Joe Biden und Kamala Harris: Neue Außenpolitik?
Würden die USA nach einem Wahlsieg von Biden zu einer ausgeprägteren Interventionspolitik zurückkehren?
Mit der Wahl von Kamala Harris als "running mate" beendete Joe Biden gestern einen Zwischenakt des großen Schauspiels US-Präsidentschaftswahl. Die Frage, wen er als Vizepräsidentschaftskandidatin nominieren würde, wurde mit großer Spannung versehen, letztlich aufgrund der Schwächen, die der Spitzenkandidat der Demokraten zeigt. Seine aktuell guten Siegesaussichten verdankt er mehr einer Anti-Trump-Stimmung als überzeugenden eigenen Stärken.
Daher wurden die Erwartungen hochgeschraubt, wer seine politischen Schwächen als Vizepräsidentin - dass es eine Frau sein würde, hatte Biden schon länger angekündigt - wettmachen könnte. Ein bloßer Repräsentationsposten muss das nicht sein. Es gab in der jüngeren Geschichte der USA schon einmal einen Vizepräsidenten, so Dick Cheney, der die Politik von George W. Bush deutlich prägte. Ob sich Kamala Harris zu einer derart bestimmenden politischen Kraft entwickeln könnte, lässt sich nicht sagen.
Vieles deutet darauf hin, dass das Team Biden/Harris eine Fortsetzung der Obama-Administration bildet. Das ist sicher ein großes Ärgernis für Trump, dem es in seiner bisherigen Amtszeit sehr daran lag, möglichst alle kennzeichnenden politischen Hinterlassenschaften des Vorgängers auszulöschen. Die ersten Reaktionen von Trump auf die Vizepräsidentschaftskandidatin, die auf Beschimpfungen hinauslaufen und den Aufkleber "radikale Linke", zeigen - wie auch andere Reaktionen ("Biden unterstützt die Scharia") aus dem Unterstützerlager der Medien -, dass es jetzt in den nächsten furiosen Akt des Wahlkampfes geht.
Doch wie schaut der politische Hintergrund zur Angstmache vor einer "Machtübernahme der radikalen Linken" aus, welche außenpolitischen Positionen sind von einer neuen Präsidentschaft zu erwarten, wie ist Kamala Harris orientiert? Unter der Annahme, dass sie eine starke Vizepräsidentin unter einem schwachen Präsidenten sein könnte, sind ihre Positionen relevant.
Iran
So heißt es immer wieder, dass die Führung in Iran Hoffnungen auf die Abwahl von Donald Trump setzt. Wie groß diese Hoffnungen tatsächlich sind, wissen nur Insider, aber dass man sich in Teheran größere politische Verhandlungsspielräume als unter Trumps Politik des "maximalen Drucks" erhofft, ist plausibel.
Geht es nach einem Bericht von al-Monitor, so sprach sich Kamala Harris bisher für eine Rückkehr der USA zum Nuklearabkommen mit Iran (JCPOA) aus. Das würde letztlich darauf hinauslaufen, dass die Sanktionen zurückgenommen werden und würde zu einer Entspannung beitragen. Allerdings zeigte Harris im internen Vorwahlkampf der Demokarten, dass sie in einigen Positionen ihrer vorhergehenden Karriere realpolitisch "flexibel" ist.
Hört man sich an, was Jake Sullivan, der als eine der zentralen außenpolitischen Berater Bidens gilt, zum JCPOA ausführt, so wird die Biden-Administration ebenfalls eine Neuverhandlung mit Iran anstreben. Nur eben nicht aufgehängt an solchen unannehmbaren Bedingungen, wie sie Pompeo ausgesprochen hat.
Aber dass die Sanktionen auf eine derartige Weise Wirkung gezeigt hätten, hat Jake Sullivan nach seinen Worten überrascht, so dass sie sich auch als effektvolles Werkzeug bestätigt haben. Die Drohung damit wird bleiben. Interessant ist, dass Sullivan zwar die Verhandlungen zu Sachfragen des iranischen Nuklearabkommen - anders als die Trump-Administration - von dem anderen Thema, dem Einfluss Irans in der Region, trennen will, aber er wird darauf pochen, dass auch das verhandelt wird (Ergänzung: Auch Kamala Harris äußerte sich in diesem Sinne).
Israel
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Harris hier ein grundlegend anderes Konzept verfolgen wird. Im Hintergrund stehen beim Thema Iran und Nuklearprogramm die Schutzinteressen Israels. Die Unterstützung gegen Iran, die Hisbullah und die Hamas, soll felsenfest ("rock solide") bleiben, wie Kamala Harris bei einem Auftritt vor der Lobbyorganisation Aipac verkündete. Sie unterstützt eine jährliche Militärhilfe an Israel in Höhe von 38 Milliarden für die weitere Dekade.
Nun gibt es innerhalb der jüdischen Wählerschaft, die den Demokraten nahestehen, wie auch innerhalb der Demokraten unterschiedliche Positionen zur Annexion großer Teile des Westjordanlandes und zum "großen Friedensplan", mit dem Trump-Schwiegersohn Jared Kushner über grundlegende palästinensischen Anliegen hinwegfährt und sie ignoriert. Wie sich Joe Biden und Kamala Harris aus diesem mit Expansionsinteressen verbundenen Schlamassel befreien, wird sich erst zeigen, wenn es realpolitisch ernst wird.
Neben der Haltung zum Nuklearabkommen mit Iran und dem Problem, wie israelische und palästinensische Forderungen politisch abgeglichen werden können, gibt es die Kernfrage danach, wie es Biden und Harris mit US-Interventionen halten werden.
Das Pentagon
Wie werden sich die USA unter dieser Führung in Syrien verhalten, werden sie die Truppen dort lassen oder abziehen? Und in Afghanistan, werden sie am Abzug, den die Trump-Administration auf den Weg gebracht hat, festhalten? Im Wahlkampfteam von Harris finden sich leitende Berater des Hillary Clinton-Teams, die Verbindungen sind da. Wird sich das auch in der außenpolitischen Orientierung zeigen? Wie würde sich eine neue US-Regierung im Kampf um den Einfluss im Libanon verhalten? Die jetztige Regierung will dort eine Sanktionspolitik starten, um die Hizbollah zu schwächen.
Der Amtsinhaber Trump ist auf starke gegnerische Fraktionen seiner Ab- und Rückzugspolitik gestoßen, im Grunde gibt Pompeo Ton und Linie der Außenpolitik an. Es wird nicht erwartet, dass Joe Biden und Kamala Harris sich am übergroßen Pentagon-Budget "vergreifen". Anders als es etwa Sanders ankündigte, kommt von diesen beiden keine Äußerung über Kürzungen des Budgets für das Verteidigungsministerium. (Ergänzung: Die als Favoritin für den Pentagon-Chefposten im Biden-Lager gehandelte Michèle Flournoy ist sehr für teure game-changing technology, um die "schwindende Abschreckungskraft" wieder aufzustocken... Flournoy gilt als Interventionistin.)
Transatlantiker dürften sich Hoffnungen auf Verbesserungen des Verhältnisses machen, Julianne Smith gehört zum engen außenpolitischen Beraterstab Bidens.