Journale, Impact Factor, radikale Monopole und Karrieren

Entgeltfreier Zugang zu wissenschaftlichen Informationen - Teil 2

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Die öffentliche Hand finanziert Forschung und Forscher. Die Forscher publizieren die Ergebnisse in Journalen der Verlage - in aller Regel ohne dafür Geld zu erhalten. Bibliotheken müssen den Wissenschaftlern Zugang zu relevanten Forschungsergebnissen ermöglichen und kaufen die Journals bei den Verlagen. Bibliotheken werden auch von der öffentlichen Hand finanziert. Aus Sicht der Financiers erscheint der Prozess wie ein ineffizientes Out-Sourcing, Steuergelder fließen an die Produzenten der Informationen und an die Käufer. Die Wissenschaftler haben wenig Interesse daran, die Situation zu ändern, schließlich besitzen ihre Beziehungen zu den anderen Akteuren ausschließlich neutrale und positive Valenz. Zwischen Autoren und Verlagen fließt zumindest in den meisten Wissenschaftsdisziplinen kein Geld, für die Nutzung der Bibliotheksangebote zahlen Wissenschaftler keine Gebühr und vom Staat erhalten sie Geld. Trotz aller Argumente pro Open Access ist die aktuelle Situation für Wissenschaftler doch ausreichend komfortabel und es besteht wenig Anlass, sie zu ändern - vor allem, wenn man bedenkt, dass diesem Schema die wichtigste Relation fehlt. Zwischen den Verlagen und den Wissenschaftlern existiert eine Verbindung, die für Wissenschaftler von größter Bedeutung ist, eine ausgesprochen positive Valenz hat und zugleich eine Abhängigkeit darstellt: die Gewährung wissenschaftlichen Kapitals. Wer als Wissenschaftler Karriere machen will, muss nicht nur Talent haben, sondern auch in den richtigen Journalen, die über einen hohen Journal Impact Factor (JIF) verfügen, publizieren. Andernfalls wird die Karriere scheitern, die Devise lautet: Publish or Perish. Verlage besitzen ein radikales Monopol: Genauso wenig, wie man sich dafür oder dagegen entscheiden kann zu trinken, um zu überleben, kann sich ein Wissenschaftler ernsthaft dafür oder dagegen entscheiden, in einem wichtigen Journal seines Fachs zu veröffentlichen. Schließlich stattet das Publizieren in diesen Journals die Wissenschaftler mit wissenschaftlichem Kapital aus.

Warum nutzen Wissenschaftler Open Access zögerlich, selbst wenn es keine rechtlichen Hindernisse gibt und er ihnen erhöhte Zitationszahlen und weite Verbreitung ihrer Ergebnisse sichert? Robert Kiley und Robert Terry vom Wellcome Trust (einer Fördereinrichtung für medizinische Forschung in Großbritannien) leiten diese Trägheit aus der Position der Wissenschaftler ab.

Wissenschaftliches Kapital und Open Access: Interne Hindernisse

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu unterscheidet drei Arten Kapital: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Kulturelles Kapital besteht in Form von Bildung und von in Bildungsinstitutionen angeeignetem Wissen. Soziales Kapital bezeichnet Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und auf einem Netz von Beziehungen basieren. Generell hat das ökonomische Kapital eine dominierende Wirkung gegenüber den anderen Kapitalarten. Je nach gesellschaftlichem Feld kommen feldspezifische Kapitalarten hinzu, die die Dominanz des ökonomischen Kapitals brechen können. Ein Feld ist eine soziale Welt wie andere auch, sie gehorcht aber spezifischen sozialen Gesetzen. Im wissenschaftlichen Feld kommt zu den drei genannten Kapitalarten das wissenschaftliche Kapital hinzu. Dieses Kapital wird vor allem über das Publizieren in JIF-starken Journalen akkumuliert. Es ist das Ticket, das den Zugang zu Karrierechancen ermöglicht. Diese Abhängigkeit macht es schwierig, einen ausreichenden Anreiz zum Publizieren in Open-Access-Journalen zu erreichen: Sie existieren in aller Regel noch nicht lange genug, um mit einem JIF versehen worden zu sein. Nachwuchswissenschaftler werden daher alten Mustern folgend das Publizieren in konventionellen, fachlich anerkannten Journals anstreben.

Die Stellung des JIF als unantastbares Kriterium für die Qualität wissenschaftlicher Information muss allerdings relativiert werden. Der Wert des JIF ist symbolischer Art und beruht einzig auf der Anerkennung durch relevante Personen und Institutionen innerhalb des wissenschaftlichen Feldes. Die Publikationsliste ist einzig wegen dieser Anerkennung ein gültiger Tauschwert, dessen Zweck die Transformation in Zugangschancen ist. Außerdem ist die Bedeutung des JIF sozial konstruiert: Er dient als Regulationsmechanismus beim Zugang zu oder beim Vorenthalten von Chancen. Diese Chancen bezeichnen die Wahrscheinlichkeit, in den Genuss von Privilegien zu kommen, etwa in Form lukrativer Berufungen, Projektbewilligungen oder Gutachtertätigkeiten. Damit sind materielle Profite wie höheres Einkommen oder Gefälligkeiten aus nützlichen Beziehungen und symbolische Profite wie fachliche Anerkennung oder Mitgliedschaften in Gremien verbunden. Der JIF ist vor allem ein Regulationsmechanismus in der Verteilung von Privilegien.

Bei etablierten Wissenschaftlern lässt sich das Verharren in konventionellem Publikationsverhalten anders erklären. Wissenschaftliches Kapital und wissenschaftliche Karrieren sind das „Ergebnis einer Investition (...), die sich auszahlen muss. Und diejenigen, die diese Berechtigungsscheine in der Hand halten, verteidigen ihr 'Kapital' und ihre 'Profite', in dem sie diejenigen Institutionen verteidigen, die ihnen dieses 'Kapital' garantieren.“ (Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht, 1997, S. 23). Deutlicher Beleg: Veröffentlichungen in Open-Access-Journals werden bei der Leistungsbewertung in Universitäten nicht berücksichtigt.

Eine Veränderung ist kurzfristig nicht in Sicht: Die ungleiche Verteilung des Kapitals ist essenziell für jedes, auch das wissenschaftliche Feld und daher sakrosankt. Akteure, die von den Verteilungsmechanismen profitiert haben, haben wenig Interesse daran, die Mechanismen oder die Ungleichheit zu beseitigen. Die ungleiche Verteilung wissenschaftlichen Kapitals gibt ihnen die Fähigkeit zur Aneignung von Profiten und zur Durchsetzung von Regeln. Die Akzeptanz von Open Access wird gering sein, solange Open Access die anerkannten Regeln der Kapitalakkumulation nicht unterstützt oder sie gar gefährden könnte. In dieser Form wird Open Access vorrangig von Personen unterstützt, die eine Änderung der Verteilungsmechanismen oder eine Umverteilung des wissenschaftlichen Kapitals befürworten.

Die Befürwortung oder Ablehnung von Open Access folgt demnach nicht wissenschaftlicher Logik, sondern einer feldunabhängigen Logik der Akkumulation von Kapital. Um Open Access zum Erfolgsmodell werden zu lassen, ist die Unterstützung der Wissenschaftskapitalisten nötig:

Revolutionen, das ist eine (...) paradoxe Besonderheit wissenschaftlicher Felder, sind dort Sache der Kapitalisten. Es gibt hier keine Revolutionen der Autodidakten oder Naiven.

Pierre Bourdieu im Interview mit Frank Nouchi, 1993

Digital Divide & Informationsarmut, Ethnozentrismen, Demokratie: Externe Wirkungen

In der Open-Access-Diskussion werden meist aber nicht nur feldimmanente Faktoren ignoriert, auch externe Wirkungen werden kaum berücksichtigt. Überlegungen wie die von Jutta Haider finden sich kaum. Haider untersucht Ungleichverteilungen, aber deutlich abweichend von der gängigen, teils mit Ethnozentrismen durchsetzten Open-Access-Diskussion. Die Vorteile, die sogenannte Entwicklungsländer von der kostenlosen Nutzung der in Westeuropa oder den USA produzierten Informationen haben, leuchten den meisten ein, wenn zum Beispiel von Public Health Informationen oder wissenschaftlichen Rohdaten die Rede ist, deren Verwendung immense Kosten für das Design und die Durchführung eigener Studien erspart. Allerdings bleibt die Frage offen, inwiefern die Antworten der in diesen Untersuchungen erhobenen Daten den Fragen der sogenannten Entwicklungsländer angemessen sind.

Haider widmet sich den in der Open-Access-Diskussion virulenten Aspekten der Ungleichverteilung von Information und den damit verknüpften Konzepten. Wenn Ungleichheiten bei Open Access Berücksichtigung finden, dann innerhalb der Digital-Divide-Thematik, bei der Open Access als Beitrag zur Verringerung der Informationsarmut gesehen wird. Haider wendet auf den Begriff der Informationsarmut Foucaults Konzept des Diskurses an. Bei Foucault bezeichnet der Diskurs das sich in der Sprache niederschlagende und perpetuierende Verständnis von Wirklichkeit. Die Regeln des Diskurses legen für einen bestimmten Kontext oder einen Begriff fest, was sagbar ist, was gesagt werden soll, was nicht gesagt werden darf und welcher Sprecher was wann sagen darf. Der Diskurs ist eng mit Macht verknüpft, er gibt vor, die Realität zu beschreiben, schreibt sie aber vor. In der Digital-Divide-Diskussion erscheinen von Informationsarmut betroffene Länder als Objekte, als Ziel der Transmission von Information: Wer informationsarm ist, bleibt passiv und wird Objekt einer Intervention durch Experten. Als Wohltäter gerieren sich dabei die Information Professionals, Informationswissenschaftler und Bibliothekare – nicht zufällig die stärksten Open-Access-Befürworter. Diese Konstruktion prägt die Realität durch Unterordnung der Entwicklungsländer unter das mit Macht versehene, postulierte Expertenwissen der privilegierten westlichen Welt. Diese Hierarchisierung produziert wieder Macht und Kontrolle über die Entwicklungsländer. Wird Open Access in dieser Art als Werkzeug zur Verringerung des Digital Divide konzeptionalisiert, kann er die Abhängigkeiten der Entwicklungswelt sanktionieren und asymmetrische Machtbeziehungen verfestigen - legitimiert von einer angenommenen Informationsarmut, deren Reduktion als moralisch nötig erscheinen soll. Letztlich wird eine Extrapolation abendländischer Muster in (aus abendländischer Perspektive) als benachteiligt und abhängig beschriebene Regionen unter dem Deckmantel des Humanitarismus verwirklicht.

Allerdings bietet Open Access Wissenschaftlern aus Entwicklungsländern auch die Möglichkeit, ihre eigenen wissenschaftlichen Informationen entgeltfrei zugänglich zu machen und ihnen zu sekundenschneller globaler Verbreitung zu verhelfen. Open Access bietet damit auch die Chance, aktiv die Wissenschaftsdiskussion zu prägen. 2005 untersuchte Jutta Haider die Verteilung der Produktion von Open-Access-Journals und kommt zu dem Ergebnis, dass in Entwicklungsländern signifikant mehr Open-Access-Journals erscheinen als in entwickelten Nationen. Auch wenn Faktoren wie teils hohe Autorengebühren für das Veröffentlichen in anerkannten Open-Access-Journals und fehlende technische Mittel das aktive Open-Access-Publizieren in Entwicklungsländern immer noch behindern, bietet es Forschern aus diesen Ländern die Möglichkeit, einfacher als bisher von der Rolle der Wissenschaftskonsumenten in die der Wissenschaftsproduzenten zu wechseln.

Im globalen Maßstab sollte daher nicht nur der Zugang zu Informationen frei sein, um eine informierte Diskussion und Öffentlichkeit herzustellen. Ein ausgedehntes, offenes Demokratie- und Open-Access-Modell gewährleistet nicht nur Rezeptionsmöglichkeiten, sondern genauso die Möglichkeit zur Publikation und Publizität, denn „in einer demokratischen Gesellschaft hat die Bevölkerung die Möglichkeit, sich auf sinnvolle Weise an der Regelung ihrer Angelegenheiten zu beteiligen und besitzt ungehinderten Zugang zu den Informationsmitteln.“1 Dass eine Verbindung zwischen Produktion, Verbreitung und Zugang zu Informationen und Demokratie besteht, erkannte einer der ersten Open-Access-Förderer, der Investmentbanker George Soros schon in den 80er Jahren, lange vor der Open-Access-Debatte: Um zensierte Informationen im kommunistisch beherrschten Ungarn zu verbreiten, ließ der Exil-Ungar Soros Hunderte von Kopierern ins Land schmuggeln, die der Vervielfältigung von regimekritischen Flugblätter dienten.