Italiener beantragen massenhaft neue Grundsicherung

Römische Sesterze mit Kaiser Nero auf der Vorder- und der Getreideverteilungsgöttin Annona mit ihrem Füllhorn auf der Rückseite. Foto: CNG. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Genaue Ausgestaltung immer noch unklar

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Seit gestern können in Italien Arbeitslose, arme Rentner und Geringverdiener mit einem Jahreseinkommen unter 9.360 Euro eine staatliche Grundsicherung beantragen (erstmals in der Geschichte des Landes, wenn man die Annona-Civica-Getreideverteilungen in der Antike und ähnliche Maßnahmen nicht zählen lässt). Voraussetzung dafür ist, dass sie Italiener oder Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedslandes sind. Andere Ausländer haben nur dann einen Anspruch, wenn sie seit mindestens zehn Jahren legal in Italien leben.

Alleine gestern Vormittag wurden etwa 80.000 Anträge gestellt, obwohl viele Annahmestellen wegen des großen Andrangs erst einmal nur solche wollten, bei denen der Name des Antragstellers mit dem Buchstaben A oder B beginnt. Die anderen Buchstaben sollen in den nächsten Tagen und Wochen folgen. Ausgezahlt wird die Grundsicherung über eine am 4. Februar vom M5S-Capo Luigi di Maio präsentierte Debit-Karte, deren Guthaben verfällt, wenn es bis zum Monatsende nicht aufgebraucht wurde.

Erstes Geld soll kurz vor der Europawahl zur Verfügung stehen

Das erste Geld soll Beziehern Ende April oder Anfang Mai zur Verfügung stehen - also kurz vor der Europawahl am 26. Mai, bei der die italienischen Wähler über 76 der insgesamt 705 Sitze entscheiden. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) hofft, dass ihr dann die Grundeinkommensbezieher die Durchsetzung dieser Maßnahme danken werden (Vgl. M5S verbündet sich für Europawahl mit Anti-Establishment-Parteien aus Polen und Kroatien).

Über die genaue Ausgestaltung der Grundsicherung wird allerdings noch gestritten. Der Regierungsentwurf hat zwar den Senat passiert, aber noch nicht das Abgeordnetenhaus. An der Summe in Höhe von maximal 780 Euro für einen Alleinstehenden ändert sich wohl nicht mehr viel. Dazu hat die M5S viel zu sehr mit dieser Zahl geworben. Gut möglich sind allerdings weitere Maßnahmen gegen Missbrauch, die viele Lega-Abgeordnete fordern.

Neue App zur Arbeitsvermittlung

Bereits beschlossene Maßnahmen gegen Missbrauch sind die Verpflichtung zur Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie zu gemeinnütziger Arbeit. Außerdem werden Personen, die drei ihnen angebotene Arbeitsstellen ablehnen, vom Bezug ausgeschlossen. Die zweite angebotene Arbeitsstelle darf dabei bis zu 250 Kilometer vom Wohnort entfernt sein, die dritte kann an einem beliebigen Ort in Italien liegen. Kündigt ein sonst Bezugsberechtigter oder ein Familienmitglied von ihm eine Arbeitsstelle selbst, gilt eine zwölfmonatige Sperre, während der die Grundsicherung nicht ausgezahlt wird.

Für die Vermittlung von Arbeitsstellen hat die Regierung 6.000 neue Stellen eingerichtet. Dabei helfen soll den neuen Arbeitsvermittlern eine App, die der vorher in den USA tätige neue Chef der Arbeitsagentur Anpal letzte Woche vorstellte. Sie soll dafür sorgen, dass die Behörde mit 552 Außenstellen bald mehr als die bisherigen drei Prozent der Einstellungen in Italien vermittelt.

Prüfungen erst nach Genehmigung der Anträge

Gezahlt wird die Grundsicherung maximal 18 Monate lang, danach können Bedürftige aber einen neuen Antrag darauf stellen. Für Familien gelten geringere Grundsicherungssätze als für Alleinstehende: Ein Ehepaar mit einem Kind bekommt maximal 1.080 Euro, eine mit drei Kindern höchstens 1.280.

Besitzt jemand ein Haus, in dem er selbst wohnt, muss er das bei einem Grundeinkommensbezug nicht verkaufen. Dafür bekommt er weniger Geld, weil er ja keine Miete zahlen muss. Andere Immobilien sind erst dann ein Bezugshindernis, wenn sie über 30.000 Euro wert sind. Ob die von Antragstellern gemachten Angaben stimmen, soll die italienische Renten- und Sozialkasse INPS überprüfen. Sie hat angekündigt, diese Prüfungen nicht vor, sondern erst nach der Genehmigung der Anträge vorzunehmen.

Die Lega, die mit der M5S koaliert, setzt vor der Europawahl auf ein anderes Vorhaben, mit dem sie hofft, Wähler zu gewinnen: Sie hat im Abgeordnetenhaus eine Strafrechtsnovelle durchgesetzt, die Richter daran hindern soll, das Recht auf Notwehr zu sehr einzuschränken (vgl. Münchner Urteile gegen Zivilcourage). Das kommt nicht nur in Umfragen gut an, sondern nutzte der Partei auch bei den letzten Regionalwahlen: In Sardinien, wo sie am 25. Februar das erste Mal kandidierte, kam sie aus dem Stand auf acht Sitze, womit sie zusammen mit der sozialdemokratischen PD stärkste Kraft im Parlament ist.

Hier paktiert sie nicht mit der M5S (die es aus dem Stand auf sechs Mandate schaffte), sondern mit der sechs Sitze starken Forza Italia, den drei Mandate starken Fratelli d'Italia, der drei Mandate starken christdemokratischen Unione di Centro (UdC) und sechs sardischen Regionalparteien mit insgesamt 15 Abgeordneten. Dieses Bündnis sorgte dafür, dass Christian Solinas von der Regionalpartei Partito Sardo d'Azione (PSd'Az) Regionalregierungschef wurde.

In der Region Abruzzen wurde die erstmals angetretene Lega kurz vorher mit aus dem Stand 27,52 Prozent sogar klar stärkste Kraft. Hier hatte sie zusammen mit ihren alten Verbündeten Forza Italia und Fratelli d'Italia den siegreichen Fratelli-Kandidaten Marco Marsilio unterstützt. Die M5S verlor bei dieser Wahl 1,2 Punkte auf 20,2 Prozent (vgl. Italienischer Innenminister hält Verkauf von Goldreserven für eine "interessante Idee").

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