Moorburg und A49: Sargnägel der Grünen?
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Die Energie- und Klimawochenschau: Von gewaltsam durchgesetzten Fehlinvestitionen, dem Versagen der Grünen und Dingen, die man von einem längst verstorbenen Philosophen lernen könnte
Erinnert sich noch jemand, wie brachial seinerzeit im August 2008 die Polizei im schwarz-grün regierten Hamburg gegen Demonstranten vorging, die den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg kritisierten? Telepolis berichtete damals, und ein Hamburger Gericht beschied der Polizei später, dass sie illegal eine genehmigte Demonstration aufgelöst hatte.
Für Polizei und politisch Verantwortliche blieb das - mal wieder - folgenlos. Bauherr Vattenfall, der seinen Kraftwerksbau gerne als "grünes Kraftwerk" bezeichnete, schwang sogar noch die große juristische Keule gegen einige Aktivisten, die zeitgleich zum mit Knüppeln und Reizgas zerschlagenen Protest auf dem Baugelände ein Transparent aufgehängt hatten.
Man wollte es nicht wissen
Jahrelang hatten Bürgerinitiativen, Klimaschützer und auch die Grünen - so lange sie in der Opposition waren - gegen das 1,6-Gigawatt-Kraftwerk protestiert. Genehmigt wurde der Bau schließlich von einer grünen Umweltsenatorin. Zähneknirschend, wie es hieß, aber das ist dem Klima vermutlich ebenso egal wie liberale "Politprofis", die meinen, man könne über physikalische Gesetze abstimmen.
Seit Anfang 2015 produzieren nun die zwei Blöcke im Hamburger Hafen Strom. Schon bei Inbetriebnahme hatte sich der seinerzeitige Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka beklagt, dass das Kraftwerk ein "Opfer der Energiewende" sei.
Allerdings hatte der Konzern es geplant und gebaut, als der Ausbau der erneuerbaren Energieträger längst beschlossene Sache war und zeitweise regelrecht boomte. Da nicht im gleichen Maße Kohlekraftwerke vom Netz genommen wurden, sackte der Börsenpreis für Strom in den Keller. Überangebot. Manches Kohlekraftwerk arbeitete inzwischen fürs Ausland, doch das rechnete sich nur für alte abgeschriebene Braunkohlekraftwerke.
Das dies so kommen könnte, war auch 2008 kein Geheimnis und wurde Vattenfall und anderen von den Kritikern immer wieder vorgerechnet. Doch Konzernchefs und Kommunalpolitiker wollten es nicht hören und setzten Ende des letzten Jahrzehnts in mehreren Dutzend deutschen Städten auf neue Kohlekraftwerke.
Viele dieser Pläne und damit ökonomischer Schiffsbruch konnten von oft massiven lokalen Protesten verhindert werden. Gedankt hat es den Umweltschützern bis heute niemand. In Hamburg war man sogar besonders stur und baute trotzdem. Das Ergebnis: Vattenfall fährt nun seit dem ersten Tag Verluste ein, weil der angeblich so günstige Kohlestrom nicht einmal kostendeckend verkauft werden kann.
Rund 14 Milliarden Kilowattstunden könnten die beiden Blöcke jährlich produzieren, wenn sie rund um die Uhr liefen. Um ihrem Besitzer keine Verluste zu bescheren, müssten es vermutlich mindestens elf Milliarden sein. Dass dies kaum möglich sein wird, war schon vor über zehn Jahren absehbar.
Telepolis hatte 2015 Vattenfall zur Inbetriebnahme prognostiziert: "Moorburgs Jahresproduktion dürfte eher in der Nähe von fünf als von elf Milliarden Kilowattstunden liegen." Auch das war offensichtlich noch zu optimistisch. 2020 war Moorburg A bisher zu 8,1 und Moorburg B zu 16,9 Prozent ausgelastet, wie die Daten des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen.
Wenn die Produktion im Dezember ähnlich läuft, speisen die beiden Blöcke dieses Jahr nicht einmal zwei Milliarden Kilowattstunden ins Netz. Und das, obwohl das AKW Brokdorf, das einzige in der Nachbarschaft von Hamburg noch arbeitende Atomkraftwerk, mit nur rund 60 Prozent Auslastung ebenfalls deutlich unterbeschäftigt ist.
Feuer aus den Kesseln
Vattenfall hat aus der Misere längst die Konsequenzen gezogen und sich zunächst auf die Suche nach einem Käufer gemacht. Doch niemand hatte Interesse an der Investitionsruine. Nicht einmal die Leag-Mutter EPH biss an. Dabei ist diese nicht gerade wählerisch, sondern kauft allerlei alte Kraftwerke auf, aus denen sie meint, noch ein wenig Geld herauspressen und vielleicht mit ihnen eine Stilllegungsprämie abgreifen zu können.
Genau das ist Vattenfall jetzt mit seinem Kraftwerk Moorburg gelungen. Bei einer Abwrack-Auktion der Bundesnetzagentur hat der Konzern einen Zuschlag bekommen. Sofern es keine Einwände vom Versorgungsnetzbetreiber gibt, ist am südlichen Elbufer bereits am 31. Dezember 2020 Schluss mit dem Verfeuern von Importkohle. Gibt es Einwände, werden die Kraftwerke noch eine Zeitlang für die Stromreserve bereitgehalten werden müssen. Dann würden sie im Falle von Engpässen auf Bestellung aktiviert.
Wie viel staatliche Zuschüsse Vattenfall für den Abschied von seiner sturen Fehlplanung bekommt, wird geheimgehalten. Offenbar ist man der Meinung, dass es den Bürger nichts angeht, was mit den Steuereinnahmen passiert.
Die Netzagentur teilt lediglich mit, dass es für insgesamt elf Kraftwerke einen Zuschlag gab und im Durchschnitt 66.250 Euro pro Megawatt stillgelegter Leistung gezahlt werden. Demnach wird Vattenfall wohl mit 100 Millionen Euro oder etwas mehr rechnen können.
Die Ausschreibungen laufen so ab, dass Kraftwerksbetreiber ihre Anlagen zu Stilllegung anmelden und dabei eine Summe nennen, die sie als Entschädigung haben möchten. Diese Summe wird sodann durch die Summe der Treibhausgase geteilt, die das jeweilige Kraftwerk bisher durchschnittlich im Jahr pro installierter Megawatt Leistung ausgestoßen hat. Die so ermittelte Kennzahl ist für die Vergabe der Zuschläge ausschlaggebend.
Sie ist umso kleiner, je mehr Emissionen das Kraftwerk in der Vergangenheit verursacht hat. Bei der Vergabe werden die Gebote mit der niedrigsten Kennziffer zuerst berücksichtigt, bis die Ausschreibungsgrenze erreicht ist.
In dieser Runde waren vier Gigawatt ausgeschrieben, Zuschläge gab es allerdings insgesamt für 4,788 Gigawatt. Neben den beiden Vattenfallblöcken in Hamburg werden auch einige Kraftwerke von RWE, Uniper und einigen anderen Betreibern stillgelegt, darunter mit Hamm auch ein weiteres Großkraftwerk, das noch nicht einmal zehn Jahre im Betrieb ist. Die vollständige Liste der Zuschläge hat die Bundesagentur hier veröffentlicht.
Christiane Blömeke, Landesvorsitzende des BUND Hamburg, zu den Stillegungen:
"Die Abschaltung von Norddeutschlands Klimakiller Nr. 1 ist nur konsequent und eine richtige Antwort auf die Klimakrise. Der Zuschlag der Bundesnetzagentur belegt, dass das Kraftwerk nicht systemrelevant ist und nach nur fünf Jahren Betrieb als eine der größten energiepolitischen Fehlinvestitionen in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird. Die Tatsache, dass bereits in der ersten Ausschreibungsrunde eines der modernsten Steinkohlekraftwerke Deutschlands von Netz genommen wird, zeigt aber auch, dass der Kohleausstieg in Deutschland wesentlich schneller möglich ist, als bislang bis zum Jahr 2038 in Aussicht gestellt."
Unverminderte Emissionen
Fraglich ist allerdings, ob die Stilllegungen einen Einfluss auf die Emissionen haben werden. Der Erfolg für den Klimaschutz, von dem der Bund für Umwelt und Naturschutz Hamburg nicht ganz zu unrecht spricht, ist vor allem ein politischer.
Doch die Emissionen werden erst reduziert, wenn wesentlich mehr Kraftwerke abgeschaltet und durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden. Nicht nur die Hamburger Vattenfall-Kraftwerke waren nämlich in den letzten Jahren erheblich unterbeschäftigt.
Nach den Daten des bereits oben zitierten Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme waren die deutschen Steinkohlekraftwerke in den ersten elf Monaten 2020 im Durchschnitt nur zu 16,9 Prozent ausgelastet. Nur drei von 45 Kraftwerken brachten es auf etwas mehr als 50 Prozent.
Oder mit anderen Worten: So lange nicht mehr erneuerbare Energieträger installiert werden, füllen die verbliebenen Kraftwerke die Lücken. Mit dem Ausbau sieht es jedoch weiter schlecht aus.
In der Auseinandersetzung um das Erneuerbare-Energien- Gesetz, dass in den nächsten Wochen verabschiedet werden soll, geht es unter anderem darum diverse Hindernisse für den Ausbau zu beseitigen und eine Lösung für Altanlagen zu finden, die ab dem 1. Januar aus der Förderung fallen. Der Ausgang dieses Streits ist weiter offen. Wir werden hoffentlich demnächst ausführlicher darüber berichten können.
Die nächste Fehlinvestition
Viel zu wenig mediale Aufmerksamkeit bekommt derweil die andauernde Räumung des Dannenröder Forstes im Mittelhessen. Seit Anfang November wird dort mit einem massiven Polizeiaufgebot und mit viel Gewalt geräumt, um den Weg für den Bau der Autobahn A49 frei zu machen.
Die Parallelen zum Kraftwerk Moorburg drängen sich geradezu auf. Hier wie dort ging es um die Durchsetzung einer uralten, völlig aus der Zeit gefallenen Planung. Hier wie dort sagen Umweltschützer und Anwohner seit langem, dass der Bau unverantwortlich ist, das Klima gefährdet und letztlich eine gewaltige Fehlinvestition darstellt, wenn demnächst mit dem Klimaschutz wirklich ernst gemacht wird.
Und hier wie dort ist für die mit der CDU regierenden Grünen Koalitionsdisziplin und Regierungsbeteiligung wichtiger als die ökologische und ökonomische Vernunft. Von der CDU hat niemand etwas anderes erwartet, aber von den Grünen weiß man, dass sie wider besseren Wissens handeln.
Entsprechend gründen sich auch in Hessen allerorts Klimalisten. Im März 2021 wollen sie in Baden-Württemberg bereits zu den Landtagswahlen antreten.
Die Umweltorganisation Robin Wood spricht von einem "überzogenen und menschengefährdenden Polizeieinsatz" und einem "unfassbaren Versagen der Grünen", die diesen immer wieder in Schutz nähmen.
Ihr lägen Berichte von vielen traumatisierten Aktivisten vor, die schlimme Gewalterfahrungen durch die Beamten gemacht hätten. Umweltschützer, die sich angekettet haben, würden malträtiert, so dass ihre Schmerzensschrei stundenlang zu hören seien. In den Gefangenensammelstellen käme es zu körperlichen Übergriffen und Beleidigungen. Auch von Morddrohungen durch Polizisten ist die Rede.
Auf Twitter berichten Betroffene, dass sie sich auf den Sammelstellen nackt hätten entkleiden müssen, ihnen sogar in den After geschaut worden sei. Menschen, denen nicht mehr als das Begehen einer Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird.
Verschiedene Aktivisten sind in den vergangenen Wochen aus mehreren Metern Höhe abgestürzt, nach dem Polizeibeamte Sicherungsseile gekappt haben oder Bäume in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gefällt wurden. Auf einer Pressekonferenz (Video) haben die Aktivisten vergangene Woche darüber berichtet. Dabei wurde auch die Erklärung einer jungen Frau verlesen, der sich bei einem solchen Vorfall vier Wirbel brach.