Italien: Ausschluss einer Großen Koalition - mit Hintertür

Paolo Gentiloni und Matteo Renzi. Foto: Governo Italiano. Lizenz: CC BY 3.0

Der sozialdemokratische Ministerpräsident Gentiloni bringt einen Zerfall des Forza-Lega-Fratelli-Bündnisses nach der Wahl ins Spiel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 4. März wird in Italien ein neues Parlament gewählt. Das dafür gültige neue Wahlsystem sieht vor, dass 39 Prozent der Unterhaussitze nach dem Mehrheitswahlrecht und 61 Prozent nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden. Für den Senat ist die Verteilung ähnlich. Hier kommen aber noch Sitze für ältere Politikveteranen hinzu, an die diese (ähnlich den Lords im britischen Oberhaus) ohne Wahl kommen.

Wegen des nach dem Mehrheitswahlrecht ermittelten Anteils haben sich mehrere Parteien bereits vor der Wahl zu Koalitionen mit gemeinsamen Kandidaten zusammengeschlossen: Die regierende sozialdemokratische Partito Democratico (PD) hat dafür die christdemokratischen Civica-Popolare-Parteien, die grüne Federazione dei Verdi, die Partito Socialista Italiano, die EU-Euphoriker von Più Europa, die Südtiroler Volkspartei und mehrere andere Regionalparteien gewonnen.

Silvio Berlusconis Forza Italia kooperiert (wie in den 1990er Jahren schon einmal) mit der Lega, der Alleanza-Nazionale-Nachfolgepartei Fratelli d’Italia und mehreren Splitterparteien. Ein drittes Bündnis, das Chancen hat, ins Parlament zu kommen, ist die von der Linkspartei Sinistra Italiana (SI) angeführte Koalition Liberi e Uguali (LeU).

Umfragegewinner und -verlierer

Der Tecné-Umfrage vom 22. Januar nach würde die MoVimento 5 Stelle (M5S) mit 27 Prozent und einem Zugewinn von 1,4 Punkten stärkste Partei vor der PD, die in der Umfrage im Vergleich zum letzten Wahlergebnis 3,1 Punkte verliert und auf nur mehr 22,3 Prozent kommt. Die von Beppe Grillo gegründete "Fünf-Sterne-Bewegung" wirbt im aktuellen Wahlkampf nicht mehr mit einem Ausstieg aus dem Euro, sondern mit einer Abschaffung der Rundfunkgebühren.

Die Forza Italia würde mit 3,4 Punkten sogar noch stärker als die PD verlieren und bei 18,2 Prozent landen. Größter Dazugewinner wäre der Umfrage nach mit einem Plus von achteinhalb Punkten und insgesamt 12,6 Prozent die Lega. Sie verzichtet inzwischen auf das "Nord" im Namen und konzentriert sich im aktuellen Wahlkampf weniger auf mehr Selbständigkeit für die Regionen als auf Probleme im Zusammenhang mit Kriminalität und Migration.

Auf EU-Ebene will sie die Grenzsicherungsbemühungen des neuen österreichischen Kanzlers Kurz unterstützen und auf nationaler Ebene verspricht sie eine Abschiebeoffensive. Schlagzeilen macht die Partei aktuell aber vor allem mit ihrer Forderung, die in den 1950er Jahren von den Christdemokraten geschlossenen Bordelle wieder zu erlauben, um dem Organisierten Verbrechen auf diese Weise einen wichtige Geschäftsbereich und viel Geld zu entziehen.

Absolut gemessen leichtere aber prozentual gesehen höhere Zugewinnen würden mit drei Punkten auf 6,2 Prozent die Liste Liberi e Uguali und mit 3,4 Punkten auf 5,4 Prozent die Fratelli d’Italia verbuchen. Größter Verlierer wäre die um 8,1 Punkte auf 2,8 Prozent abgestürzte christdemokratisch geführte Liste Noi con l'Italia, die sich für die Wahl mit Berlusconi verbündet hat. Die EU-Euphoriker von Più Europa würden mit 1,8 Prozent Stimmenanteil aber noch deutlich dahinter landen.

Koalitionen

Misst man nach Koalitionen, läge das Forza-Lega-Fratelli-Bündnis bei Tecné mit 39,2 Prozent klar vor der partnerlosen M5S und dem sozialdemokratisch geführten Regierungsbündnis, das mit 26,3 Prozent nur auf dem dritten Platz landen würde. Die Meinungsforscherkonkurrenz von EMG sah das Regierungsbündnis am 21. Januar mit 28,1 Prozent zwar vor der dort ebenfalls 27 Prozent starken M5S - aber auch hier liegt es weit hinter dem 37,7 Prozent starken Forza-Lega-Fratelli-Bündnis.

Auf ein diesen Umfragen nach gut mögliches Parlament ohne klare Mehrheit angesprochen schloss der sozialdemokratische Ministerpräsident Paolo Gentiloni gestern auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos eine Regierungszusammenarbeit mit der von Silvio Berlusconi angeführten Konkurrenz aus, ließ sich aber eine mögliche Hintertür offen, indem er anfügte, er glaube nicht, dass das Forza-Lega-Fratelli-Bündnis Bestand habe, weil die drei beteiligten Parteien zu unterschiedlich seien: Die Forza Italia sei eine konservative Partei, die anderen beiden "Anti-EU-Populisten". Da nicht Gentiloni, sondern der vor ihm amtierende und nach einer Niederlage in einem Verfassungsreferendum zurückgetretene Matteo Renzi Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ist, dürfte die Aussage des Ministerpräsidenten nach der Wahl aber ohnehin nicht letztausschlaggebend sein.

Seiner offiziellen Meinung nach glaubt Gentiloni angeblich, dass seinem Bündnis trotz des Rückstands in den Umfragen noch ein Sieg gelingen kann, weil sich die italienische Wirtschaft mit einer Anhebung der Wachstumsvorhersage des Weltwährungsfonds von 0,7 auf 1,6 Prozent auf dem Wege der Besserung befinde und auch andere Kennzahlen auf eine positive Entwicklung hindeuten würden.

Gelingt es Silvio Berlusconi, im Parlament eine Mehrheit unter Führung seiner Partei zu bilden, muss er wegen eines Steuerstrafurteils gegen ihm bis zum August 2019 warten, um den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen zu können. Es sei denn, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt seiner Klage dagegen statt, bevor die Bußfrist abgelaufen ist. Wer ihn vertreten soll, verrät der 81-Jährige noch nicht, meint aber, er habe einen "super Kandidaten".