Jakarta: Massendemonstration gegen christlichen Gouverneur
Islamisten fordern Anklage wegen Blasphemie
In der indonesischen Hauptstadt Jakarta demonstrierte heute etwa Hunderttausend Islamisten. Sie fordern, dass Basuki Tjahja Purnama, der Gouverneur der Zehn-Millionen-Metropole wegen Blasphemie vor Gericht gestellt wird.
Der Konflikt zwischen Purnama und den Islamisten nahm seinen Ausgang, als islamistische Politiker argumentierten, Moslems dürften den Christen (der vorher Vize-Gouverneur war und 2014 dadurch ins Amt kam, dass sein Vorgänger Joko Widodo indonesischer Staatspräsident wurde) im Februar 2017 wegen al-Maidah-Sure im Koran nicht im Amt bestätigen. In dieser Sure heißt es in Vers 51: "Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden! […] Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen - Allah leitet das Volk der Frevler nicht recht". Salafistische Theologen leiten daraus ab, dass Moslems nicht unter der Herrschaft von Nichtmoslems leben dürften und raten deshalb teilweise sogar dazu, in das IS-Kalifat auszuwandern. Andere Korangelehrte glauben dagegen, dass sich der entsprechende Vers nur auf die Entstehungszeit der Religion bezieht.
Purnama, der Christ ist, meinte dazu am 28. September in einer auf Video festgehaltenen und verbreiteten Rede, die Wähler sollten sich mit "Vers 51 der al-Maidah-Sure und ähnlichen Sachen" nicht "anlügen" lassen" - und erntete dafür einen Empörungs-Aufschrei, weil ihm seine Kritiker umgehend unterstellten, er habe damit gemeint, dass im Koran Lügen stünden. Dass Purnama sich für die Äußerung umgehend öffentlich entschuldigte und erklärte, er habe damit nur Diejenigen gemeint, die diese Sure gegen ihn verwendeten, konnte die Lage bislang nicht beruhigen: Die Demonstrationen gegen ihn, die im Oktober begannen, wurden immer größer.
Die heutige Demonstration von der Istiqlal-Moschee zum Präsidentenpalast wurde von etwa 20.000 Sicherheitskräften bewacht. Um den Marsch möglichst friedlich verlaufen zu lassen, hatten die Behörden gezielt Polizistinnen mit Geschichtsschleiern eingesetzt, weil sie hofften, dass religiöse Fanatiker vor körperlichen Kontakt mit ihnen zurückschrecken würden. Darüber hinaus hatte man Polizeibeamte in die Hauptstadt geholt, die den Koran gut vortragen können und auf Gewaltparolen schnell reagieren sollten. Als die Demonstranten dem Präsidentenpalast zu nahe kamen, setzte man außerdem Tränengas ein
Dass die Polizei Ausschreitungen befürchtete, lag auch daran, dass es in Sozialen Medien zahlreiche Gewaltaufrufe gab - bis hin zur Forderung, Purnama zu töten. Da der Gouverneur nicht nur Christ, sondern auch ethnischer Chinese ist, fürchteten viele Händler im Elektronikviertel Glodok und andere Angehörige der chinesischen Minderheit Plünderungen, Brandschatzungen, Massenvergewaltigungen und Massenmorde, wie es sie 1998 gab.
Moslems und Christen in Indonesien
Indonesien ist mit 243 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste mehrheitlich moslemische Land der Erde. Die indonesischen Moslems unterteilen sich in Abangan, bei denen die Scharia eine geringe, dafür aber der Ahnenkult eine größere Rolle spielt, und Santri, die eher orthodoxen Versionen des Islam anhängen.1 Abangan haben etwa 30 % Anteil an der Gesamtbevölkerung, Santri fast 60 %. Letztere unterteilen sich wiederum in "Traditionalisten" und "Modernisten" - eine etwas irreführende Bezeichnung, weil die "Traditionalisten", eher vom Sufismus geprägten Traditionen anhängen, während die "Modernisten" eine vom Wahabismus beeinflusste und an einer wörtlichen Auslegung des Koran orientierte Richtung vertreten. Ein Zentrum dieser "Modernisten" ist die Provinz Aceh in Nordsumatra, die nach einem Guerillakrieg im Zuge einer Teilautonomie die Scharia einführte.
Neben den fast 90 % Moslems gibt es in Indonesien zwischen 8 und 9 % Christen (wobei der Anteil der Protestanten etwas höher liegt, als der der Katholiken) sowie Hindus und Buddhisten. Die Zahlen zum Anteil der Religionen in Indonesien sind allerdings unter anderem deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil sich aufgrund der durch das Pancasila-Prinzip eingeschränkten Religionsfreiheit, die nur monotheistische Religionen erlaubt2, viele Anhänger traditioneller Religionen pro forma zum Islam bekannten. Hinzu kommt, dass durch die antikommunistischen Präsidialerlasse "zur Lösung des chinesischen Problems" im Kalten Krieg ein beträchtlicher Teil der Han-Atheisten, die vor allem in den Städten siedeln, den Status von Christen annahm.
Christliche Zentren sind Timor, die Molukken, Flores, Nordsulawesi und Irian Jaya. Im mehrheitlich protestantisch besiedelten südlichen Teil der Molukken war nach dem Abzug der Niederländer die Republik Maluku Selatan ausgerufen worden, die in einem fünf Jahre währendem Krieg unterworfen wurde. Osttimor dagegen konnte sich in einem 27 Jahre dauernden Krieg die Unabhängigkeit erkämpfen. Zur Eskalation religiöser Spannungen trug auch das 1969 eingeleitete Umsiedlungsprogramm Transmigrasi maßgeblich bei, das den Umzug von Moslems aus dem dicht besiedelten Java nach Borneo, Sulawesi und Irian Jaya förderte, was immer wieder zu blutigen Konflikten mit den Einheimischen führt.
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