"Jörg Haider" und "schwul" auf Google
Kann das Netz ein vermeintliches Doppelleben erhellen?
Es hat doch auch sein Gutes, dass wir uns unsere Wirklichkeit ergoogeln können: Was uns die (österreichischen) Massenmedien vorenthalten oder wo sie sich in eindeutig-uneindeutigen Anspielungen verlieren, dort kann mit Hilfe der Suchmaschine weiterrecherchiert werden.
Klar, Jörg Haiders sexuelle Neigungen und potenzielles Doppelleben à la Rudolph Moshammer und Walter Sedlmayr – wen kümmert's jetzt noch? Was die tausenden Wähler von Haider aber schon kümmern sollte: Nach welchen Kriterien hat Österreichs oberster Saubermann und Kämpfer für Anstand, Redlichkeit und Gerechtigkeit sein Führungspersonal, die "Buberlpartie", eigentlich ausgesucht? Warum haben die Leitmedien des Landes vor knapp einem Jahrzehnt entschieden, Jörg Haider nicht zu outen? Und drittens, etwas komplexer: Was ist der latente Zusammenhang zwischen Homosexualität, Feschismus und Faschismus?
Der nationale ORF traut sich noch nicht. Er berichtet über Haiders letzte Stunden, nennt aber nicht das Klagenfurter Lokal, in dem der Landeshauptmann zuletzt verkehrt ist. Die Online-Ausgabe der Kärntner Bundesländerredaktion nennt das Lokal "Stadtkrämer" zwar beim Namen, schreibt aber dennoch weiter zaghaft, dass Haider "mit einer Runde einen Geburtstag gefeiert" habe.
Wer nun den Namen des Lokals googelt und den obersten Treffer anklickt, den empfängt die Webseite gleich mit den Worten "Das Schwulen Lokal in Klagenfurt!". Dass Haider kurz vor seinem Tod offenbar in einem Schwulen-Lokal war, wird mittlerweile ganz konkret im Blog "Der Rote Salon" behauptet.
Ein Doppelleben?
Zunächst sagt ein Beislbesuch rein gar nichts über die angeblichen sexuellen (Zweit- oder Primär-)Neigungen des verunglückten Landeshauptmanns aus. Auch der Autor dieser Zeilen verkehrte in Salzburg jahrelang im Schwulen- und Lesbenlokal seiner Heimatstadt – einfach auf Grund der schrägen Musik und der großstädtisch-freakigen Atmosphäre in der ansonsten langweiligen Mozartstadt.
Mag sein, dass Jörg Haider ein Alternativprogramm zum ewigen Grinsen im Kärntner Anzug brauchte – und das wäre ja wirklich nachvollziehbar und zutiefst menschlich.
Wahrheitsfindung im Netz?
Wenn es da nicht bereits seit Beginn der neunziger Jahre hartnäckige Gerüchte gäbe, die die Homosexuellen-Initiative Wien auch online dokumentiert hat. Das Problem, das es nunmehr aufzuarbeiten gilt, wird nicht jenes sein, dass Haider vermutlich homosexuelle Neigungen hatte und diese offenbar auch mit wechselnden Partnern – durchaus bekannten Namen aus seiner Partei – auslebte. Vielmehr stellen sich – auch für die zukünftige Geschichts- und Politikwissenschaft – folgende Fragen:
- Nach welchen Kriterien rekrutierte Haider sein Personal, die so genannte Buberlpartie? Spielten hier auch Faktoren eine Rolle, die in Zusammenhang mit Haiders möglichen Neigungen standen? Wenn diese Faktoren mit Fragen der Sachkompetenz vermischt wurden, dann könnte das wohl dazu führen, dass der große Kämpfer gegen Proporz und Freunderlwirtschaft in Österreich einmal in einem ganz anderen Licht gesehen werden wird.
- Warum haben Österreichs Leitmedien Jörg Haiders mögliches Doppelleben nicht bereits um 2000 geoutet? In der Medienszene geht das Gerücht um, die führenden Blattmacher wie Wolfgang Fellner und Hans Dichand hätten sich dagegen entschieden, weil man mit Haider am Cover auch noch in den Folgejahren Geschäfte machen wollte. Was würde dies für die Ethik der österreichischen Massenmedien bedeuten? (Einen erfolglosen Politiker würde man outen, einen erfolgreichen nicht?)
Massenmediales Spiel der Anspielungen
Bis heute geht man ja in den österreichischen Massenmedien den Weg der nicht enden wollenden Anspielungen und Metaphern. So war etwa jüngst in der "Wiener Zeitung" über den letzten "Lebensmenschen" von Jörg Haider, über Stefan Petzner, einen Publizistik-Studenten an der Universität Klagenfurt, zu lesen:
Der erst 27-jährige Haider-Intimus, dessen stets braungebrannte, modisch gekleidete Erscheinung Reminiszenzen an Haiders alte 'Buberlpartien' weckt, scheint wie verloren in seiner Trauer um seinen 'besten Freund'.
Wiener Zeitung vom 13. Oktober 2008
Sollten hier nur böse, in die Irre geführte Interpreten einen Subtext herauslesen, ist alles gut. Sollte der Subtext allerdings von den Journalisten intendiert worden sein, dann stellt sich schon die Frage, warum die österreichischen Medien die Dinge nicht klarer aussprechen wollen/können/dürfen. Denn gerade der derzeitige Kurs der Anspielungen nährt noch mehr die Gerüchteküche und wirkt letztlich verhöhnender als das Aussprechen einer möglichen "Wahrheit", wie auch immer diese konkret aussehen möge.
Klaus Wowereit, Guido Westerwelle, Cornelia Scheel und zuletzt Anne Will und Miriam Meckel haben sich zu ihren gleichgeschlechtlichen Neigungen bekannt – in allen Fällen hat es den Karrieren eher genützt als geschadet (warum sollte es auch anders sein?). In Österreich ging offenbar der größte Kämpfer für Ehrlichkeit und Anstand und auch gegen gewisse Minderheiten den Weg eines unausgesprochenen, aber Insidern bestens bekannten Doppellebens. Was sagt das über die Scheinmoral im Land aus?
Gilt Schwulsein in Österreich immer noch als peinlich? Oder war es neben ökonomischen Erwägungen der Massenmedien vor allem auch das mutmaßliche Doppelleben von Jörg Haider mit Gattin und zwei Töchtern, das ein Outing von vornherein verunmöglichte? Und schließlich: Wollte man aus den Gerüchten nie offizielle Wahrheiten machen, weil dann das Saubermann-Image von Jörg Haider schnell zusammengebrochen wäre? Vielleicht war es genau der (ein wenig typisch österreichische) verklemmte Umgang mit möglichen abweichenden Wahrheiten, der den kometenhaften Aufstieg Haiders erst ermöglichte.