Italien: Eine Regierung der Herrschaft der Märkte oder des demokratischen Willens?
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Bei den nächsten italienischen Wahlen muss sich zeigen, ob es noch eine Linke jenseits von EU und nationalem Kapitalismus gibt
Im letzten Herbst ist in Deutschland eine Regierung aus Union, FDP und Grünen gescheitert, weil zumindest die beiden liberalen Parteien noch nicht gemeinsam bundesweit regieren können. Das braucht wohl noch etwas Zeit. In Italien allerdings haben sich die beiden größten Gewinner der letzten Wahlen nach einigen Wochen auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen können.
Es handelt sich um unterschiedliche Varianten rechten Populismus. Sie hatten sich auch nicht über das Personal zerstritten und auch ihre Mehrheit stand nicht infrage, nachdem in einer Online-Befragung eine große Mehrheit der Fünf-Sterne-Bewegung für diese Koalition votierte.
Dass die Regierung nicht ihr Amt antreten kann, liegt daran, dass der Präsident als Interessenvertreter des deutsch-europäischen Blocks agierte und dem von den beiden Parteien vorgesehen Finanzminister Paolo Savona die Zustimmung verweigerte. Der hatte es tatsächlich gewagt, die Konstruktion des Euro zu kritisieren und über Alternativen zumindest nachzudenken.
Deshalb ist es eine begriffliche Lüge, wenn überall behauptet wird, dass die Regierungsbildung in Italien gescheitert ist. Nein, sie ist von einem Präsidenten verhindert worden, der sich zum Interessenvertreter der Sparer erklärte und der sich im Zweifel eher auf die Unruhe an den Märkten als am Mehrheitswillen ausrichtet.
Dass Mattarella nun einen ehemaligen IWF-Direktor zum Ministerpräsidenten ernannte, zeigt noch einmal, wo das Interesse des Präsidenten liegt. Denn Carlo Cottarelli stellt die Märkte zufrieden und EU-Vertreter hoffen, dass nun eine EU-freundliche Regierung in Italien gebildet werden kann. Allein, Cottarelli hat die Unterstützung vom Präsidenten, von der EU und von den Märkten, aber nicht vom italienischen Parlament.
Daher müsste es wohl spätestens im September zu Neuwahlen kommen, falls da nicht doch noch Mittel und Wege gefunden werden, die Regierung ohne Mehrheit länger im Amt zu halten.
"Die Märkte werden die Italiener lehren, richtig zu wählen"
Nun scheinen die beiden Rechtsparteien gar nicht so traurig zu sein, vorerst die Regierung nicht bilden zu können. Das zeigt sich daran, dass sie nicht bereit waren, den vom Präsidenten inkriminierten Finanzminister zu ersetzen. So kann man die kommende Wahl zur Abstimmung darüber machen, ob die Bevölkerung oder die Märkte, bzw. der deutsche EU-Block, die italienische Politik bestimmen.
Vor allem die Lega Nord kann nach Prognosen Stimmen zulegen und so sogar vor der Fünf-Sterne-Bewegung stärkste Partei werden. Mag sein, dass der Wahlkampf das fragile Verhältnis der beiden Rechtsparteien wieder zerrüttet. Doch vielleicht kann die alte Rechte, dass Bündnis aus Lega Nord und Berlusconi, der nun auch wieder offiziell in der Politik mitmischen kann, sogar alleine regieren?
Wenn nun der EU-Haushaltskommissar Oettinger ganz offen seine Überzeugung verbreitet, dass die Märkte den italienischen Wählern zeigen werden, wie man richtig wählt und dafür von Spiegel-Online Zustimmung erfährt, ist das natürlich eine perfekte Wahlkampfhilfe für die italienische Rechte aller Couleur. Deswegen hat er sich nachher auch halbherzig entschuldigt. Schließlich muss ein deutscher Kommissar nicht so offen sagen, wer die Macht in Europa hat.
Was dann der Spiegel-Online Redakteur aber selbst zur Debatte beisteuert, liest sich wie eine Neuauflage der Kampagne gegen die "Pleitegriechen":
Es ist die Taktik, die Populisten gern benutzen: die Verdrehung der Wahrheit in ihr Gegenteil. Lega und 5 Sterne wollen Italien eine stark verrückt wirkende Finanzpolitik verordnen, fordern dazu von der EU schamlos den Erlass von Hunderten Milliarden Euro an Schulden und versprechen ihren Wählern ebenso schamlos, Italien in eine Art Ferienkolonie zu verwandeln, für deren Bewohner Milch und Honig fließen. So zumindest lesen - oder besser, lasen - sich Teile des Regierungsprogramms beider Parteien.
Markus Becker, Spiegel-Online
Wie im Falle Griechenlands haben sich vor einigen Tagen auch schon einige wirtschaftsliberale Ökonomen zur Verteidigung der Deutsch-EU gemeldet.
Macht sich die italienische Linke zum Interessenvertreter der Märkte?
Doch ob die Rechte in Italien bei der nächsten Wahl noch zulegt, ist noch nicht ausgemacht. Das wird auch davon abhängen, wie sich die italienische Linke positioniert. Wenn sie sich weiter als Sprachrohr der Märkte und der Deutsch-EU versteht, ist das die beste Wahlkampfhilfe für Rechts.
Von der Formation um Mario Renzi, der ja eigentlich als guter italienischer Partner der Deutsch-EU vorgesehen war, ist gar nichts zu erwarten. Seine Partei ist heute nicht mal mehr als sozialdemokratisch zu verorten, sondern gleicht den Clinton-Demokraten in den USA.
Doch es gibt jenseits der großen Parteien in Italien aktive Basisgewerkschaften und Stadtteilgruppen wie das Kollektiv Malaboca im Westen Mailands, die sich vor Ort für die Verbesserung der Lebenslage vieler einkommensschwacher Menschen einsetzen.
Für sie gibt es kaum einen Unterschied zwischen den linken Parteien, die sich auch mal spalten, um dann doch wieder gemeinsam zu koalieren, wenn es um Macht und Pfründe geht. Sie wissen aber auch, dass die Fünf-Sterne-Bewegung und mehr noch die Lega Nord, wenn sie sich gegen den deutschen Einfluss auf Italien wenden, nur einen autoritären nationalen Kapitalismus propagieren.
Schließlich hat die Lega Nord, da wo sie regierte, vor allem in Norditalien, Logistikfirmen den roten Teppich ausgelegt und mit niedrigen Steuern und schlechten Arbeitsverhältnissen eine Politik betrieben, die von vielen internationalen Unternehmen als vorbildlich gepriesen wird.
Was diese Bedingungen für die Beschäftigten bedeuten, zeigt der Film "Die Angst wegschmeißen", in dem die Regisseurinnen Johanna Schellhagen und Rosa Cannone den jahrelangen Arbeitskampf meist migrantischer italienischer Logistikarbeiter im Norden Italiens dokumentieren.
Die Kampfbereitschaft ist bisher die Ausnahme, nicht aber die dort dokumentierten Zustände. Sklavenähnliche Verhältnisse in Süditalien zeigt der preisgekrönte Film "Eldorado" von Markus Imhoof, der kürzlich in die Kinos kam. Wer in der Dokumentation sieht, welche Strapazen die Migranten bei ihrer Überfahrt nach Europa auf sich nehmen, kann nur der Überzeugung sein, dass keinem Menschen eine solche Behandlung zumutbar ist.
Doch Imhoof zeigt, dass die Hölle für viele Migranten in ihrem Sehnsuchtsort Europa nicht vorüber ist. Gemeinsam mit einem Gewerkschafter besucht er Flüchtlinge in einem Barackendorf in Süditalien, in dem sklavenähnliche Zustände herrschen. Es gibt in dem Film aber auch Zeichen der Ermutigung, wenn einige der Beschäftigten in den Streik treten wollten, weil sie nicht bezahlt wurden.
Hier könnten die Grundlagen einer linken Bewegung wieder neu entstehen, die nichts zu tun hat mit den Wahlparteien, die sich links nannten und wirtschaftsliberale Politik gemacht haben.