"Jage keine Polizisten - sie sind da, um zu helfen"

Joaquín Guzmán alias "El Chapo" bei seiner Auslieferung in die USA. Foto: Ted Psahos, U.S. Immigration and Customs Enforcement

Die Zeugenaussagen im El-Chapo-Prozess belegen unter anderem die Verbreitung von Korruption

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Der Prozess gegen den 2017 an die USA ausgelieferten mexikanischen Drogenkartellchef Joaquín Guzmán alias "El Chapo", der im November begann, soll insgesamt vier Monate dauern. Inzwischen hat das Bundesgericht in Brooklyn, vor dem er geführt wird, neun der insgesamt 16 Belastungszeugen angehört. Durch ihre Aussagen wird auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt, wie El Chapos Sinaloa-Kartell funktionierte. Einiges davon konnte man sich denken, anderes kam unerwartet.

Eine Überraschung, die Guzmáns ehemaliger kolumbianischer IT-Consultant Christian Rodríguez offenbarte, war, dass El Chapo auf etwa 50 Mobiltelefonen von Mitarbeitern und Kontaktpersonen Spyware installieren ließ, um sie zu überwachen. Das hatte den Nebeneffekt, dass er damit massenhaft Beweisdaten produzierte, die nun gegen ihn verwendet werden (vgl. Prozess gegen El Chapo: Drogenboss setzte auf Spyware und half so den Ermittlern).

Fernaktivierte Mikrofone

Die Spyware beinhaltete den Aussagen nach nicht nur die Möglichkeit, Chats, Textnachrichten und Anrufe zu überwachen, sondern auch eine Fernaktivierung der Mikrofone. Davon machte der erste Drogenbaron in der Fortune-Liste der reichsten Männer der Welt angeblich vor allem unmittelbar nach Treffen mit ihm selbst Gebrauch. Außerdem überwachte er damit nicht nur seine Ehefrau Emma Coronel Guzmán, sondern auch sein Buhlweib Agustina Cabanillas, das diesbezügliche Warnungen mit der Bemerkung abtat, sie sei "schlauer als er".

In den eher geschäftlichen überwachten Gesprächen ging es unter anderem um die Bestechung von Polizisten. Hier erklärte Guzmán einem seiner Unterlinge beispielsweise: "Jage keine Polizisten, sie sind da um zu helfen." Außer Polizisten wurden auch Soldaten, Richter, Staatsanwälte, Beamte, Unternehmer und selbstverständlich Politiker bestochen. Der Aussage des Zeugen Jesús Vicente Zambada nach wendete man dafür in den Nullerjahren monatlich etwa eine Million Dollar auf. Zu den prominenten Empfängern soll unter anderem General Marco Antonio de León Adams gehört haben, der oberste Personenschützer des ehemaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox.

Geschäfte mit der kolumbianischen FARC

Ein anderer Zeuge, der auch in Medien Aufmerksamkeit erregte, war Jorge Cifuentes. Er schilderte unter anderem die Geschäfte, die die inzwischen legalisierten kolumbianischen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) mit Guzmán machten: Sie lieferten ihm Kokain, das er nicht über kolumbianische Häfen, sondern über Ecuador nach Nordamerika ausschiffte. Bei einer Gewinnspanne von 8.000 US-Dollar pro Kilo machte El Chapo Cifuentes zufolge mit einer 6.000-Kilo-Lieferung 48 Millionen Dollar Gewinn.

Beobachter gewannen nach den Aussagen der bisher neun Zeugen den Eindruck, dass die Verteidigung ihre bisherige Strategie, Guzmáns Chefrolle zu bestreiten, eventuell noch anpassen wird, weil sie nicht mehr haltbar sein könnte. Was bereits fest steht, ist, dass El Chapo trotz der Mordauftragsaussagen von Zeugen nicht mit der Todesstrafe rechnen muss. Dass sie ausgeschlossen wird, hatten sich die mexikanischen Behörden vor der Auslieferung ausbedungen.

Luxustunnel und ein ermordeter Richter

Kommt er in Haft, wird sich zeigen, ob der US-amerikanische Strafvollzug tatsächlich leistungsfähiger und integrer ist als der mexikanische: In Mexiko gelang es Guzmán nämlich bereits zwei Mal, aus "Hochsicherheitsgefängnissen" zu entkommen - zuletzt durch einen etwa eineinhalb Kilometer langen beleuchteten und belüfteten Luxustunnel, den er sich graben ließ.

Die Geschworenen, die über seine Schuld oder Unschuld entscheiden, hält das Bundesgericht ausnahmsweise geheim. Der Grund dafür ist unter anderem ein ungeklärter Mord am mexikanischen Bundesrichter Vicente Antonio Bermúdez Zacarías, der an Guzmáns Auslieferung beteiligt war. Dass die neun Zeigen, die bislang aussagten, nicht starben, kann man durchaus als Leistung der amerikanischen Strafverfolger sehen. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag konnte die Sicherheit der Zeugen beim Prozess gegen den UÇK-Anführer Ramush Haradinaj weniger gut gewährleistet werden: Der heutige Kosovo-Ministerpräsident wurde dort "aus Mangel an Beweisen freigesprochen", weil "fast alle Belastungszeugen vor Ende des Prozesses unter mysteriösen Umständen starben" (vgl. Kosovo: Wahlen bestätigen gescheiterten Staat).

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