Jagd nach Erdgas: Wenn Krieg nicht gleich Krieg ist
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Energie und Klima – kompakt: Die Klimakrise klopft immer lauter an die Tür, aber Deutschland will vor allem Erdgas, auch wenn es Kriege gegen Jemen oder Armenien finanziert.
Klimakrise ist, wenn Europa den heißesten Sommer seit mindestens Beginn der Satellitenaufzeichnungen hinter sich hat und in Südfrankreich nach vier Hitzewellen Mitte September erneut das Thermometer auf über 40 Grad klettert sowie schon wieder Waldbrände entfacht werden.
Oder wenn die Küstenstadt Seattle auf einmal die weltweit am stärksten schadstoffbelastete Luft hat, weil im Westen der USA eine rekordverdächtige Zahl von Wald- und Buschbränden wütet. Oder wenn in Pakistan weite Teile des Landes überflutet und 33 Millionen Menschen, rund 15 Prozent der Bevölkerung, obdachlos geworden sind.
Das UN-Büro für die Koordination Humanitärer Hilfe sprach bereits Anfang des Monats von mindestens 1265 Todesopfern, eine Zahl, die inzwischen weiter gestiegen ist. Für die Versorgung der besonders Bedürftigen würden 160 Millionen US-Dollar (159,2 Millionen Euro) benötigt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief am vergangenen Freitag die internationale Gemeinschaft zu massiver Unterstützung angesichts "dieser Klimakatastrophe" auf. Die Bundesregierung hat bisher einen Betrag im einstelligen Millionen-Bereich überwiesen. Weniger als 0,1 Promille des kürzlich beschlossenen Aufrüstungspakets.
Wechselwirkungen und Kipppunkte
Für Klimawissenschaftler kommt diese Zunahme von Katastrophen und immer neuen Temperaturrekorden wenig überraschend. Schon 2011 hatte der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen des Klimawandels (IPCC; Intergovernmental Panel on Climate Change) in einem Sonderbericht über Risiken und Anpassungsmaßnahmen gewarnt, dass mit der globalen Erwärmung auch die extremen Wetterlagen zunehmen und die Gesellschaften sich darauf vorbereiten müssen. Inzwischen gibt es sogar Hinweise, dass die auch damals schon diskutierten Kipp- bzw. Umschlagpunkte, an denen das Erdsystem aus den Fugen gerät und in einen anderen Modus übergeht, sogar noch näher liegen, als bisher gedacht.
Das geht aus einer neuen Studie hervor, an denen unter anderem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung beteiligt waren, wo man sich bereits seit den 2000er Jahren mit diesem Aspekt beschäftigt. Das Erdsystem aus Atmosphäre, Ozeanen, Eis und Schnee, Landoberfläche und Biosphäre ist geprägt durch zahllose Wechselwirkungen und verhält sich im Zuge äußerer Einflussnahme oft hochgradig nichtlinear. Das bedeutet, dass Veränderungen oft eher sprunghaft als gleichmäßig ablaufen und dass es verschiedene Bereiche gibt, in denen schon kleine Verschiebungen ein Umschlagen oder einen unumkehrbaren Prozess verursachen, der kaum noch aufzuhalten ist.
Ein Beispiel dafür ist das Eisschild in Grönland. Schrumpft es in Folge höherer Temperaturen, dann senkt sich sein Gipfel ab. Immer größere Flächen des Eises geraten dadurch in die Abtauzone, in den Bereich von Temperaturen über null Grad Celsius, wie sie an den Küsten der Rieseninsel im Sommer nicht unüblich sind. Irgendwann ist ein Punkt überschritten, in dem das Eis verschwinden wird – egal, ob eine weitere Erwärmung vermieden werden kann oder nicht.
Es gibt eine ganze Reihe solcher Beispiele. Einige Kipppunkte könnten schon bald erreicht werden, wie die oben erwähnte Studie zeigt – möglicherweise bereits unter den Bedingungen des gegenwärtigen, gegenüber dem vorindustriellen Niveau um etwa 1,1 Grad Celsius wärmeren Klimas. Dazu zählt u.a. das Grönländische Eisschild, dessen verschwinden den Meeresspiegel um sechs bis sieben Meter steigen lassen würde.
Ein anderer akuter Fall ist das Auftauen der Permafrostböden im Norden Amerikas und vor allem Eurasiens. Die Böden enthalten gewaltige Mengen organischen Materials und gespeicherten Methans. Zersetzt sich jenes oder entweicht das Methan, dann gelangen weitere Treibhausgase in die Atmosphäre, die die Erwärmung zusätzlich verstärken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von einer positiven Rückkoppelung.
Wir sehen bereits Anzeichen für eine Destabilisierung in Teilen der westantarktischen und grönländischen Eisschilde, in Permafrostgebieten, im Amazonas-Regenwald und möglicherweise auch in der atlantischen Umwälzzirkulation. Die Welt ist bereits von einigen Kipppunkten bedroht. Wenn die globalen Temperaturen weiter ansteigen, werden weitere Kipppunkte möglich. David Armstrong McKay, Studien-Hauptautor vom Stockholm Resilience Centre, der Universität Exeter und der Earth Commission
Die Analyse des internationalen Forscherteams deutet darauf hin, dass die Erde bereits einen "sicheren" Klimazustand verlassen haben könnte. Selbst das Ziel der Pariser Klimaübereinkunft, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, könnte womöglich nicht ausreichen, um einen gefährlichen Klimawandel vollständig zu vermeiden.
Seit wir 2008 zum ersten Mal Kipppunkte des Klimas abgeschätzt haben, ist die Liste gewachsen, und unsere Einschätzung des Risikos, das sie darstellen, hat sich drastisch erhöht. Unsere neue Arbeit liefert zwingende Beweise dafür, dass die Welt die Dekarbonisierung der Wirtschaft radikal beschleunigen muss, um das Risiko des Überschreitens von Klima-Kipppunkten zu begrenzen. Tim Lenton, Ko-Autor, Direktor des Global Systems Institute an der Universität Exeter und Mitglied der Earth Commission