(K)ein König wollte Facebook kaufen
Saudi-Arabien fürchtet die Revolution. Ließe sich ein Volksaufstand verhindern, indem Facebook aufgekauft wird? Wie aus Satire ein Gerücht und schließlich eine Nachricht wurde
Alles schien so plausibel: Der König von Saudi-Arabien, einer der reichsten Menschen des Planeten, beobachtet mit Entsetzen die politischen Entwicklungen in Nordafrika. Tunesiens und Ägyptens langjährige Machthaber fielen nach wochenlangem Protest, im vergleichbar liberalen Bahrain brodelt es gewaltig, der südliche Nachbar Jemen droht im Bürgerkrieg zu versinken und selbst die eiserne Faust Gaddafis schreckt eine junge Generation von Arabern nicht mehr ab. Was, wenn der Funke der Revolution auf das saudische Öl-Emperium am Arabischen Golf überspringt? Wäre das Königshaus Saud vor einer ähnlichen Revolte der Jugend gefeit?
Saudi-Arabiens König Abdullah Bin Abdul Aziz al-Saud kam zum Schluss, dass die arabischen Revolutionen des Frühlings 2011 nur durch einen mächtigen Alliierten möglich waren - Facebook. Das soziale Netzwerk wurde zur Waffe der Demonstranten, zum Planungs- und Organisationsraum, Kommunikationsbasis und Verbindung zur Außenwelt. Ägyptens Staatschef Mubarak fürchtete die Facebook-Revolution dermaßen, dass er - einmalig in der Geschichte des World Wide Web - das Internet im gesamten Land abschalten ließ. Es war der verzweifelte Versuch, eine Welle aufzuhalten, die im Internet begonnen hatte und über Facebook und Twitter zu einem Tsunami heranwuchs.
Saudi-Arabiens Jugend hatte bereits einen "Tag des Zorns" am 11.März per Facebook angekündigt. Wer Facebook kontrolliert, so der Schluss des saudischen Monarchen, kontrolliert die arabischen Revolutionen. Um den Aufstand des eigenen Volkes zu verhindern, musste er also Facebook kaufen. Am 25.Januar trafen sich König Abdullah und der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg still und heimlich, um die Rolle des sozialen Netzwerkes in den aktuellen arabischen Protesten zu besprochen. Zuckerberg soll dem arabischen Gast versprochen haben, er werde auf Facebook keine Organisation einer Revolte in Saudi-Arabien zulassen.
150 Milliarden für Facebook
König Abdullah beauftragte anschließend seine Finanzberater den Wert des sozialen Netzwerkes zu schätzen. Facebook sei weniger als eine Milliarde US-Dollar wert, so die Einschätzung der Saudis. Das Unternehmen werfe nicht wirklich Gewinn ab, den wahren Wert könne man nur sehr vage ermitteln. Facebook-Chef Zuckerberg würde sich mit einer solchen Summe nicht zufrieden geben, kalkulierte König Abdullah und verwarf den Bericht. Also erhöhte der saudische König das Angebot und beauftragte das Finanzunternehmen Goldman Sachs ein Investment-Programm aufzubauen. 150 Milliarden US-Dollar sei sein Angebot für Facebook, ließ König Abdullah, Zuckerberg mitteilen. Bezahlen wolle er bar.
Mark Zuckerberg, so berichten Beobachter, werde das saudische Kaufangebot wahrscheinlich nicht annehmen, weil die Summe zu gering sei. Er wolle abwarten, bis der saudische König mindestens 500 Milliarden US-Dollar für Facebook biete.
Diese Geschichte verbreitete am 27. Februar der amerikanische Blog DawnWires. Wer das Kleingedruckte nicht las, konnte beim Überfliegen des Textes denken, es handle sich tatsächlich um eine echte Nachrichtenmeldung. Klang es doch plausibel: Die Öl-Scheichs kaufen Facebook und trocknen somit den Sumpf aus, in dem Revolutionen gegen die Herrscherelite wachsen. In Wahrheit aber war die Geschichte der "Sunday-Humor", eine allsonntägliche Glosse, die aktuelle Themen aufgreift und als echte News verkauft.
"Die Sonntags-Humor-Artikel auf Dawwires.com sind dazu gedacht um unserer Leser zu belustigen. Sind vielleicht oder vielleicht auch nicht wahr", heißt es in der Schlusszeile des Artikels. Schon mit ausreichenden Englisch-Kenntnissen, hätte der satirische Charakter des Textes erkennbar sein müssen.
Der saudische Adelige wolle die Milliarden-Summe für Facebook in bar bezahlen, hieß es beispielsweise, und nachdem Facebook das Angebot abgelehnt habe, habe sich König Abdullah in das soziale Netzwerk eingeloggt, um die Bikini-Models zu suchen, die ihm seine Finanzberater beim Überblick über Facebook präsentiert hatten.
Verbreitung im arabischen Raum
Der Humor-Text wäre nicht der Rede wert, hätten ihn nicht Dutzende arabische und iranische Mainstream-Medien aufgegriffen und als echte Meldung verbreitet. Saudi king to buy Facebook to end the revolt, meldete Irans größter englischsprachiger Tageszeitung Tehran Times am Montag, 28.Februar. Das Blatt gab 1:1 den Text DawnWires wieder, und ergänzte ihn gar um angebliche Einschätzungen von Insidern und Experten.
In Ägypten, wo gerade erst eine erfolgreiche Volksrevolte Machthaber Husni Mubarak aus dem Amt jagte, berichteten mehrere Zeitungen und TV-Sender über über den unfassbaren Plan, den der saudi-arabische König angeblich schmiedete. Googles Marketing Chef in Ägypten, Wael Ghonim, der während der Protestwelle im Februar verhaftet worden wahr, war entsetzt über die Leichtgläubigkeit der arabischen Medien.
"Ägyptische Mainstream-Medien berichten dies...als echte Nachrichten", ließ Ghonim über Twitter wissen, "Einige Journalisten brauchen eine ernsthafte Ausbildung!"
Die Geschichte von der saudischen Facebook-Verschwörung zeigt auf erschreckende Weise, welche Dynamik Online-Meldungen entwickelt haben. Die weltweite Vernetzung ermöglicht Zugang zu allerlei Information - seriöse Nachrichten zu filtern scheint dennoch leichter gesagt, als getan.
Die Details scheinen unglaubwürdig, geradezu lächerlich und trotzdem überwog in den iranischen und arabischen Medien das Gefühl, es könnte ein Funken Wahrheit hinter der Meldung stecken.