Kämpferin statt Covergirl
Revolution mit Tiefgang: Hervorragendes Fantasy-Kino: "Die Tribute von Panem 3: Mockingjay" zeigt Jennifer Lawrence als moderne Jeanne d'Arc
"This is, how we remember our past, how we regard our future." - so hatte die Talkshow einst die "Hunger Games" angepriesen. Man kann in diesen "Hunger-Spielen", die der Trilogie den Namen geben und mal wieder von einem deutschen Verleih durch einen schwachsinnigeren Titel ersetzt wurden, vieles sehen. Selbstverständlich handelt es sich zunächst einmal um eine besonders originelle und avancierte Variante der Casting-Show. Inzwischen ist aus dem Ganzen wie bei Heidi Klum aber blutiger Ernst geworden. Und Katniss, die Göttin des Gemetzels, muss Verantwortung für die ganze Welt tragen, für "die Zukunft der Sache". Sie ist eine Heldin der Revolution geworden, mit allen Schattenseiten. Und man kann nur hoffen, dass die Revolution diesmal nicht ihre Kinder frisst.
"Ich wollte nie ein Teil der Spiele werden. Ich wollte nur meine Schwester retten", sagt Katniss Everdeen. Unvermittelt wird der Zuschauer zu Anfang hineingeworfen in den Strudel der Ereignisse, und wer die ersten zwei Teile der "Tribute von Panem" nicht gesehen hat, wird sich in den ersten Filmminuten nur schwer zurecht finden.
Doch schnell sind die Grundrisse der Story etabliert, tauchen ein paar bekannte Figuren auf, inklusive einem sardonischen Donald Sutherland als rosenzüchtenden Ästheten-Diktator Snow und Philipp Seymour Hoffmans posthumen Auftritt als PR-Berater. Und sofort entfaltet der Film seinen eigenen Schwung: Auch der dritte "Tribute"-Film hält sich an Suzanne Collins' Bestsellervorlage und ist somit nicht einfach eine ewige Wiederkehr des Immergleichen.
Diesmal gibt es keine Unterhaltungsindustrie zur Manipulation der Unterschichten mehr, sondern offene Propaganda: Fox TV statt CNN. Es gibt auch keine Stadt als dekadentes Sündenbabel, keine antikisierenden Kulissen mit Streit-Wagen und Arenen. "Hungerspiele" gibt es diesmal nicht mehr, denn aus dem Spiel ist längst Ernst geworden und der individuelle Widerstand gegen eine Diktatur, der sich im zweiten Teil zur Rebellion verbreiterte, ist Revolution geworden.
Wo der Rechtsstaat tot ist, da ist alles erlaubt
An aktuelle Weltnachrichten muss man denken, an Syrien und Kurdistan, offene Kriege, heimliche US-Gefängnisse und Folterkeller, aber auch an Occupy, Edward Snowden, Netz-Piraten und andere Bürgerbewegungen des Westens: Die "Panem"-Trilogie handelt vom Kampf des Einzelnen gegen das System. Man kann hier lernen, dass Rebellion etwas Gutes ist, Verrat auch. Oder dass Verrat zumindest immer eine Frage der Perspektive ist.
Dies ist nur die andere Seite eines tyrannischen Populismus (oder einer populistischen Tyrannei?), die ihre Bürger zuerst zu Zuschauern und Konsumenten degradiert und dann diesen Zuschauern beibringt, dass die Regeln während des Spiels fortwährend geändert werden. Auf Willkür der Macht antwortet die Willkür der Moral und bald danach fliegen die ersten Bomben. Wo der Rechtsstaat tot ist, da ist alles erlaubt.
Der dritte Teil aber auch von der Rivalität zweier Systeme: Dem "guten" Distrikt 13 mit dem "bösen" Kapitol. Wobei sich das Gute als ein Wesen mit Fallstricken entpuppt - und dies ist die einzige Differenz zum Roman: Der Puritanismus des Distrikt 13, sein Charakter als ökologische Tugenddiktatur, die mit Rauch- und Alkoholverbot, Essensvorschriften und diversen Regeln alles Individuelle genauso unterdrückt wie das "Kapitol" wird hier weichgespült. Visuell erinnert das Setting allerdings an die Dystopie von Fritz Langs "Metropolis".
Stilistisch war hier das popkulturelle Spiel mit totalitären Ästhetiken immer schon virulent. Diesmal schwappt die Ikonographie von Lager und KZ auch auf die Seite des Guten über.
Medien sind tödlich: Das Hirn-Ebola des Boulevards
Heldin Katniss hat seit dem ersten Teil ihre Unschuld verlorenen. Im zweiten Teil bereits war sie gereift zur traumatisierten Überlebenden, im dritten nun erhält sie messianische Züge. Denn der Krieg zwischen Gut und Böse wird auch mit den Medien geführt, mit manipulativer PR und Katness ist das Symbol des Guten in diesem Propagandakrieg. Im Tonstudio übt sie ihre Sätze, im Fronteinsatz wird sie von zwei Kameras und einer Regisseurin begleitet. Alles ist Pose, auch das Wahre, Schöne, Gute, alles ist Manipulation, das Echte und Authentische nur eine romantische Sehnsucht.
Auch dies ist nur die Radikalisierung bekannter Einsichten. Bekannt aus den Schriften Richards Sennetts und Marshall McLuhans, bekannt aber auch - für den Jugendgebrauch - aus den ersten beiden Filmen: Die Intimität wird in einer Welt aufgebrochen, in der überall Kameras stehen, egal ob es nun jene des Überwachungsstaats sind oder einer Realität gewordenen Mischung aus "Truman Show" und "Rollerball". Medien sind tödlich, und wer sich mit ihnen einlässt, ist infiziert mit dem Hirn-Ebola des Boulevards, in dem alles Betrug ist und cheesy Floskeln, die Liebe vor allem: "Star-crossed lovers" - das sie nicht lachen...
Postpubertäre Jeanne d'Arc
Miss Everdeen, its the things we love most, that destroy us.
Diktator Snow in Hunger Games 3
Auch insofern ist "Panem" die Geschichte eines Erwachsenwerdens, und der dritte Teil - der in zwei Folgen aufgesplittet ins Kino kommt - steht fürs Postpubertäre, für die Phase des Erwachens aus allen Träumen. "Die Tribute von Panem 3: Mockingjay" hält nicht nur das Niveau der Vorgänger, dies ist auch der düsterste Film der Trilogie. Individuelles mischt sich hier mit Geschichtsphilosophie, Games-Ästhetik mit Science-Fiction, persönliches Glück mit dystopischem Gesellschaftsbild.
Katniss selbst hat mehr zu reden, zu deklamieren und in Großaufnahme bedeutungsvoll in die Kamera zu blicken als zu kämpfen. Sie hat auch mehr zu heulen und zu jammern. Wer die ersten beiden Folgen mag, vermisst die attraktive Amazone, die - "Dont be afraid"-"I am not afraid" - so stolz wie stur, so hart wie stark an ihrer Aufgabe wuchs. Die Katniss, die aus Instinkt zur Heldin wurde.
Man vermisst dann auch die unbeschwerten Jagdausflüge in die Natur genauso wie das Körperkino mit seinen Augenblicken aus Ruhe und Konzentration, das die Spielphasen der beiden ersten Filme prägte. Katniss bleibt diesmal in der Zivilisation und wirkt wohl auch deshalb oft desorientiert, so, als müsse sie ihren weiteren Weg noch finden, oder drohe den bisherigen zu verlieren. Mehr denn je gleicht Katniss in der Verkörperung durch Jennifer Lawrence diesmal einer modernen "Jeanne d’Arc". Sie kann und will nicht davonlaufen, sie blickt ihrem Schicksal ins Gesicht.
Gegen den dritten Teil "Mockingjay" lässt sich nun sagen, dass er stellenweise ein dumpfer Kriegsfilm und cleane Schlachtenplatte ist, mit mehr als einem Hauch von "Dune" und "nun Volk steh auf und Sturm brich los"-Reden. Noch mehr aber muss man einwenden, dass die sehr gesunde, weil pragmatische Liebesauffassung von Katniss nun zur falschverstandenen Romantik wird: "Das Fräulein saß am Meere und seufzte lang und bang..." Heulgesuse und die aktivistische, souveräne Amazone ist plötzlich passiv, duldend.
Nicht mitmachen!
Wie bislang gilt: "Die Tribute von Panem" sind auch im Kino ein hervorragendes Fantasy-Drama; großes Epos, modern und poetisch. Ein Mädchenstoff, der von einer selbstbewussten Heldin handelt, die hübsch ist und charismatisch, aber beides nicht offensichtlich und zugleich viel mehr ist als das: geschickt, gut und clever. Darum ist der Film für Teenies, auch für Jungs, geeignet, wie für Erwachsene - kein Vergleich zu dem meist seichten Fantasy-Durchschnitt, zum blutleeren "Twilight" oder zum schwerblütig-reaktionären "Herr der Ringe".
Vor allem traut sich dieser Film Action und Unterhaltung mit erstaunlich viel Tiefgang zu mischen: Selten in letzter Zeit hat man in einem Blockbuster soviel Anspruch erlebt und soviel Selbstkritik. Denn das Böse erscheint hier nicht nur durch die Medien, es sind die Medien selbst: "Wenn keiner hinguckt, dann haben sie kein Spiel mehr" - so lautet seit dem ersten Teil die Moral dieser Geschichte.
Im ersten Teil, dem immer noch besten der Trilogie, hatte Katniss Everdeen nicht nur in der Zukunft, sondern auch im Hier und Jetzt Megastarruhm erreicht, weil sie aller Welt ihre Todesverachtung zeigte, als sie zum Ende der "Hunger Games" den Sieg verschenken konnte, ihr Gegenüber Peeta nicht, wie vom Kapitol verlangt, tötete und lieber tödliche Beeren schlucken wollte - eine Hymne solcher Frau!
Katniss soll Covergirl werden, aber sie ist besser als Kämpferin. Dass es wichtigere Dinge gibt, als das Leben, dass es sich für manches zu sterben lohnt, das muss die Gegenwart wieder lernen. Bislang ist dieses Wissen eines der wenigen Dinge, das ihr die Barbaren von ISIS & Co voraus haben. Aber nur Todesverachtung erschüttert die Macht, nur Gegen-Souveränität kann Souveränität erschüttern.
Und auch dass es sich zu kämpfen lohnt, überhaupt, dass anständige Menschen nicht mitmachen, dem Staat den Institutionen gegenüber, aber auch dem Mainstream der Mehrheit, den Gemeinschaftszwängen skeptisch bis ablehnend bleiben, Widerstand leisten - diese Botschaften könnte man aus dem Kino mitnehmen, hinein ins eigene Leben.