Mit aller Gewalt für Kohle

Wie ein Schweizer Käse sieht derzeit das Eis auf dem arktischen Ozean aus. Sowohl die Nordwest- als auch die Nordostpassage könnten sich in diesem Sommer noch öffnen. Grafik: Uni Bremen

Die Energie- und Klimawochenschau: Während es Bewegung in den internationalen Klimaschutzverhandlungen gibt, zieht sich das Eis auf dem Polarmeer weiter zurück und lassen die Grünen Kohlekraftwerke mit Schlagstöcken und Wasserwerfern verteidigen

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Ghanas Hauptstadt Accra ist derzeit Treffpunkt der Klimaschutz-Diplomaten. Noch bis zum 27. August tagen dort zwei wichtige Arbeitsgruppen der Mitglieder der Klimaschutzrahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls, die auf der letztjährigen UN-Klimakonferenz auf Bali gebildet worden waren. In den Gesprächen geht es zum einen um Verpflichtungen der Industriestaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen in der Zeit nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls Ende 2012. Zum anderen wird über langfristige Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd gesprochen, wobei es um Fragen des Technologietransfers, um die Vermeidung des Klimawandels und Hilfe bei der Anpassung an jene Teile des Wandels, die nicht mehr zu verhindern sind. Viele Entwicklungsländer beklagen sich seit über zehn Jahren, dass die Industriestaaten ihren Verpflichtungen zur Verbreitung energiesparender und damit emissionenvermeidender Technologie nicht nachkommen, die sie mit der Rahmenkonvention eingegangen waren.

Bild: UNFCCC

Nach einem Bericht des britischen Independent zeichnet sich nun aber in den Gesprächen ein erstaunlicher Durchbruch ab. Die USA hatten bisher eine Ratifizierung des Kyoto-Protokolls und damit jede Reduktion ihrer Emissionen abgelehnt, da es für Schwellenländer keine vergleichbaren Verpflichtungen gibt. Diese hatten im Gegenzug stets auf die Formel der Rahmenkonvention verwiesen, wonach Industrie- und Entwicklungsländer eine "gemeinsame aber unterschiedliche Verantwortung" tragen. Damit wurde seinerzeit der Tatsache Rechnung getragen, dass die Treibhausgasemissionen des reichen Nordens wesentlich größer als die des Südens sind. Auch heute, 15 Jahre nach Unterzeichnung der Konvention ist das noch der Fall, wenn von den Pro-Kopf-Emissionen ausgegangen wird. In Deutschland werden zum Beispiel jährlich pro Person zwölf Tonnen an Kohlendioxid-Äquivalenten emittiert, in den USA 20, in China jedoch nur fünf und in Indien weniger als zwei.

Dennoch gibt es in dieser Frage nun Bewegung. Wie die britische Zeitung berichtet, bahnt sich eine Lösung an, nach der die Entwicklungsländer für bestimmte, besonders emissionsträchtige Branchen wie Zement-, Stahl- und Aluminiumproduktion eine Begrenzung des Treibhausgasausstoßes akzeptieren könnten. Damit wäre den Bremsern aus der Industrielobby, die nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande den Verhandlungsprozess mit großem Misstrauen verfolgen, ein wichtiges Argument genommen. Besonders in den USA waren in den letzten Monaten Strafzölle auf emissionsintensive Importe aus Entwicklungs- und Schwellenländern für den Fall ins Gespräch gebracht worden, die Vereinigten Staaten bequemten sich doch noch zu einer nationalen Klimaschutzpolitik. Bei den Demokraten erfreuen sich derartige Gedankenspiele einiger Beliebtheit.

Schweizer Käse

In der Arktis geht derweil der Rückzug des Meereises weiter. Obige Grafik, die an der Uni-Bremen aus Satellitendaten vom 23. August erstellt wurde, zeigt, dass das Eis auf dem arktischen Ozean in diesen Wochen an manchen Stellen einem löchrigen Käse gleicht. Das Abnehmen der Eisfläche ist in dieser Jahreszeit allerdings nichts ungewöhnliches, die Ausmaße sind jedoch besorgniserregend.

Das Eis nimmt im Augenblick eine Fläche von etwa dreieinhalb Millionen Quadratkilometern ein, knapp zwei Millionen weniger als zu dieser Jahreszeit üblich. Im vergangenen September war das Eis auf drei Millionen Quadratkilometer zusammengeschrumpft, was mit großem Abstand der geringste je beobachtete Wert war. Manchmal verwenden die Wissenschaftler statt des Begriffs der Eisfläche auch den des Eisgebiets (sea ice extend), das auch offenes Wasser einschließen kann. Das Eisgebiet war im September 2007 4,3 Millionen Quadratkilometer groß, etwa 40 Prozent kleiner als der Normalwert der 1980er Jahre.

Abweichung des Eisgebiets auf den Meeren der Nordhemisphäre vom jeweiligen datumsbezogenen Mittelwert für die Jahre 1978 bis 2000. Grafik: Polar Resaerch Group, University of Illinois at Champpaign Urbana

Obige Grafik, die von der Polar Research Group der Universität von Illinois erstellt wurde, zeigt, dass auch in diesem Jahr der Rückgang Rekordmaße annimmt. Einiges deutet daraufhin, dass sich in den letzten Jahren der schon seit mindestens Ende der 1970er Jahre anhaltende Trend zur Abnahme der arktischen Eisbedeckung verstärkt hat. Derzeit ist der Eisschwund zwar etwas hinter dem letztjährigen Rekord zurück, aber doch schon weiter fortgeschritten, als selbst in den letzten Jahren in dieser Jahreszeit üblich.

Die Statistiken beruhen übrigens auf den Messungen verschiedener US-amerikanischer Satelliten, die die Erde auf vergleichsweise niedrigen Bahnen umkreisen, die sie in schnellen Abständen über die Pole führen. Seit Ende der 1970er Jahre liegen von ihnen weitgehend lückenlose Aufzeichnungen aus der Arktis vor. Die Eisbedeckung wird aus der Messung der charakteristischen langwelligen Abstrahlung des Eises im Mikrowellenbereich bestimmt. Mit der Methode kann auch durch Wolken geschaut werden, so dass die Beobachtungen wetterunabhängig sind. Die maximale Auflösung der Messgeräte an Bord der Satelliten beträgt 25 Kilometer, das heißt, kleinere Eisschollen oder -berge können nicht identifiziert werden.

Gefährliche Gase

Einen kleinen Vorgeschmack auf die Gefahren, die "saubere Kohle" mit sich bringen könnte, bekamen letzte Woche über 100 Menschen in Mönchengladbach. In einer Fabrik war nach einer Notiz der Berliner "Tageszeitung" eine größere Menge Kohlendioxid (CO2) ausgetreten und hatte sich in einer Senke gesammelt, da es schwerer als Luft ist. 107 Menschen mussten ärztlich behandelt werden, 16 wurden in Krankenhäuser eingeliefert. CO2 behindert den Sauerstofftransport im Blut und kann daher schlimmstenfalls tödlich wirken. Bei den Konzentrationen, um die es in der Frage der Klimapolitik geht, bestehen allerdings keine derartigen Gefahren, zumal sich das emittierte CO2, solange es sich um die Spurengaskonzentrationen von einigen hundert Millionstel Volumenanteilen handelt, rasch durch Winde und atmosphärischen Turbulenzen verteilt.

Anders sieht es allerdings aus, wenn größere Mengen des Gases austreten, wie bei dem erwähnten Unfall. Geht es nach den Willen der Energiekonzerne wie Vattenfall, RWE und andere, dann werden in den nächsten Jahrzehnten Kohlekraftwerke gebaut, die mit aufwändigen und potenziell kostspieligen Verfahren das CO2 aus den Abgasen bzw. bereits in vorgelagerten Prozessen abscheiden. Das Gas würde dann in großen Mengen anfallen und müsste verflüssigt und durch Pipelines in unterirdische Speicher geleitet werden. Der Unfall in Mönchengladbach zeigt, dass das nicht ganz unproblematisch sein dürfte.

Klimacamp zu Ende

In Hamburg ging am Wochenende das bundesweite Aktionscamp, das Klimaschützer und Aktivisten aus Flüchtlingshilfsorganisationen gemeinsam organisiert hatten. Die Veranstalter ziehen eine weitgehend positive Bilanz. „Die Aktionen waren gut vorbereitet, inhaltlich haben wir den Finger in die Wunden der herrschenden Politik gelegt“, meinte Tadzio Müller vom Klimacamp. „Wir haben die Öffentlichkeit mit unseren Themen und Forderung erreicht und einigen Staub aufgewirbelt“, ergänzte Ines Koburger von der Pressegruppe des Klimacamps.

Auf dem Programm standen mehrere Demos, Straßenaktionen und eine kleine Besetzung der Baustelle des Vattenfall-Kohlekraftwerks in Moorburg südlich der Elbe. Auch die Grünen bekamen ihr Fett mit einer Aktion vor einem ihrer Parteibüros ab, die unter dem Motto "Grüne werden Kohlepartei" stand. Nebenbei bildeten sich die Camp-Teilnehmer mit 60 Workshops und verschiedenen Podiumsdiskussionen politisch weiter. Unter anderem wurde über künftige Mobilisierungen wie jene zum UN-Klimagipfel 2009 in Kopenhagen diskutiert.

Auf der Auftaktdemo des Camps am 16. August in Hamburg. Bild: Wolfgang Pomrehn

Dem neuen schwarz-grünen Senat in Hamburg wurde in einer abschließenden Stellungnahme eine heuchlerische und undemokratische Politik vorgeworfen. Die Polizei habe am Samstag, als die Klimaschützer noch einmal in Moorburg demonstrierten, das Versammlungsrecht verletzt, unter anderem indem eine genehmigte Kundgebung gewaltsam aufgelöst wurde. Der 23. August sei zu einem denkwürdigen Datum geworden, so Christoph Kleine, einer der Sprecher des Camps. „Es ist der Tag, an dem sich zeigte, dass ab jetzt auch Kohlekraftwerke wie AKWs durch ein Großaufgebot der Polizei bewacht werden müssen.“

Im Dauerregen hatten am Samstag rund 700 Menschen im Umfeld der Baustelle gegen das geplant 1600-Megawatt Kraftwerk demonstriert. Die Polizei war, nicht zuletzt weil eine gewaltfreie Besetzung angekündigt worden war, mit einem massiven Polizeiaufgebot präsent. Die Klimacamper sprechen in einer Pressemitteilung von brutalen Attacken mit Reizgas, Knüppeln und Wasserwerfern, nach dem die Demonstranten mehrere Absperrungen umgangen hatten. Man habe sich aber absprachegemäß nicht durch die Polizeigewalt provozieren lassen. „Die Grünen geben sich als Klimapartei und tragen hier Knüppeleinsätze zur Durchsetzung eines Kohlekraftwerks mit“, kommentierte Felix Pithan, einer der Organisatoren der Demontsration.

Auch nach dem Ende der Aktionen kam es nach Angaben der Protest-Camper – die Hamburger Jusos hatten von einem "Terror-Camp" gesprochen – zu weiteren Polizeiübergriffen. Am S-Bahnhof Heimfeld seien Greiftrupps gewaltsam in die Demonstration eingedrungen und hätten willkürlich zwei Personen festgenommen.

Das kleine unabhängige Medieprojekt Graswurzel.tv bestätigt die Polizeibrutalität. Ein Kameramann des Projektes wurde von Polizeibeamten angegriffen: "Nachdem wir einen prügelnden Beamten filmten, kam dieser zielgerichtet auf unseren Kameramann zu und entriss ihm seinen Presseausweis. Danach wurde auf ihn mit Schlagstock und Fäusten eingeschlagen. Weder Dienst- noch Zugnummer wurde uns von diesem Beamten mitgeteilt", berichten die Graswurzler in einer Erklärung. Der Vorgang kann im Internet angeschaut werden: Entweder als Flash-Video (13,65 MB) oder als Quicktime-Video (15,26 MB).