next Five Minutes" in Amsterdam, Januar 1996. Es zeigt auch zugleich die Grenzen und Möglichkeiten dieses Ansatzes, der spezifisch ist für eine politische Medienkunst zum Ausgang der 80er Jahre, (mit im Kunstsystem etablierten Namen wie Barbara Kruger, Jenny Holzer, David Abalos, Group Material, Gorilla Girls) in seiner Ausdehung von Medien der Repräsentation auf Medien der Vernetzung. Es geht um das Ideal der selbstbestimmten Medien, als Freiräume, analog zum Besetzen von leerstehenden Häusern, unbenutzen Radiofrequenzen (Pirate Radio), oder dem Benutzen billiger Drucktechnolgie wie DTP und Xerox (Fanzines), bis hin zum Betreiben 'eigener' Plattenlabels und nicht zuletzt unangemeldeter Raves oder Fussballspielen.

Wie funktioniert name.space?

Paul Garrin benutzt bei Name.space ein gängiges Internet-Protokoll zur Verwaltung von Rechner-Namen namens DNS. Domain-Namen (z.B. www.heise.de) werden in eindeutige IP-Nummern (191.191.191.191) umgewandelt, durch die sich jeder Rechner im Netz von anderen unterscheidet. Jedes im Internet reisende Datenpaket identifiziert sich durch zwei IP Nummern, eine bezeichnet den Absender, die andere die Zieladresse. Domain-Namen dienen zuallererst nur der besseren Les- und Merkbarkeit durch Menschen, werden dann aber auch in HTML-Dokumenten verwendet. Die Domainnamen werden durch ein hierarchisch verschaltetes Netz von Domain-Name-Servern verwaltet. Gibt man z.B. GoTo URL www.heise.de/tp ein, so meldet sich ein Rechner und gibt eine Nummer zurück, mit der die Pakete 'wissen', wo sie hin sollen. Die Adresse eines Name-Servers ist darum selbst in der Regel nur eine IP-Nummer. Mit IP Nummern kommt das Netz problemlos klar. Wer sich Namen nicht merken kann und Zeit sparen will, wer aus gewissen Gründen keinen Domain-Namen hat, aber dennoch im Netz präsent sein will, benutzt gerne auch einfach die IP-Adresse.

Garrins's technischer Trick besteht nun darin, die offiziellen Namensserver durch einen Verbund von eigenen Namensservern zu ersetzen, indem er einfach Leute auffordert, statt oder zusätzlich zur der alten Name-Server Adresse den nahe gelegensten aus einer Liste von name.space-Servern zu benutzen. Dabei bilden die neuen Namen von name.space eine Untermenge der verfügbaren Namen im Internet. Name.space ist kompatibel mit dem Netz, aber nicht umgekehrt.

Die Umkehrung könnte auch bald möglich werden, wenn die Firma, die über die Name-Server an der Wurzel der Hirarchie schaltet und waltet, Pauls Server in ihre Liste aufnimmt. Eben dies versucht PGP Media nun, indem es Network Solutions auf Monopolbildung verklagt. Solange Garrin beweisen kann, dass sein System zuverlässig läuft, kann er versuchen, sich als Wettbewerber in das Netz von Nameservern einzuklagen, analog wie ehemals MSI gegen AT+T, wobei es ums Telephonnetz und die Weiterleitung von Anrufen (vor allem von Ferngesprächen) ging.

Heute baut Garrin mit seinen Programmierern, u.a. Andreas Tröger, an einem Script für dynamische Updates, das dafür sorgt, dass sich neue Namen, aber vor allem Top-Level-Namen, zwischen allen beteiligten Servern ausbreiten können.

Die Relevanz von name.space

Die Grenzen einer solchen Taktik liegen in ihrem Selbstwiderspruch angesichts immanenter Strategien, gilt es doch, die sich in Technologie festgeschriebenen totalitären Machtverhältnisse wie Kapitalismus und Staat zu bekämpfen, indem man ihnen andere Ideale gegenüberstellt, auch wenn man sich in diesen Systemen bewegt und Teil davon ist. Bei der Frage der Kommerzialisierung zeigt sich oft, wie vehement die Spaltung zwischen Sein und Bewusstsein, zwischen Zielen und Erfolgen, sich vollzogen hat. Heute 1997, hat das Modell "taktische Medien" einen Beigeschmack wie zu den 80er Jahren der Begriff der Subversion. Wir können nun auf eine Anzahl an Beispielen zurückblicken, denen ein gewisses Gerade-Aus-der-Mode-sein anhaftet, insbesondere was die Benutzung von Medien betrifft. Paul Garrin hat den Sprung von der Videokunst zu den vernetzten Medien frühzeitig vollzogen. Sein Server-Projekt www.mediafilter.org ist etwa seit Mitte 94 Online, womit eine Haupteigenschaft der taktischen Medien in Nachbarschaft zum Innovationsbussiness gekennzeichnet ist. 'Geschwindigkeit ist Gott, Zeit ist der Teufel' (eine Silicon Valley Weisheit, so sagt man).

Paul Garrin's Mischkonzept basiert auf einer Umwendung von Einnahmen durch mögliche Namensregistrierungen zu Gunsten von politisch oder anderweitig 'kritischem' Inhalt, d.h. andernorts 'zensierten' Informationen, wobei er auf der Ebene der Monopolisierung der Namensvergabe im Internet selbst beginnt. Der Nebeneffekt einer solchen 'revolutionären' Strategie liegt jedoch offensichtlich darin, dass eine Form von Zentralisierung durch eine andere, wenn auch zu Anfang mehr symbolisch/imaginäre ersetzt wird. Name.space ist weitgehend identisch mit dem Namen Paul Garrin. Entscheidungen und Erweiterungen des Projektes waren bisher durch "einsame Entscheidungen" gekennzeichnet und nicht durch die im Internet traditionellen Ideale der 'offenen Standards' und ihrer kollaborativen, evolutiven Erweiterung. (Standards wie FYI, RFC, FAQ)

Garrin versteht unter "Free Media" die Durchsetzung und Verteidigung des Konzeptes der "Sichtbarkeit" und "Öffentlichkeit", dem er "Staatliche Institutionen" und "Privatisierung" gegenüberstellt. Beides, die Ausübung von Macht durch Abwesenheit und Unsichtbarkeit, sowie das Abziehen von sozialen Kräften durch ihre Einschliessung in Eigentumsverhältnisse, macht aus "Free Media" ein 'krypto-marxistisches' (Ken Wark) Projekt. Angestrebt ist die Enteignung privatisierter Namens-Märkte und die Überführung in den 'öffentlichen Raum' des idealerweise allgemein zugänglichen Netzes. Aber Garrin geht es vor allem um pragmatische Ziele. Unter der Gefahr, die gesamte kritisch-links-alternativ-hippe Computerkulturszene vor den Kopf zu stossen, realisiert er sein Projekt nicht nur nach Art des genialisch-manischen Einzelkünstlers, sondern auch des erfolgreich-arbeitsbesessenen Alleinunternehmers. Garrin weiss als Medienarbeiter genau, dass durch Persönlichkeiten wie ihn der amerikanische Technik-Mythos gefüttert wird, und genau hier öffnen sich ihm auch die unbewussten Pforten, zumindest was die Medienpräsenz angeht. Zuletzt erscheint name.space als ein erfolgreiches Vermittlungsprojekt zwischen Internet und Printmedien. (Artikel in Die Zeit, Planet, Economist, New York Times) sowie als Versuch, über den kulturellen Resonanzraum der europäischen Netzkritik (nettime) eine andere Basis als die der technofetistisch-libertären 'Californian Ideology' zu finden. Auffallend ist, dass das Projekt bei technisch unversierten aber kulturell kompetenten Usern auf Zustimmung, bei Administratoren, Spezialisten und Techies aber meist auf Ablehnung stösst. Womit wir bei der Hauptfrage angelangt sind, die vor allem "Hacker" bisher davon abgehalten hat, das Projekt ernst zu nehmen.

"Ist es Kunst?"

fragte Heiko Recktenwald auf de.netzwesen.
Bei der Ausweitung und Aufweichung eines überkommenen Medienkunstbegriffes kann name.space die meisten Punkte einstreichen. Das Projekt kann durch seine symbolische Vielschichtigkeit, ohne weiteres als 'Kunst' funktionieren, hat diese Benennung aber nicht zur Existenzbedingung. Sofern es technisch bzw. politisch scheitert, hat es zumindest auf produktive Weise Fragen aufgeworfen, die vorher keine pragmatisch-politische Ebene kannten. z.B. die Kernfrage "wer regiert das Netz?". Schliesslich meldete sich nun die US Regierung, um dem stockenden Legalisierungsprozess der IANA (dem mehr oder weniger selbsternannten Komittee zur Reformierung der Domain-Names, welche auch die Firma NSL vertritt, welche wiederum im 'Besitz' der Haupt-Domainnamen ist) auf die Sprünge zu helfen.

Eine Frage bleibt jedoch, ob sich nicht bessere Strategien denken lassen, ausgehend von der Ebene, die Garrin als pragmatisch-ästhetische eröffnet hat. Nun, zuerst - er war nicht der erste, in mittlerweile geschichtlichen Fällen kam es dazu, dass Domainnamen wie MTV.com oder MCDONALDS.com sich im Privatbesitz einzelner Personen befanden. Es dauerte eine Weile, bis die Internic/NSL anfing, Gerichtsbeschlüsse anzuerkennen, die die 'unrechtmässige' Benutzung von markengeschützten Domainnamen untersagte. Das Problem ist nun ein 'taxonomisches'. Die Aufteilung der Top-Level-Domains innerhalb eines marktgerechten Wissensbaums ist nicht fein genug, als dass zwei branchenfremde Firmen mit dem selben Namen gleichzeitig auf dem Netz existieren könnten.

Während Garrin gleich einem Sturm und Drang-Poeten eine totale De-hierarchisierung und De-territorialisierung der technischen Namensräume fordert, wobei er auf die Herausbildung einer Unzahl an 'Klassen' hofft, setzen die IANA auf ein Modell des kontrollierten Mangels (sieben neue TLDs). Andere Drittanbieter wie Alternic kalkulieren etwa 20.000 TLDs, wobei jede einzelne im Besitz eines Domainnamenverwalters läge...

Die Frage nach der zukünftigen Gestaltung des Namensraums im Internet nimmt nun immer grössere Formen an (siehe die Vorschläge der IAHC). Deutlich ist, daß spätestens dann, wenn die US Regierung die Regelung des DNS Problems übernimmt und damit den Mühlen der Justiz und der Verhandlung in internationalen Gremien unterwirft, die Frage aufzuwerfen wäre, ob nicht längst andere, nämlich eher ästhetische Strategien für Name.space aussichtsreicher wären:

  1. Umbenennung des Netzes (Erweiterung durch Name-space ist optional und ermöglicht den Zugriff auf Sites durch ein logisch-taxonomisches System (z.B. a-find für www.altavista.digital.com)
  2. Lokale Netzdialekte (Name-server in einer Stadt verbinden sich und benutzen lokale Nicknames für längere bekannte Sites. Ein schwäbisches Netz, ein sächsisches...)
  3. Squatting von unbenutzten Top Level Domains (es gibt sie..)
  4. Benutzung von IP Adressen (üblich bei "Hackern" und "Warez"-Szene)

Lesen Sie auch das Email-Interview zwischen Pit Schultz und Paul Garrin.