Journalismusdämmerung? Für Online-Nachrichten will kaum jemand zahlen
Eine international Reuters-Studie sieht sinkendes Vertrauen in Medien, steigende Abo-Müdigkeit und Nachrichtenabstinenz. Statt Nachrichten werden Unterhaltungsangebote wie Spotify oder Netflix abonniert
Schlechte Nachrichten für Nachrichtenmedien. Nach dem Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism, für den 17.000 Menschen in 38 Ländern von YouGov online befragt wurden, sinkt die Bereitschaft, für Online-Nachrichten zu zahlen. Smartphones und mobile Internetzugänge hätten die Geschäftsmodelle vieler Nachrichtenmedien während der letzten 20 Jahre zerstört und zu sinkenden Einkünften und Entlassungen geführt. Und dann wollen die Menschen angeblich nicht für Online-Nachrichten bezahlen, es habe in den letzten Jahren bestenfalls einen kleinen Zuwachs der Zahlungswilligen gegeben.
Nach einem "Jahrzehnt der digitalen Disruption" würden Nachrichtenmedien zunehmend versuchen, Zahlschranken einzuführen und Bezahlmodelle über Abos, Mitgliedschaften oder Spenden zu entwickeln. Zudem gebe es einen Hype über Podcasts und Sprachnachrichten etwa über Amazon Echo und Google Home. Aber es würde auch in einigen Ländern darüber nachgedacht, ob Qualitätsjournalismus in Zukunft noch machbar sein wird. Zwar würden in nordeuropäischen Ländern mehr Menschen bereit sein, für Online-Nachrichten zu zahlen, ein Problem aber ist, dass in der Regel nur ein Online-Abo gezahlt wird. In Deutschland sagen 70 Prozent von denjenigen, die für Online-Nachrichten zahlen, dass sie nur ein Abo haben, nur 10 Prozent sind bereit, für drei oder mehr zu zahlen. Das fördere große Medien und benachteilige kleinere.
Die Rede ist auch von einer sich ausbreitenden Abo-Müdigkeit in vielen Ländern. Die könnte gerade bei Online-Nachrichtenmedien verstärkt werden, wenn die Nutzer zunehmend auf mehr Bezahlschranken stoßen und davon abgeschreckt werden bzw. zu Angeboten von Nachrichtenaggregatoren wie Apple News gehen, von denen sie gegen ein Abo auf mehrere Nachrichtenmedien zugreifen können.
Unterhaltung statt Nachrichten
Wenn Abos noch begonnen werden, dann eher im Unterhaltungsbereich wie bei Netflix oder Spotify. Von den Unter-45-Jährigen würden sich nur 7 Prozent für ein Abo von Online-Nachrichten entscheiden, wenn sie nur ein Online-Abo auswählen könnten. 37 Prozent würden sich für Online-Video wie Netflix und 15 Prozent für Online-Musik wie Spotify entscheiden.
In neun Ländern, in denen die Zahl der für Nachrichten zahlenden Nutzer (Abos, Mitgliedschaften, Spenden, Einmalzahlungen) seit 2013 erhoben, ist deren Zahl bei 11 Prozent stabil geblieben: "Die meisten Menschen sind nicht bereit, für Online-Nachrichten zu zahlen. Nach den gegenwärtigen Trends werden sie wahrscheinlich auch nicht in der Zukunft zahlen, zumindest für die Art von Nachrichten, auf die sie jetzt kostenlos zugreifen können."
Ausnahmen seien die USA, wo Trump unfreiwillig eine Kehrtwende verursacht und für steigende Zahlen vor allem bei New York Times und der Washington Post gesorgt hat, sowie Norwegen und Schweden. Während in den USA nun 16 Prozent der Befragten für Online-Nachrichten bezahlen, sind es in Deutschland nur 8 Prozent, in der Schweiz 11 Prozent, in Österreich 9 Prozent. Die Autoren verweisen allerdings auch auf einen Vox-Artikel vom letzten Jahr, nach dem 40 Prozent der neu gewonnenen Abos der New York Times gar nicht primär wegen der Nachrichten, sondern wegen Kreuzworträtseln oder der Koch-Seiten (Cooking with The New York Times). Folge der geringen Bezahlbereitschaft ist wachsende Medienkonzentration.
Galten gerne die Sozialen Netzwerke als Problem für die Nachrichtenmedien, so wird nun die Krise bei Facebook zu einem neuen Problem. Noch verlassen nur wenige Nutzer Facebook ganz, es bleibe für Nachrichten das wichtigste Soziale Netzwerk, aber die Nutzer verbringen weniger Zeit auf Facebook, während WhatsApp und Instagram attraktiver werde. Dadurch werde die soziale Kommunikation privater. WhatsApp ist bereits in einigen Ländern wie Brasilien, Malaysia oder Südafrika zum "primären Netzwerk zur Diskussion und zum Teilen von Nachrichten" geworden.
Insgesamt sinkt das Vertrauen in die Medien weiter, 49 Prozent sagen nur, sie hätten Vertrauen in die Medien, die sie rezipieren. Dass kann allerdings wie in den USA vertrauenswürdigen Medien mehr Leser bringen. In Deutschland ist der Anteil der Menschen, die den meisten Medien trauen, von 60 Prozent in 2015 auf 47 Prozent gesunken. In Frankreich ist das Vertrauen noch stärker um 14 Prozent auf 24 Prozent gefallen, ein Grund waren die Berichte über die Gelbwesten. In den USA hielt sich das Vertrauen - dank Trump? - auf dem niedrigen Level von 32 Prozent. 40 Prozent der befragten Amerikaner geben an, sie hätten letztes Jahr begonnen, zu vertrauenswürdigeren Medien zu wechseln, in Deutschland sagen dies 26 Prozent.
In Deutschland, wo die meisten Menschen ihre Nachrichten aus dem Fernsehen und dort von ARD und ZDF beziehen, erzielen diese auch das höchste Vertrauen, gefolgt von regionalen und lokalen Zeitungen. 22 Prozent nutzen Facebook für Nachrichten, 19 Prozent YouTube, 16 Prozent WhatsApp. 21 Prozent haben im letzten Monat Podcasts gehört.
Manchmal will die Hälfte keine Nachrichten lesen
Allerdings steigt die Zahl der Menschen, die Medien überhaupt vermeiden, das sagen 32 Prozent, die Hälfte, weil Nachrichten bei ihnen schlechte Stimmung oder Hilflosigkeit erzeugen. In Deutschland sind es 26 Prozent. In Kroatien, der Türkei und Griechenland über die Hälfte. Populisten sollen Nachrichten vor allem aus dem Fernsehen beziehen, für Online-Nachrichten verlassen sie sich auf Facebook, während sie vielen Medien Misstrauen entgegenbringen. In Deutschland neigen eher rechte und populistische Menschen zu RTL, SAT1, Bild, Junge Freiheit oder Epoch Times.
Rasmus Kleis Nielsen, der Direktor des Reuters Institute, sagt letztlich, dass die Nachrichtenmüdigkeit auch mit dem Journalismus zu tun hat, wie er heute praktiziert wird: "Ein großer Teil der Öffentlichkeit ist wirklich von einem guten Teil des Journalismus, den sie sehen, abgeschreckt. Sie finden ihn nicht besonders vertrauenswürdig, sie finden ihn nicht besonders relevant und sie finden nicht, dass er sie zu einem besseren Ort bringt." Letzteres ist allerdings ein seltsamer Anspruch, selbst wenn man unterstellt, dass Nachrichten dazu führen sollten, die Welt zu verbessern.