"Japan is finished"
In Takashi Miikes Kultfilm "Audition" verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Alptraum
Seine Darsteller wirken unverwechselbar, charakterstark und charismatisch. Ähnlich wie Kitano erweckt Miike den Eindruck, sich über die Masse seiner Landsleute zu erheben und doch aus dem Innersten der Volksseele zu sprechen. Die Ästhetik seiner sehr präzisen Filme scheint oft am Manga-Stil angelehnt, ohne dass sich daraus eine filmische Formel ableiten ließe. War das Mangahafte in einem Film wie "Dead or Alive" das klamaukhaft-überzogene Gewaltprogramm eines Krieges Cop vs. Yakuza, so bezieht "Audition" seinen Manga-Appeal aus traumhaft-nostalgischen, teils sogar surrealen Sequenzen und S/M-Schockpassagen.
Die Figur eines schlanken und langbeinigen Modells, ein hübsches, kleines Gesicht: das ist Yamazaki Asami, die weibliche Hauptfigur, in der die beiden Extrem-Pole des Filmes verschmelzen. Sie hat zwar ein Engelsgesicht und benimmt sich wie ein devotes Unschuldslamm, hat aber auch Geheimnisse, die nichts Gutes versprechen. Die psychologische Motivation ihres Charakters wird nach und nach erhellt, aber nie wirklich erklärt. Mit Rückblenden und Traumbildern wird eine Figur (re)konstruiert, die zusehends an Konturen gewinnt, während ihre menschlichen Züge immer mehr von maschinellen ersetzt werden. Das Faszinierende an dem Film ist, wie sie sich graduell als Roboter entpuppt: von der Prima-Ballerina zum Todesengel. Es ist die Kunst des Regisseurs, dass er nie etwas ausspricht, und diese Transformation mittels filigran angewandter Montage-Technik bewerkstelligt. Alles entscheidet sich zwischen den Bildern. In der ergreifendsten Szene, die vielleicht eine Schlüsselszene ist, liegt sie mit gebrochenem Genick auf dem Boden, also offensichtlich tot, und spricht wie eine ausgeleierte Sprechpuppe irgendwelche Sätze nach, die wir zuvor im Film bereits von ihr vernommen haben.
Oder spielt sich all das vielleicht doch nur im Kopf des Witwers Aoyama ab? Diese Frage lässt den Zuschauer ab irgendeinem Zeitpunkt - wenn man sehr genau guckt, wahrscheinlich sehr bald - nicht mehr los. Aoyama will wieder heiraten. Und ein befreundeter TV-Produzent hat die Idee, die Partnersuche durch eine Audition zu einem Film abzukürzen. Der Film wird natürlich nie gedreht - schließlich ist man nur auf der Suche nach einer geeigneten Frau - wodurch er umso symbolträchtiger auf einer mentalen Ebene entstehen kann.
Aoyama schwelgt im größten Glück - diese Momente werden durch in einen pastellfarbenen Soundtrack untermalt; die Aufnahmen sind weichgezeichnet: ein Schwebezustand. Aoyama betritt ein myteriöses Reich, als er mit seiner Hauptdarstellerin auf Reisen geht: kryptische Schnitte, surreale Psychotropen in expressionistischem Gewand und unterschwellige Elektronik-Passagen, die eine gewisse Unruhe aufkommen lassen. Was folgt, ist ein Psycho-Trip sondergleichen. Allein dessen filmische Konstruktion könnte Kritiker zu schweißtreibenden Essays veranlassen. Doch sind es vorallem die grausamen, stets ästhetischen Bilder von Folter und Verstümmelung, die uns die Sprache verschlagen. Es ist die Meisterschaft des Regisseurs, dass sie streckenweise etwa genauso unangenehm wie ein Snuff-Video sind, aber dennoch eine ästhetische und inhaltliche Legitimität haben. Schwer dem Film Kultstatus abzusprechen.
Takashi Miike, Audition (Japan, 1999), ab 25.01. in deutschen Kinos