Ja - Nein - Ich entscheide mich später
Der Deutsche Ethikrat diskutiert über die Äußerungspflicht zur Organspende
Seit der Nierenspende von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier an seine Frau ist das Thema Organspende wieder präsent. Diskutiert wird dabei nicht nur, wie sich die Zahl der Organspenden erhöhen lässt, sondern auch die so genannte Äußerungspflicht. Sollte sie gesetzlich eingeführt werden, müsste jeder Deutsche zu Lebzeiten entscheiden, ob er einer Organentnahme zustimmt oder nicht. Allerdings dürfte man dann auch entscheiden, dass man sich noch nicht entscheiden möchte oder die Entscheidung einem Stellvertreter überlassen. Was man beim Thema Äußerungspflicht zur Organspende grundsätzlich bedenken sollte, wurde auf einer Podiumsveranstaltung des Deutschen Ethikrats in Berlin diskutiert.
Befürworter der Äußerungspflicht könnten sich vorstellen, dass man die Entscheidung an die Ausstellung von Dokumenten wie Führerschein oder Krankenversichertenkarte koppelt: darauf würde dann direkt vermerkt, ob der Inhaber Organspender ist oder nicht. Wer die Auskunft verweigert, bekäme dann auch kein Dokument oder würde anderweitig sanktioniert. Ob eine solche Äußerungspflicht verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre, wird von Experten allerdings angezweifelt, unter anderem deshalb, weil jeder das Recht hat, über den eigenen Tod nicht nachzudenken.
In einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind 74 Prozent der Befragten grundsätzlich bereit, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden. Praktisch jedoch tragen nur rund 25 Prozent der Befragten einen Organspendeausweis bei sich. Wobei man auf einem Spenderausweis auch ankreuzen kann, dass man einer Organentnahme nicht zustimmt. Was passiert also, wenn jemand stirbt, der keinen Organspendeausweis bei sich trägt? Wie soll man wissen, ob er für oder gegen eine Entnahme seiner Organe war?
Voraussetzung für eine Organspende ist die Feststellung des so genannten Hirntods durch zwei unabhängige Ärzte, die nichts mit der Transplantation zu tun haben. Dass es eine ernstzunehmende Diskussion darüber gibt, ob der Hirntod tatsächlich gleichzusetzen ist mit dem Tod eines Menschen, macht die Entscheidung für die Angehörigen nicht leichter. Denn der Hirntote ist noch warm, die Haut ist rosig, und das Herz kann noch jahrelang weiterschlagen. Man denke nur an den ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, der seit Januar 2006 im Koma liegt und in Gestalt einer Wachspuppe ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt ist.
Die Angehörigen dürfen mutmaßen
Hat der Hirntote keinen Organspendeausweis und ist sein Wille auch nicht anderweitig dokumentiert, etwa in einer Patientenverfügung, kommt in Deutschland die so genannte "erweiterte Zustimmungsregelung" zur Anwendung. Dann entscheiden die nächsten Angehörigen oder eine andere dem Toten nahestehende Person, und zwar basierend auf dem "mutmaßlichen Willen des Verstorbenen". Für die Angehörigen ist die Frage nach der Organentnahme eine zusätzliche Belastung, deshalb scheuen viele Ärzte davor zurück. Zumal es immer wieder Angehörige gibt, die ihre Entscheidung zutiefst bereuen. Prominentes Beispiel ist der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel, der nach dem Unfalltod seiner damals 20-jährigen Tochter einer Organentnahme widersprochen hatte und sich später Vorwürfe machte. Hätte er mehr Zeit gehabt und hätte er sich mit seiner Frau und den anderen Kindern beraten können, wäre die Entscheidung womöglich anders ausgefallen.
Auch der umgekehrte Fall ist bekannt: Angehörige fühlen sich schuldig, weil sie einer Organentnahme zugestimmt haben, bei der die körperliche Unversehrtheit des Verstorbenen zwangsläufig verletzt wird und die darüber hinaus möglicherweise gegen dessen Willen erfolgte. So beschreibt Renate Greinert in ihrem Buch Unversehrt sterben, wie sie nach einem schweren Unfall ihres damals 15-jährigen Sohnes einer Organentnahme zustimmte, ohne die Tragweite ihrer Entscheidung zu kennen.
Die Organe meines Sohnes wurden über Europa verteilt. Der Anblick meines ausgeschlachteten Kindes hat mich zutiefst entsetzt und empört.
Renate Greinert
Der Aufstieg des nicht-idealen Spenders
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) setzt deshalb auf so genannte Koordinatoren, Transplantationsspezialisten, die vor Ort mit den Angehörigen sprechen. Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen, dass die Bereitschaft zur Organspende steigt, je mehr Koordinatoren es gibt. So arbeiten in Spanien, wo es mit 34,4 Organspenden pro Million Einwohner europaweit die höchste Spenderate gibt, über 500 Koordinatoren - bei knapp 47 Millionen Einwohnern. In Deutschland sind es 14,9 Spenden pro Million Einwohner - bei rund 82 Millionen Einwohnern. Deutschlandweit gibt es 1346 Krankenhäuser und 50 Transplantationszentren - und 68 Koordinatoren. Niemand soll bedrängt werden - aber man möchte auch keine Chancen verpassen. Aktuell leben in Deutschland rund 12.000 Menschen, die auf eine Organtransplantation warten, und jedes Jahr sterben rund 1.000 Patienten, weil zu wenig geeignete Spenderorgane zur Verfügung stehen. Diese Zahlen sind seit einigen Jahren stabil. Um die Versorgungslücke zu füllen, werden immer häufiger "nicht ideale Spender" akzeptiert, die man früher aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands abgelehnt hätte.
Vor diesem Hintergrund wird auch die Lebendspende immer häufiger. Wobei Organe von jüngeren Spendern eine längere Lebensdauer haben, und selbst die müssen nach einigen Jahren durch ein neues Spenderorgan ersetzt werden. So leben sowohl Rennfahrer Niki Lauda als auch Christine Vranitzky, die Frau des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, bereits mit der zweiten Spenderniere, die sie als Lebendspenden von nahen Angehörigen bekommen haben.
In Österreich und zahlreichen anderen europäischen Ländern gilt für die Organentnahme nach dem Tod die so genannte "Widerspruchsregelung". Hat man einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, zum Beispiel durch eine Meldung im zuständigen Widerspruchsregister, können Organe zur Transplantation entnommen werden. Einzelne Länder, wie Belgien und Norwegen, haben eine Widerspruchsregelung mit einem Einspruchsrecht der Angehörigen. Eine weitere Variante ist die "Informationsregelung", wie sie in Frankreich und Schweden zur Anwendung kommt:
Auch hier geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Bereitschaft zur Organspende bei fehlendem Widerspruch zu Lebzeiten aus. Allerdings müssen die Angehörigen in jedem Fall über die geplante Entnahme unterrichtet werden. Ein Einspruchsrecht steht ihnen jedoch nicht zu.
Transplantationsgesetz
Für Deutschland soll es keine Widerspruchsregelung geben
In Deutschland gibt es kein zentrales Melderegister. Wer einen Organspendeausweis hat und was darauf eingetragen ist, ist nirgendwo festgehalten. Deshalb empfiehlt das Bundesministerium für Gesundheit, sich gegenüber nahen Angehörigen und Freunden schon zu Lebzeiten zum Thema zu äußern. Entsprechende Verfügungen im Testament sind wenig sinnvoll, weil dieses in der Regel erst geöffnet wird, wenn es für eine Organentnahme zu spät ist. Auch kann man seine Eintragungen im Organspendeausweis jederzeit ändern oder den Ausweis komplett vernichten, wenn man seine Meinung geändert hat. Dann allerdings sind die Angehörigen im Ernstfall auf Mutmaßungen angewiesen.
Da es mehr als unwahrscheinlich ist, dass sich eine Äußerungspflicht in Deutschland gesetzlich verankern lässt, plädieren einzelne Politiker wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für eine Einführung der Widerspruchsregelung in Deutschland. Die Bundesärztekammer lehnt dies vehement ab, weil allein schon die Diskussion über diese Gesetzesänderung die Organspendebereitschaft senken könnte. Auch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, der seit seinem Medizinstudium einen Organspendeausweis bei sich trägt, in dem er sich zur Organspende bereit erklärt, ist gegen die Widerspruchslösung:
Weil die Bereitschaft zur Organspende nicht gesetzlich verordnet werden kann und darf. In dieser Frage gibt es aus meiner Sicht nur einen Weg: Sie müssen die Menschen überzeugen.
Philipp Rösler
Doch wie soll diese Überzeugungsarbeit ohne moralischen Druck ablaufen? Die in Regensburg lehrende Philosophin Weyma Lübbe, Mitglied des Deutschen Ethikrats, hält die Argumentation des Ethikrats in seiner Stellungnahme von 2007 für höchst problematisch. Bereits der Titel "Die Zahl der Organspenden erhöhen - Zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland" zeige, was das eigentliche Ziel der Debatte um die Äußerungspflicht sei.
Mangelnder Respekt vor Nicht-Spendern
Nach ihrer "Auffassung, kommen die aktuellen Kommunikationsverhältnisse einer massiven öffentlichen moralischen Nötigung gleich, sich zur postmortalen Organspende bereitzuerklären. In dieser Lage eine Äußerungspflicht zu etablieren, mit der offiziellen Botschaft, dass jedermann selbstverständlich auch 'Nein' sagen dürfe, und das auch gar nicht weiter erläutern müsse, das ist der Inbegriff einer Doppelbotschaft. Auf Doppelbotschaften reagieren die vernünftigsten Leute mimosenhaft. Ich schlage daher vor, dass die öffentliche und politische Debatte - bevor man irgendwelche Pflichten zum Zweck der Steigerung des Organaufkommens etabliert - zunächst einmal klärt, ob man eigentlich noch Respekt vor Nicht-Spendern hat, und wenn ja, warum."
Damit endete ihr Vortrag. Begonnen hatte die Veranstaltung des Ethikrates mit einer Einführung durch den ehemaligen Justizminister und aktuellen Vorsitzenden des Rates Edzard Schmidt-Jortzig. Auch er wies darauf hin, dass man bei der Debatte ganz grundsätzliche Fragen stellen müsse, etwa die: "Warum wird das Funktionsversagen von Organen heute nicht mehr als gottgewolltes Schicksal hingenommen, als gottgegebenes Zuendegehen des Lebens oder jedenfalls der Gesundheit? Wahrscheinlich doch, weil uns einfach die medizinische Wissenschaft, aber auch die medizinisch-chirurgische Fähigkeit Möglichkeiten an die Hand gibt, hier weiter in menschlicher Verantwortung zu agieren als das bisher möglich war, und da muss dann auch wahrscheinlich das ethische Urteil sich fortentwickeln oder zumindest darauf reagieren.
Man sieht: inhaltlich steht die Debatte noch ganz am Anfang, praktisch jedoch sind die Weichen gestellt. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, dass der eigene Körper nach dem Tode so behandelt wird, wie man sich das vorstellt, sollte sich also schon jetzt per Organspendeausweis oder Patientenverfügung und im Gespräch mit Angehörigen für Klarheit sorgen. Ganz ohne Zwang. Formulierungshilfen gibt es unter anderem auf der Website des Bundesjustizministeriums.
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