Italien: "Jetzt beginnt die Phase des Zusammenlebens mit dem Virus"

Conte stellt Schritte zur Lockdown-Lockerung vor, Haushaltsdefizit steigt auf über zehn Prozent

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Nachdem die offizielle Zahl der Corona-Toten in Italien gestern mit 260 so niedrig lag wie seit sechs Wochen nicht mehr, verkündete der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte in einer Fernsehansprache den Beginn einer "Phase des Zusammenlebens mit dem Virus". In dieser Phase soll das wirtschaftliche und soziale Leben schrittweise wieder hochgefahren werden.

Die Industrie, die Baustellen und der Großhandel sollen in dieser Phase als erstes wieder zu laufen beginnen, nämlich ab dem 4. Mai. Der nicht lebensnotwendige Einzelhandel soll ihnen am 18. Mai folgen. Für diesen Tag ist auch eine Wiedereröffnung der Bibliotheken, der Museen und der öffentlichen Grünflächen vorgesehen. Friseure und Gaststätten müssen auf den Neubeginn ihres Broterwerbs noch zwei Wochen länger warten: bis 1. Juni.

Im September sind dann die italienischen Lehrer und Schüler dran, deren Ferien in diesem Jahr recht lang, aber dafür möglicherweise auch etwas langweiliger ausfallen werden. Noch gar keinen Termin gibt es bislang für religiöse Veranstaltungen, die unter anderem in Südkorea und im Iran maßgeblichen Anteil an der Ausbreitung der Seuche hatten (vgl. Covid-19: Religionen begünstigten Ausbreitung wahrscheinlich).

Staatlich festgesetzte Preisobergrenze für Schutzmasken

Damit die Lockerung des Lockdowns nicht wieder zu einem steilen Anstieg der Ansteckungs- und Sterbezahlen führt, hatte die italienische Verkehrsministerin Paola De Micheli bereits am Samstag Maßnahmen verkündet, die für mehr Infektionsschutz sorgen sollen: Arbeitgeber, die keine Home-Office-Option anbieten können, sollen parallel zur Lockerung des Lockdowns die Präsenzzeiten lockern, um die Nutzung des besonders problematischen öffentlichen Nahverkehrs zu entzerren. Und in den Ein- und Ausgängen dieser Verkehrsmittel sollen die Fahrgäste durch Absperrungen und "Einbahngassen" Gesichtskontakt vermeiden.

Conte selbst betonte gestern, dass die Lockerung an der Einhaltung der weiterhin geltenden Distanzregeln und dem Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit hängt. Den Preis für letztere will er auf maximal 50 Cent begrenzen. Ob so ein Eingriff in die Preisbildung mit der Realität von Angebot und Nachfrage kollidiert, wird sich zeigen: Der deutsche Linksparteichef Bernd Riexinger musste vor wenigen Tagen seine Kritik am deutlich darüber liegenden Schutzmaskenpreis von Trigema zurücknehmen, nachdem ihm das Unternehmen die Kalkulation vorlegte.

Gigantisches Konjunkturprogramm soll "einen neuen Frühling" bringen

Kurz vor der Präsentation seiner Pläne zur Lockdown-Lockerung hatte Conte der Repubblica in einem Interview gesagt, dass eine weitere Verlängerung des seit Anfang März geltenden Lockdowns nicht möglich sei, weil "ansonsten zu heftige Schäden im sozialen und wirtschaftlichen Bereich" drohten.

Diesen Schäden will die italienische Regierung mit "Hilfspaketen" für Unternehmen entgegentreten, die dafür sorgen, dass das Haushaltsdefizit von zuletzt 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf mindestens 10,4 Prozent dieses Werts steigen wird. So ein hohes Haushaltsdefizit gab es in Italien zuletzt Anfang der 1990er Jahre, als das Land noch die Lira als Währung und eine sehr hohe Inflationsrate hatte. Die Regeln der Eurozone, in die Italien später aufgenommen wurde, sehen eigentlich vor, dass ein Haushaltsdefizit drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf.

Die am Wochenende von Ministerratssekretär Riccardo Fraccaro via Facebook bekannt gegebenen 55 Milliarden Euro Coronahilfen, die das italienische Haushaltsdefizit auf über zehn Prozent ansteigen lassen, dürften aber noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: Im März hatte die italienische Regierung nämlich schon ein Unternehmenskreditabsicherungsprogramm in Höhe von 340 Milliarden Euro und am 7. April ein 400 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm in Aussicht gestellt, das Italien Contes Worten nach "einen neuen Frühling" bringen soll.

Es wäre das bislang größte in der Geschichte des Landes. 200 Milliarden davon sollen den Export wieder ankurbeln, der derzeit brachliegt. Nicht, weil Italien keine weltmarktfähigen Güter produzieren würde, sondern wegen des Lockdowns. In Deutschland warten Bauunternehmer beispielsweise seit Wochen auf Baggerschaufeln aus Italien, die wegen der Seuchenbekämpfungsmaßnahmen dort nicht geliefert werden können. Das bremst nicht nur die Wertschöpfung in Italien aus, sondern auch die in anderen Ländern.