Julian Assange und die Politjustiz Ihrer Majestät

Bild: Anarchimedia (CC BY-SA 2.0)

Das Auslieferungsverfahren gegen den WikiLeaks-Gründer in London erfüllt Merkmale eines politisch motivierten Prozesses

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Das in London laufende Verfahren gegen Julian Assange, den Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, droht vollends zur Farce zu verkommen. Knapp zwei Wochen nach Beginn der Verhandlung über eine mögliche Auslieferung des 49-jährigen australischen Journalisten hat Richterin Vanessa Baraitser den Prozess mehrfach zu Ungunsten des Angeklagten beeinflusst. Beobachter sprechen inzwischen offen von einer politischen Abrechnung mit einem Journalisten, der schwere Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht hat. Dabei steht für Assange viel auf dem Spiel: Die 18 Anklagepunkte der US-Justiz sehen 175 Jahre Haft vor. Selbst die Verhängung der Todesstrafe, sollte der WikiLeaks-Gründer in die Fänge der US-Behörden geraten, ist nicht ausgeschlossen.

Eines der Hauptprobleme der Unterstützer Assanges in diesen und möglicherweise folgenden Verfahren ist das Framing, das die juristische Diskussion um Vorgehen und Verantwortung des Angeklagten überdeckt. So hält sich - unterstützt von der US-Anklage - vehement die These, Assange habe durch seine Veröffentlichungen Menschen gefährdet oder gar Tötungsdelikte begünstigt. Dabei ist dieser Vorwurf bereits im Verfahren gegen die Whistleblowerin Chelsea Manning widerlegt worden.

Auch die Anklage wegen "Verschwörung zum Eindringen in Computer" und Spionage leistet der Kriminalisierung des WikiLeaks-Gründers und seines Projektes Vorschub. Das NDR-Medienmagazin Zapp hat unlängst an zwei Beispielen eindrücklich veranschaulicht, wie Medien – in diesem Fall die britische Tageszeitung The Guardian und der US-Nachrichtensender CNN – entsprechende Darstellungen mit Fake-News untermauern. Im laufenden Verfahren in London haben sich daher gleich mehrere der insgesamt fast 50 Zeugen vehement gegen die Versuche der Kriminalisierung von Assange, WikiLeaks und von Aktivisten im Umfeld der Enthüllungsplattform ausgesprochen.

Namen in Dokumenten unkenntlich gemacht

Der US-Anwalt und Bürgerrechtsaktivist Carey Shenkman kritisierte in London vor allem die Strafverfolgung unter Rückgriff auf das US-amerikanische Spionageabwehrgesetz von 1917 (Espionage Act). Diese Bestimmung sei damals unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs "in einer der repressivsten Phasen der US-Geschichte" entstanden. Sie habe dazu gedient, die Opposition gegen die US-amerikanische Kriegsbeteiligung zu stoppen und gegen Gewerkschaftsführer sowie progressive Politiker vorzugehen, so Shenkman: "Es ist tatsächlich ein politisches Instrument, das in der Vergangenheit der Verfolgung Andersdenkender und der Durchsetzung von Zensur Vorschub geleistet hat."

John Sloboda, der Gründer des Projektes Iraq Body Count, das fortlaufende Statistiken über die Opfer der Irak-Invasion der USA erstellt, trat entschieden der Darstellung der Anklage entgegen, Assange und WikiLeaks hätten mit den Veröffentlichungen Leben gefährdet. Im Jahr 2010 hatte Sloboda mit WikiLeaks bei der Veröffentlichung von gut 400.000 Dokumenten über den Irak-Krieg zusammengearbeitet, der sogenannten Iraq War Logs. Dafür sei eigens eine Software entwickelt worden, die alle Dokumente auf nicht-englische Wörter überprüft und sie entfernt habe. So habe man sicherzustellen versucht, dass keine irakischen Namen an die Öffentlichkeit gelangen. Bei vielen Medienpartnern habe das für Frust gesorgt, weil die Veröffentlichung verzögert wurde, erinnerte sich Sloboda. Dennoch habe Assange auf die automatische Schwärzung der Namen bestanden. Der ehemalige "Spiegel"-Mitarbeiter und heutige NDR-Journalist John Goetz bestätigte diese Darstellung. Er sprach von einem "zuverlässigen" Vorgehen zur Ausfilterung von Namen aus den WikiLeaks-Dokumenten.

So wenig belastbar sich in London die zentralen Argumente der Anklage erwiesen haben, so fragwürdig ist das Vorgehen des Gerichtes. Assange konnte sich mit seinen Anwälten nach deren Darstellung sechs Monate lang nicht beraten, er hatte keinen Zugang zu den Gerichtsakten und konnte die erweiterte Anklageschrift der US-Justiz erst kurz vor dem ersten Verhandlungstag einsehen. "Julian wird jeden Tag um 5 Uhr morgens geweckt, mit Handschellen gefesselt, in eine Arrestzelle gesteckt, nackt ausgezogen und geröntgt", schrieb Assanges Lebenspartnerin Stella Morris auf Twitter. Während der Verhandlungen befinde er sich in einem Glaskasten im hinteren Teil des Gerichtssaals, sodass er seine Anwälte nicht richtig konsultieren könne.

Beobachter ausgeschlossen

Für zunehmenden Unmut sorgt vor diesem Hintergrund der immer massivere Ausschluss von parlamentarischen Prozessbeobachtern sowie Vertretern von Menschenrechts- und Presseorganisationen. Knapp zwei Wochen nach Beginn des Auslieferungsprozesses und nach drei gescheiterten Anträgen, den Prozess begleiten zu können, hat Amnesty International das Gericht nun scharf kritisiert. Die Menschenrechtsorganisation hatte bereits im August einen ersten Antrag auf Teilnahme an dem Verfahren gestellt. Dieser Antrag wurde am 1. September abgelehnt. Eine Justizbeamtin teilte der Menschenrechtsorganisation jedoch mit, dass die Verhandlung per Videoübertragung verfolgt werden könne.

"Als unser Prozessbeobachter am Morgen des 7. September versuchte, die Videoübertragung zu öffnen, musste er feststellen, dass der Link nicht funktioniert", heißt es in einer Erklärung der Organisation. Nachdem er sich beim Gericht erkundigt hatte, sei ihm per E-Mail mitgeteilt worden, dass ihm der Fernzugang entzogen worden sei. Zur Sperrung des Fernzugriffs für Amnesty und etwa 40 andere Gruppen und Einzelpersonen, darunter Parlamentarier aus mehreren EU-Staaten, erklärte Richterin Baraitser, dass sie die Kontrolle über das Geschehen im Gerichtssaal behalten wolle. Zudem sei nach Beginn der Anhörungen im Februar unter Verletzung der Gerichtsregeln ein Bild von Julian Assange vor Gericht online verbreitet worden.

Am 7. September stellte Amnesty einen weiteren Eilantrag bei der Richterin, der umgehend abgelehnt wurde. Wenige Tage später wurde der Prozess wegen der Gefahr einer Corona-Infektion vertagt. Als die Verhandlung am 14. September wieder aufgenommen wurde, reichte Amnesty einen weiteren Antrag ein - diesmal ausschließlich auf Zugang zu einem Ausweichraum. Dieser letzte Antrag wurde am 16. September abgelehnt. Richterin Baraitser betonte, sie wolle keine "Sonderregelung" für den Prozessbeobachter von Amnesty erlassen.

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