Jeder kann Physik

Bild: Jason Fischer/JHU

Das Verständnis für physikalische Vorgänge ist direkt im Gehirn eingebaut - Forscher wissen nun auch wo

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"In Physik war ich nie gut", "Physik kann ich nicht" - solche pauschalen Aussagen hört man zwar immer wieder, wahrer werden sie durch die ständige Wiederholung aber auch nicht. Wir leben in einer Welt, deren Funktionsweise von den Gesetzen der Physik bestimmt wird. Wer sich Kaffee eingießt, einen Ball fängt, ein Fahrrad lenkt oder auch nur auf die Toilette geht, braucht dazu stets Kenntnisse der Physik. Ein Mensch, der wirklich keine Ahnung von Naturwissenschaft hätte, wäre kaum lebensfähig.

Intuitive Physik

Glücklicherweise ist es für den Alltag normalerweise nicht nötig, bewusst physikalische Formeln zu benutzen. Das Gehirn nimmt zwar sogar sehr aufwändige Berechnungen vor, aber davon bemerken wir nichts. Diese Fähigkeit erwirbt es in der Kindheit.

Wenn der Vater dem Baby einen Ball entgegen rollt, erhält es seine erste Lektion in Dynamik. Seinen Nuckel immer wieder zu Boden zu werfen und ihn von willigen Sklaven aufgehoben zu bekommen, lehrt nicht nur etwas über Verlässlichkeit, sondern auch über die Gesetze des freien Falls.

Dass der Schulunterricht in Physik manchen derart schwer fällt, hat vielleicht sogar mit diesem intuitiven Erwerb einer physikalischen Weltsicht zu tun: Versuchen Sie doch mal, bewusst (wie damals in der Fahrschule) zu schalten und anzufahren - womöglich fühlen Sie sich in die alten Zeiten als Fahranfänger zurückversetzt. Geben Sie zuerst Gas und kuppeln dann? Oder andersherum? Müssen Sie nicht zunächst vom Gas herunter gehen?

Doch wo genau bewahrt das Gehirn sein physikalisches Wissen auf - und könnte es tatsächlich Menschen geben, die prinzipiell für Physik ungeeignet sind? Das haben US-Forscher experimentell untersucht. Die Ergebnisse veröffentlicht nun PNAS.

Der Planungsbereich

Zunächst ließen die Wissenschaftler ihre Probanden unter dem fMRT Videos ansehen, auf denen mit den bekannten Jenga-Türmen hantiert wurde. Dazu mussten die Testpersonen entweder die Zahl verschiedenfarbiger Bausteine schätzen (keine Physik) oder in welche Richtung der Turm kippt (Physik).

In einem zweiten Versuch zeigten die Forscher den Probanden Videos von auf dem Bildschirm umherspringenden Punkten. Diesmal sollten die Testpersonen bewusst auf physikalischer oder auf sozialer Grundlage vorhersagen, in welche Richtung sich die Punkte als nächstes bewegen würden.

In beiden Fällen war, wenn es um Physik ging, vor allem der Bereich des Gehirns aktiv, der sich mit der Planung von Handlungen befasst, der prämotorische Cortex und das supplementär-motorische Areal. Die Forscher vermuten, dass die räumliche Lage kein Zufall ist: Kleinkinder erlernen physikalische Modelle ihrer Umgebung am intensivsten, wenn sie damit interagieren und sich bewegen.

In einem dritten Versuch ließen die Wissenschaftler ihre Probanden ohne konkrete Instruktionen Filme anschauen - solche mit viel physikalischem Inhalt und solche ohne. Auch wenn die Testpersonen die Inhalte nur nebenbei konsumierten, ohne darüber nachzudenken, waren die in den Versuchen 1 und 2 angesprochenen Gebiete besonders aktiv.

Das menschliche Gehirn befasst sich offenbar ständig mit Physik - selbst wenn sein Besitzer die Naturwissenschaft gar nicht mag. Das Paper liefert aber auch eine Entschuldigung: Menschen, deren Gehirn im entsprechenden Bereich geschädigt ist, haben Probleme, unbewusst physikalische Einschätzungen abzugeben - so wie andere vielleicht die Emotionalität von Gesichtsausdrücken nicht zuordnen können.