Jagd nach Erdgas: Wenn Krieg nicht gleich Krieg ist
Seite 2: Gute Despoten
Derweil hat die westliche Welt, die sich so gerne mit der internationalen Gemeinschaft verwechselt, andere Sorgen. Die pakistanische Flutkatastrophe ist eher eine Randnotiz, die Hungerkrise in Ostafrika sowieso und die Klimakrise ist in Berlin, Brüssel oder Washington für die Regierenden noch immer kein auf den Nägeln brennendes Thema.
Es interessiert derart wenig, dass der hiesige grüne Wirtschaftsminister ganz scharf darauf zu sein scheint, Frackinggas aus den USA einzukaufen, und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Gasverträge mit Aserbaidschan abschließt. Jenes Land, das erst 2020 Armenien überfallen und sich Teile umstrittenen, von Armeniern besiedelten Territoriums angeeignet hat.
So viel, wie in letzter Zeit von Freiheit, Völkerrecht und Selbstbestimmung die Rede ist und bei all den Rufen nach immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, damit diese ihre Freiheit verteidigen kann, wobei zugleich viele Menschen sterben, könnte man meinen, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten endlich von ihren schlechten Gewohnheiten Abschied genommen haben, Militärdiktaturen, Angriffskriege, Staatsstreiche und völkerrechtswidrige Annexionen zu unterstützen.
Doch der Eindruck täuscht. Mitte Juli hatte die EU einen Gas-Deal mit der Regierung in Baku abgeschlossen, wie von der Leyen stolz auf Twitter verkündete. Dieser nach Worten der EU-Chefin "vertrauenswürdige Partner" hatte zuvor 2020 mit massiver Unterstützung des Nato-Landes Türkei einen Angriff gegen Armenien geführt, will erklärtermaßen zumindest einen Teil der armenischen Bevölkerung aus den eroberten Gebieten vertreiben und war erst durch russische Vermittlung zu einem erneuten Waffenstillstand zu bewegen.
Doch der ist offensichtlich hinfällig. In der Nacht von Montag auf Dienstag griff Aserbaidschan nach Aussagen der armenischen Regierung mit schwerer Artillerie und Drohnen erneut an. Die britische Zeitung Guardian zitiert armenische Stellungnahmen, wonach 49 armenische Soldaten getötet worden seien. Die Rede ist auch von Bombardements grenznaher Städte in Armenien.
Geliefert werden die aserbaidschanischen Waffen übrigens meist aus der Türkei, einem Nato-Mitglied, das immer noch jede Erwähnung des osmanischen Völkermords an Armeniern massiv unterdrückt. Was die Medien hierzulande, ganz um Neutralität bemüht, einen seit Jahrzehnten andauernden Konflikt nennen, begann in den 1980ern, in der Endzeit der Sowjetunion, mit Pogromen gegen Armenier, mit denen sich die aserbaidschanische Führung die Macht im Lande und den Zugriff auf deren Öl- und Gasreichtum sichern wollte. Heute regiert – bereits seit 2003 – der Sohn von Heydar Alijew, ehemals hochrangiger Geheimdienstler und Mitglied der sowjetischen Führung, der frühzeitig sein Felle in Sicherheit gebracht hatte und von 1993 bis 2003 Präsident Aserbaidschans war.
Sicherlich ist Alijew Junior, der zeitweise verschiedene deutsche Staatssekretäre und Bundestagsabgeordnete auf der Gehaltsliste hatte, ein würdiger Gasverkäufer, mindestens einer vom Kaliber katarischer Emire, vor denen deutsche Grüne schon gerne einmal Dienern. So ist das halt, wenn man sich über Nacht von unliebsamen Autokraten unabhängig machen will. Dann muss man sich eben sympathischere Autokraten suchen. Nicht wahr?
Investitionsruinen
Doch zurück ins Inland. In Hamburg geht der dortige Senat, das heißt, die Landesregierung, weiter davon aus, dass das Kohlekraftwerk Moorburg "schnellst möglich" abgerissen wird. Die beiden 827-Megawatt-Blöcke waren ab 2007 gebaut worden und erst 2015 in Betrieb gegangen. Kostenpunkt: drei Milliarden Euro. Geplant waren ursprünglich 1,7 Milliarden Euro, schreibt dieser Tage der NDR.
Gegen den Bau hatte es seinerzeit massive Proteste der Klimaschutzbewegung gegeben, gegen die wiederum die hanseatische Polizei 2008 mit großer Härte und mit illegalen Methoden vorging. Alles um in einer auch damals schon bemerkbaren Klimakrise ein Kohlekraftwerk durchzusetzen, das zudem absehbar eine Investitionsruine werden würde.
Nach fünf Jahren verlustreichen Betriebs zog Vattenfall 2020 schließlich die Reißleine. Im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes wurde die Stilllegung beantragt, die im Juli vergangenen Jahres erfolgte. Als Stilllegungsprämie gab es vermutlich etwas über 100 Millionen Euro. Telepolis hat im Dezember 2020 die Geschichte des Moorburg-Kraftwerks noch einmal ausführlich Revue passieren lassen.
Da das Kraftwerk zudem nicht in die Reserve aufgenommen wurde, hat Betreiber Vattenfall bereits Teile der Anlage verkauft und abtransportiert, unter anderem einen großen Transformator, sodass die derzeit von verschiedenen Seiten aufgrund der hohen Gaspreise geforderte erneute Inbetriebnahme nicht möglich ist.
Wer kassiert die Extra-Gewinne?
Übrigens: Die hohen Preise an der Strombörse führen inzwischen dazu, dass mit Solar- und Windstrom richtig gut Geld zu machen ist. Das kommt allerdings meist nicht, wie der Stammtisch raunt, den Anlagenbetreibern zugute. Vor allem nicht den Besitzern von kleinen Solaranlagen auf den Dächern.
Die erhalten vielmehr von den Aufkäufern, das sind die Betreiber der Höchstspannungsnetze, die gesetzlich vorgeschriebene Vergütung. Bei alten Solaranlagen kann das, abhängig vom Datum der Inbetriebnahme, über dreißig oder auch über vierzig Cent pro Kilowattstunde sein, aber meist ist es erheblich weniger. Für Windstrom gibt es in der Regel unter zehn Cent pro Kilowattstunde.
Das Gesetz sieht vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber diesen Strom an der Börse verkaufen und die Differenz zwischen dort erzieltem Preis und der gezahlten Vergütung aus einem Topf erstattet bekommen, in den jahrelang vor allem die privaten Verbraucher und kleinen Gewerbebetriebe eingezahlt haben. Zuletzt noch mit über sechs Cent pro verbrauchter Kilowattstunde Strom.
Diese Umlage wurde Anfang des Jahres halbiert und inzwischen ganz abgeschafft. Doch jetzt ist in dem Topf kein Minus mehr. Vielmehr häuft sich aufgrund der hohen Börsenpreise ein Plus an. Eigentlich müsste das ja nun an die Verbraucher ausgezahlt werden, aber leider wurde der Mechanismus rechtzeitig abgeschafft. So was aber auch.
Klimastreik
Ansonsten hat Fridays for Future für den 23. September einen internationalen Klimastreiktag angekündigt, in Österreich überlegt man aus diesem Anlass, die Schulen zu besetzen und hierzulande wird ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für den Klimaschutz gefordert. Aber zu all dem später mehr. Und, ja, auch der Frage, wer denn nun eigentlich die mit dem Ökostrom gemachten Extragewinne einstreicht, werden wir noch einmal nachgehen müssen.