Japan vor der Abwärtsspirale
Die Deflation kehrt nach Japan zurück und droht dem angeschlagenen Samurai den Todesstoß zu versetzen
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat weltweit zu Verwerfungen geführt. Während die Krise die meisten OECD-Staaten in einer Phase des langanhaltenden Aufschwungs getroffen hat, wurde die zweitgrößte Industrienation der Welt mitten in einer langanhaltenden Schwächephase getroffen. Japan hatte schon vor der aktuellen Krise immer noch mit den Spätfolgen der Wirtschaftskrise in den 1990ern zu kämpfen. Das Land der aufgehenden Sonne steht heute vor unlösbaren Problemen - die Staatsverschuldung ist atemberaubend, die Wirtschaft lahmt, das Land befindet sich in einer Deflation, die Regierung hat kaum Optionen, entgegenzusteuern, und schon bald könnte die Staatsverschuldungsblase platzen und Japan den wirtschaftlichen Todesstoß versetzen.
Deja vu
Am Ende der 1980er glich Japan einem Tollhaus. Die Aktien- und Immobilienpreise erreichten Monat für Monat neue Rekordwerte, die Banken gaben freigiebig Kredite an Jedermann, es wurde spekuliert und gezockt, als gäbe es kein Morgen. In Sushi-Bars im Tokyoter Bankenviertel wurden die maritimen Köstlichkeiten auf nackten Damen angerichtet, Suppen wurden mit Goldflocken verziert, Sportwagen parkten in den Strassen und selbst heruntergekommene Appartments wurden der Hauptstadt zu Preisen gehandelt, die dem Einkommen entsprachen, das ein normaler Angestellter in seinem gesamten Leben verdient. Das Japan der spätern 1980er gilt heute als Lehrbuchbeispiel einer "Bubble Economy". Wie alle Blasen platzte jedoch auch die japanische Blase und hinterließ dem Land ein ganzes Jahrzehnt der Stagnation und der Deflation. Mit immer höheren Staatsschulden wurden halbherzige Konjunkturprogramme initiiert, während die Leitzinsen Schritt für Schritt auf den Nullpunkt zugingen. Die 1990er gelten in Japan als das "verlorene Jahrzehnt".
Wie die meisten Regierungen verstand auch die japanische das Prinzip keynesianischer Konjunkturpolitik nicht wirklich. Als auch Japan von der boomenden Weltwirtschaft mit dem Jahrtausendwechsel in den Aufschwung getrieben wurde, machten die Japaner weiterhin Schulden, anstatt die alten Verbindlichkeiten, die im Jahr 2000 mit rund 130 Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes weltweit die höchsten waren, zurückzufahren. Erst 2005 lenkte man bei einer Staatsschuldenquote von 180% endlich ein und baute langsam die Schulden ab. Nur zwei Jahre währte diese kurze Phase der Konsolidierung, doch dann schlug die Wirtschafts- und Finanzkrise unerbittlich zu. Wie alle anderen Industrieländer musste nun auch Japan mit Staatsausgaben, die auf Pump finanziert werden müssen, gegen die Krise ankämpfen. Der IWF erwartet, dass Japans Staatsschuldenquote schon in diesem Jahr bei 218% liegen und im nächsten Jahr 227% erreichen wird. Das ist mehr als doppelt so viel wie die USA und fast dreimal so viel wie in Deutschland. Bis 2014 soll sich dieser Wert sogar bis auf 246% steigern. Wie soll die zweitgrößte Industrienation der Welt diese horrenden Schulden überhaupt zurückzahlen?
Die japanische Schuldenfalle ist unumkehrbar. Ich kann nicht erkennen, wie man auf normale Art und Weise da herauskommen sollte. Die Japaner werden es nicht schaffen, ihr Haushaltsdefizit zu refinanzieren. Es wird wohl eine Haushaltssperre und ein Einfrieren der Pensionen geben müssen, gefolgt von dem Zusammenbruch einiger Banken, der die Welt erschüttern wird. Es ist schon fast kriminell fahrlässig, dass die Ratingagenturen hier keinen Alarm auslösen.
Carl Weinberg, Japan-Analyst bei High Frequency Economica
Deflation und Stagnation
Wenn man die "Preissteigerungen" herausrechnet, befindet sich die japanische Volkswirtschaft seit dem letzen Quartal erstmals wieder in der Aufschwungphase - real betrug das Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Vorquartal 1,2%, gegenüber dem Vorjahresquartal ist allerdings immer noch ein Minus von 4,5% zu verzeichnen. Japan steckt jedoch - als einziges Industrieland - in einer Deflation. Der Verbaucherpreisindex lag in den letzten Monaten durchängig bei unter -2%. Die Deflation frißt daher nicht nur den zarten Aufschwung auf, sie verstärkt sogar noch den Abschwung durch die Krise. Wenn die Deflation auf diesem Niveau bleibt, müsste die japanische Wirtschaft real jedes Jahr um über 2% wachsen, um nominal auf dem Vorjahresniveau zu bleiben. Volkswirtschaftlich ist das Realwachstum zwar aussagekräftiger als das Nominalwachstum, aber für die japanische Schuldenproblematik ist ausschließlich das Nominalwachstum von Bedeutung, da die Schulden ja auch nominal zurückgezahlt werden müssen und die Steuereinnahmen bei einer Deflation sinken.
Die Finanz- und Wirtschaftkrise hat dazu geführt, dass die Steuereinnahmen des japanischen Staates nominal um 27% gesunken sind. Die Produktion des Industriesektors ist um 19% gefallen und die Exporte sind um 31% zurückgegangen, während die Sparquote nahe Null liegt. All dies hat dazu geführt, dass die japanische Volkswirtschaft im letzten Jahr nominal um 10% geschrumpft ist.
In der Abwärtsspirale
Japan befindet sich in einer verhängnisvollen Abwärtsspirale. Die Deflation sorgt dafür, dass die Steuereinnahmen zurückgehen, während die Kosten für die Staatsschulden einen immer größeren Teil des Staatshaushaltes ausmachen. Will der Staat nicht durch eine Finanzierung auf Pump die Schulden noch weiter in die Höhe treiben - und damit für die Folgeperioden noch höhere Finanzierungskosten aus dem Haushalt decken - muss er unweigerlich die Ausgaben zurückfahren. Dies wirkt allerdings nicht nur konjunkturhemmend, sondern auch deflationär. Egal, was der Staat macht, er kann das Land nicht aus dieser Abwärtsspirale führen. Die neue japanische Regierung sitzt wie ein paralysiertes Kaninchen im Scheinwerferkegel des entgegenkommenden Autos - alles, was sie tun kann, ist zu hoffen, dass das Auto im letzten Moment ausweicht.
Die Deflationsrate ist schockierend. Die Schuldendynamik ist erschreckend und es besteht das Risiko einer Abwärtsspirale.
Russell Jones, Analyst von RBC Capital Markets
Schulden außer Kontrolle
Die Sparquote der Japaner betrug 1990 noch 15%, heute beträgt sie gerade einmal 2% und nähert sich so langsam dem Nullpunkt. Ein Großteil der japanischen Staatsschulden ist in der Hand des 1,5 Billionen US-Dollar schweren staatlichen Pensionsfonds. Dieser Premiumkunde für japanische Staatsanleihen droht nun als Käufer auszufallen, da er Monat für Monat netto Staatsanleihen verkaufen muss, um seinen Zahlungsverpflichtungen an die Pensionäre nachzukommen. Im letzten Jahr haben vermehrt die japanischen Großbanken die Rolle des Staatsfinanzierers übernommen, aber da auch sie marktwirtschaftlichen Gesetzen unterliegen, ist auch hier bald ein Ende der Aufopferungsfähigkeit in Sicht. Das größte Risiko für die japanische Volkswirtschaft liegt nun darin, dass das Angebot an Staatsanleihen die Nachfrage so weit übersteigt, dass sich die Verzinsung dieser Papiere erhöhen muss. Wenn der japanische Staat für alle seine ausstehenden Staatsanleihen 3 bis 4% Zinsen zahlen muss, würde dies die Staatsfinanzen vollends ruinieren. Da wundert es kaum, dass das japanische Finanzministerium nun kräftig die Werbetrommel rührt und sogar in den Tokyoter Taxis bereits für Staatsanleihen wirbt.
Die japanische Verschuldung ist außer Kontrolle geraten. Es besteht ein reelles Risiko, dass Japan seinen Zahlungsverpflichtungen nicht wird nachkommen können.
Simon Johnson, ehemaliger Chef-Ökonom des IWF
Platzt die Bondblase?
Die Märkte sind unerbittlich, wenn sie erkennen, dass ein kapitales Opfer bereits waidwund ist. Um sich gegen den Ausfall japanischer Staatsanleihen abzusichern, sind bereits Risikoaufschläge von 35 bis 63 Basispunkten nötig - für deutsche und amerikanische Staatsanleihen werden 21 bzw. 22 Basispunkte verlangt. Problematisch an dieser Dynamik ist, dass sie vom starken Yen beeinflusst wird, da Kreditversicherungen meist in Dollar gezeichnet werden. Auf den Märkten gibt es daher bereits die ersten Spekulanten, die im großen Stil gegen Japan wetten. Einer dieser Spekulanten ist David Einhorn, der in der Branche bekannt wurde, als er als Erster gegen Lehman Brothers wettete und damit stolze Gewinne einfahren konnte. Einhorn ist davon überzeugt, dass Japan den kritischen Punkt bereits überschritten hat und nicht mehr umkehren kann. Für ihn steht fest, dass die japanische Bondblase platzen und eine Schuldenkrise auslösen wird. Sollte es soweit kommen, wird dies die ganze Weltwirtschaft erschüttern. Der Ausfall der zweitgrößten Industrienation ist ein Szenario, gegen das die Lehman-Pleite eine Petitesse ist.
Auswege aus der Krise?
Viel kann die japanische Regierung nicht tun, um sich gegen die drohende Abwärtsspirale zu wehren. Als erster Schritt käme hier der massive Aufkauf von Dollarnoten in Frage. Nur wenn Japan den Yen schwächt, kann sich die Situation zum Besseren wenden, da davon nicht nur der Export profitiert, sondern auch die Deflation über steigende Verbraucherpreise in den Griff zu bekommen wäre. Ein weiterer Ausweg besteht in einem Anwerfen der Geldpresse. Es gibt in Japan schon Überlegungen, die Neuverschuldung über die Notenbank zu refinanzieren. Fiskalpolitisch sind den Japanern zumindest die Hände gebunden - seit Ewgikeiten rangiert der Leitzins nahe Null und negative Zinsen wird es auch im Land der letzten Samurai nicht geben.