Italien: Koalition aus M5S und Sozialdemokraten statt sofortiger Neuwahlen?
Abgeordnete von Parteien, deren Umfragewerte Verluste in Aussicht stellen, könnten versucht sein, die Legislaturperiode auszuschöpfen
Theoretisch könnten sich die italienischen Senatoren und andere Politiker im Land südlich der Alpen heute einen schönen Sonntag gönnen, weil Parlamentsferien sind. Praktisch werden viele von ihnen eifrig telefonieren und sich auf andere Weise austauschen. Das liegt auch daran, dass der Senat nächste Woche die Parlamentsferien unterbricht, damit die Kammer über ein Misstrauensvotum der Lega gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Giuseppe Conte entscheiden kann.
Das wollte die Lega eigentlich schon letzte Woche, am 13. August - aber bei der Festsetzung des Termins wies ihr bisheriger Koalitionspartner M5S indirekt darauf hin, dass er auch weiterregieren könnte, wenn er sich einen anderen Koalitionspartner als die Lega sucht: Die M5S-Senatoren stimmten nämlich gemeinsam mit denen der Sozialdemokratischen PD für eine Behandlung am 20. August.
Ob M5S und PD an diesem 20. August erneut zusammen abstimmen und das Misstrauensvotum der Lega abweisen, ist offen. Wahrscheinlicher ist, dass die PD den als Kompromisskandidaten für M5S und Lega ausgesuchten parteilosen Ministerpräsidenten Conte erst einmal stürzt. Damit spielt sie den Ball zum Staatspräsidenten Sergio Matarella, einen ihrer Parteigenossen. Der hat dann die Möglichkeit, vor einer Genehmigung vorgezogener Neuwahlen erneute Sondierungsgespräche zwischen den Parteien im Parlament zu führen.
Renzi will eher als Zingaretti, aber Grillo will nur ohne Renzi
Bei solchen Sondierungsgesprächen könnte die M5S nach über einem Jahr Regierung mit der Lega zu einem Schritt bereit sein, den sie im letzten Jahr nicht gehen wollte: Eine Koalition mit der PD. Ihr Gründer Beppe Grillo brachte so eine Zusammenarbeit auf seinem Blog indirekt ins Spiel, als er Neuwahlen ablehnte und meinte, man müsse Italien "vor den Barbaren schützen". Damit meinte er der Ansicht von italienischen Medien nach die wahrscheinlichen Wahlsieger Lega, Forza Italia und Fratelli d'Italia.
Eine Voraussetzung für so eine Zusammenarbeit ist für Grillo, dass dabei der vorerst letzte sozialdemokratische Regierungschef Matteo Renzi keine Rolle spielen wird. Er hatte nach dem sich anbahnenden Sturz der Regierung Conte als erster in der PD öffentlich umgeschaltet und im Corriere della Sera eine Zusammenarbeit mit der M5S ins Spiel gebracht. Wenn überhaupt, möchte Grillo stattdessen mit Renzis Nachfolger Nicola Zingaretti verhandeln lassen, den aktuellen Vorsitzenden der PD. Der jedoch wies Renzis Vorstoß einer Zusammenarbeit mit der M5S vorerst zurück.
Aktuell verfügt die M5S über 216 und die PD über 111 der insgesamt 630 Abgeordneten in der Camera dei Deputati. Im 320-köpfigen Senat hätten die beiden Parteien mit 107 und 51 Senatoren eine absolute Mehrheit, wenn sie Unterstützung aus der achtköpfigen Autonomistenfraktion um die Südtiroler Volkspartei oder aus der 14-köpfigen PD-Abspaltung Liberi e Uguali (LeU) bekommen.
Ob es solche möglichen Mehrheiten nach einer Neuwahl noch gäbe, ist fraglich: Den aktuellen Umfragen nach kann die M5S dabei nämlich nicht mehr mit 32,6, sondern nur noch mit 16,5 bis 18,2 der Stimmen rechnen. Die würden auch dann nicht mehr für eine Koalition mit der PD reichen, wenn sich die Sozialdemokraten von 18,7 auf die aktuell vorhergesagten 22,4 bis 23,4 Prozent steigern.
Koalition der Umfrageverlierer?
Diese Umfragen dürften M5S-Parlamentarier zum Nachdenken darüber verlocken, ob ihnen das Behalten ihrer Bezüge bis 2023 nicht einen Wechsel des Koalitionspartners wert ist. Eine Zusammenarbeit zwischen M5S und PD ist allerdings nicht die einzige Alternative zu Neuwahlen: Angesichts der programmatischen Unterschiede zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber doch denkbar wäre auch, dass sich die M5S mit Silvio Berlusconi und seiner in den Umfragen ebenfalls abgestiegenen Forza Italia auf ein Aussitzen der Legislaturperiode verständigt.
Diese nicht ganz ausgeschlossene Option ist ein Pfund, mit dem Silvio Berlusconi bei seinen aktuellen Wahlvorbereitungsverhandlungen mit Matteo Salvini und der Fratelli d'Italia-Chefin Giorgia Meloni wuchern kann. Salvini schweben bei Neuwahlen nämlich gemeinsame Listen vor, auf denen sich neben Lega- auch Forza-Italia- und Fratelli-d'Italia-Kandidaten finden. Diese Vorabverteilung von Macht möchte der langjährige ehemalige Regierungschef verhindern.
Weitermachen ohne Conte?
Eine ebenfalls nicht ganz ausgeschlossene Alternative zu Neuwahlen ist, dass sich Lega und M5S erneut zu einer Regierungszusammenarbeit zusammenraufen: Landwirtschaftsminister Gian Marco Centinaio, der der Lega angehört, hatte dazu am Mittwoch gemeint, er "würde niemals eine Tür ganz zuschlagen". Skeptischer gab sich der M5S-Capo Di Maio, der am Tag darauf auf seinem Facebook-Profil postete, nachdem der Schaden angerichtet sei, müsse jetzt jeder "sein Schicksal selbst in die Hand nehmen".
Noch fraglicher als eine erneute Zusammenarbeit zwischen M5S und Lega ist, dass diese erneut mit Giuseppe Conte als parteilosem Ministerpräsidenten geschieht. Er hatte Salvini zuletzt vorgeworfen, vom Thema Migration "besessen" und zu wenig kompromissbereit zu sein, worauf hin der Innenminister am Donnerstag antwortete, er sei in der Tat "besessen von der Sicherheit [s]einer Bürger, die [s]ein Gehalt bezahlen": "Ich bekenne mich also zu meiner 'Schuld', lieber Ministerpräsident, zu meiner 'Besessenheit" bei der Bekämpfung aller Arten von Straftaten, der illegalen Einwanderung mit eingeschlossen".
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