Juristen stellen Anerkennung von Venezuelas Gegenpräsidenten in Frage
Gutachten des Bundestags sieht "starke Gründe", die deutsche Politik als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuela zu bewerten
In der laufenden Debatte um den venezolanischen Gegenpräsidenten Juan Guaidó hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Anerkennung des Oppositionspolitikers durch die Bundesregierung und weitere westliche Staaten in Frage gestellt. Es gebe "starke Gründe" für die Annahme, dass es sich bei der Anerkennung Guaidós um eine "Einmischung in innere Angelegenheiten" handelt, heißt es in einer zehnseitigen Ausarbeitung der Bundestagsjuristen. Den Sachstand hat der Abgeordnete der Linksfraktion, Andrej Hunko, in Auftrag gegeben. Die Autoren bezeichnen die Frage, ob die Anerkennung Guaidós als unzulässige Intervention zu bewerten ist, als "durchaus berechtigt".
Das Gutachten hebt hervor, dass für die Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit von großer Bedeutung sei, ob es sich um eine "vorzeitige Anerkennung" handele. Diese liege vor, wenn eine Anerkennung erfolge, "bevor die neue Staatsgewalt sich endgültig durchgesetzt hat". Das Urteil darüber sei allerdings von politischem Ermessen abhängig. Ob die "tatsächlichen Voraussetzungen" für eine vorzeitige Anerkennung vorlägen, wollte der Wissenschaftliche Dienst jedoch nicht beurteilen. Dies könne "mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zweifelsfrei festgestellt werden".
Tatsächlich hat der bisherige Präsident der oppositionell dominierten Nationalversammlung, Guaidó, keine über das Parlament hinausgehende Rückendendeckung. Die Armee, die Justiz, die Wahlbehörde und weitere zentrale Institutionen des Staates stehen weiterhin an der Seite von Präsident Nicolás Maduro. In dieser Situation nutzt Guaidó die Anerkennung ausländischer Regierungen gerade, um seine innenpolitische Position zu stärken. So traf er diese Woche mit europäischen Diplomaten zusammen, darunter mit dem deutschen Botschafter Daniel Kriener. Die Bundesregierung hatte Guaidó unlängst nach einem achttägigen Ultimatum anerkannt. Auch bei dieser Fristsetzung gelten "letztlich die gleichen Leitvorstellungen wie für die Anerkennung selbst", heißt es im Bundestagsgutachten.
Im eskalierenden Machtkampf in Venezuela hatte sich Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) früh auf die Seite des selbsternannten Gegenpräsidenten Guaidó gestellt. "Wir sind nicht neutral in dieser Frage, sondern wir unterstützen das, was Guaidó dort tut", sagte Maas einen Tag nach der Selbsternennung des Oppositionellen.
Die Autoren des Bundestagsgutachtens äußern sich indes auch sehr deutlich zu den militärischen Drohungen der USA. Diese seien mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar: "Die Drohung mit einer militärischen Intervention ist eine Drohung mit Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates. Da die Vereinten Nationen gemäß Art. 2 (1) ihrer Charta auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten beruhen und eine Militärintervention dem Grundsatz der souveränen Gleichheit widerspricht, ist die Drohung auch mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar."
Auch die Äußerung des Nationalen Sicherheitsberaters der USA, John Bolton, der amtierende venezolanische Präsident Maduro könne im US-Folterlager Guantánamo enden, beurteilen die Autoren als rechtswidrig. "Die Drohung mit Inhaftierung im Gefangenenlager der Guantanámo Bay Naval Base kann ebenfalls als Drohung mit physischer Gewalt verstanden werden", heißt es in dem Gutachten.
Die an das Staatsoberhaupt adressierte Botschaft richte sich gegen die politische Unabhängigkeit eines Staates und verletze ebenfalls den Grundsatz der souveränen Gleichheit. Es sei nicht erkennbar, dass die Inhaftierung in Guantánamo nach der Vorstellung des Drohenden auf der Grundlage eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens vor einem persönlich, sachlich und örtlich zuständigen Gericht erfolgen sollte. "Angesichts der bisherigen Praxis verschiedener US-amerikanischer Administrationen könnte der ausdrückliche Bezug auf Guantánamo sogar als Drohung mit einer willkürlichen Inhaftierung zu verstehen sein", heißt es in dem Gutachten weiter. Jedenfalls liege auch diese Drohung im Anwendungsbereich des Artikels 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen.
"Aus meiner Sicht bestätigt das Gutachten, was wir seit Beginn der aktuellen Krise in Venezuela kritisieren: Die Anerkennung Guaidós stellt eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas dar und ist damit völkerrechtswidrig", sagte Andrej Hunko. Es sei völlig offensichtlich, dass Guaidó derzeit über keine reale Macht in Venezuela verfüge. Ihn als Präsidenten anzuerkennen stelle einen "verantwortungslosen Akt" dar, der den ohnehin schon gefährlichen Konflikt weiter verschärfe. "Die Gefahr eines Bürgerkriegs oder einer Militärintervention ist real", so Hunko. Die Bundesregierung hätte vermitteln können. "Stattdessen hat sie sich durch ihre einseitige Parteinahme diskreditiert", sagte der Abgeordnete.
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