Kalte Fusion in der Black Box?
Teil 9: Die Festkörperkernforschung überprüft einen möglicherweise revolutionären Durchbruch bei der Energieerzeugung
Seit 2004 berichtet Telepolis über den Stand und politische Hintergründe der Erforschung der sogenannten Kalten Fusion. Heute vor 22 Jahren vorgestellt gilt diese Form der Kernfusion "bei Raumtemperatur" nicht Wenigen noch immer als wichtige Energiequelle der Zukunft. Nachdem Hoffnungen, die US-Politik würde die Kalte Fusion auf die Agenda der öffentlichen Forschungsförderung setzen, im Sande verlaufen waren, konzentrierte sich das Fachgebiet wieder stärker auf die eigentliche Forschung, speziell die Nanoforschung (Lobbying für die Kalte Fusion.
Vor zwei Jahren hatten wir hier prognostiziert, dass 2020 mit ersten Anwendungen für Heizzwecke zu rechnen sei (Kalte Fusion und die Zukunft). Wenn allerdings stimmt, was der Ingenieur Andrea Rossi angekündigt und in Italien demonstriert hat, dann kommen Aggregate zur Wärme- und Stromerzeugung aus Kalter Fusion bereits bis 2012 auf den Markt. Diese Ankündigung hat sogar die Experten des Fachgebiets überrascht. Während die Welt sich mit atomarer Verwüstung und einem neuen Ressourcenkrieg konfrontiert sieht, wird im Internet ein möglicher technologischer Durchbruch diskutiert, den der Zukunftsforscher Gerald Celente bereits mit der Entdeckung des Feuers vergleicht.
Ein öffentlich durchgeführtes Experiment
14. Januar 2011, 19 Uhr, Cerodolo Industriebezirk, ein paar Kilometer vor Bologna. Giuseppi Levi atmet durch. Er ist froh, dass das halböffentliche Experiment doch noch funktioniert hat, denn zunächst schien es zu scheitern. Ausgerechnet an diesem Tag versagte die Datenaufzeichnung und spielte das Heizaggregat verrückt. Unruhe und Skepsis hatte sich unter den 50 handverlesenen Beobachtern breitgemacht. Hätte das Aggregat wie noch am Vortag seinen Dienst getan, hätte die Eingangsleistung auf 100 Watt runtergeregelt werden können, zugunsten einer höheren Ausbeute.
Levi überschlägt noch einmal die Werte, die er eben gemessen hat. 4,9 Gramm Wasser waren pro Sekunde am Reaktor vorbeigeleitet und dabei von etwa 20 auf 101 Grad Celsius verdampft worden. Das entspricht einer Leistung von 12.400 Watt. Die Eingangsleistung im "Steady State"-Betrieb war 400 Watt. Die nukleare Maschine des Ingenieurs Andrea Rossi und des Physikers Sergio Focardi hatte 31 Mal mehr Energie erzeugt, als sie konsumiert hatte. Das ist für ihn das wichtigste Ergebnis des Tages.
Vertrauen in den Reaktor hat Levi seit dem 16. Dezember 2010, als er erlebt hatte, wie sie ihre Arbeit autark, ohne externe Energiequelle verrichtet. Der Kernphysiker der Universität Bologna hatte das Experiment organisiert, um Kollegen den "Energie-Katalysator" zu demonstrieren. "Ein 'öffentliches Experiment', wo Physiker den Apparat wirklich beobachten können, ist viel interessanter als eine Reihe PowerPoint-Folien", teile Levi Telepolis mit. "Edison sprach nicht über die Glühbirne, er zeigte sie." Mit Rossi, dem Erfinder der Dampfmaschine, war vereinbart, dass dieser lediglich den Apparat auf dem Experimentiertisch bedient. Er selbst und seine Kollegen der Physik- und Chemie-Fakultäten führten alle Messungen unabhängig durch. Wenn Levi nicht bereits aus früheren Messungen gewusst hätte, dass keine gesundheitsschädliche elektromagnetische oder Teilchen-Strahlung entsteht, hätte er mehr Vorsicht walten lassen.
Von Kalter Fusion mag Giuseppe Levi nicht sprechen, lieber von niederenergetischen Kernreaktionen (Low Energy Nuclear Reactions - LENR). Denn auch für ihn ist der Reaktor eine Black Box. Was darin vorgeht - ob es Fusion ist -, weiß er genauso wenig wie alle anderen Beobachter. Soviel ist bekannt: Im Reaktorgefäß befinden sich einige Gramm Nickel, idealerweise in Form eines Nanopulvers, Wasserstoffgas und ein oder mehrere bis heute streng gehütete Katalysatoren in einer Atmosphäre von zwei bis 20 Bar. Wird die Temperatur über ein Heizaggregat erhöht, zündet der Reaktor und erzeugt soviel Wärme, dass die bevorzugte Betriebstemperatur von 150 bis 500 Grad Celsius von selbst aufrecht erhalten werden kann. Der heiße Reaktor verdampft Wasser, womit letztendlich geheizt, Arbeit verrichtet oder Strom erzeugt werden kann.
Um auszuschließen, dass in der Black Box schlicht und ergreifend Wasserstoff verbrannt wird - eine der einfachsten chemischen Reaktionen -, hat Levi den Wasserstoffverbrauch überprüft. 218 Gramm Wasserstoff hätten verbrannt werden müssen, um die gemessene Energiemenge zu erzeugen. Maximal ein Gramm ist tatsächlich verbraucht worden. Auch ein Stromkabel, das die Energie an seinen Messgeräten vorbei hätte liefern können, hat Levi nicht gefunden. Focardi und Rossi behaupten in ihrem gemeinsamen Aufsatz, dass der Reaktor Energie erzeugt, weil Nickel und Wasserstoff zu Kupfer verschmelzen. In Einzelfällen soll bis zu 415 Mal mehr Energie erzeugt als verbraucht worden sein.
In dem Nickelpulver sollen nach Betrieb des Reaktors die stabilen Kupfer-Isotope 63 und 65 in einem unnatürlichen Häufigkeitsverhältnis gemessen worden sein - ein Hinweis auf eine Fusions- bzw. Transmutationsreaktion. Andererseits wird bei der vorgeschlagenen Kernreaktion Gamma-Strahlung erwartet. Focardi habe diese bereits häufig gemessen, doch am 14. Januar zeigte das Messgerät von Levis Kollegen keine Werte über der natürlichen Hintergrundstrahlung.
Firma kündigt Strom für 1 Cent pro Kilowattstunde an
15. Januar 2011, 9 Uhr, Journal-of-Nuclear-Physics.com. Andrea Rossi moderiert die Kommentare, die seit seinem letzten Login aufgelaufen sind. Bereits im April 2010 hatte er hier die Katze aus dem Sack gelassen, seine Firma entwickele einen Reaktor, der 1 Megawatt Leistung erzeuge. Damit könnte man 1.000 Einfamilienhäuser mit Energie versorgen.
Heute besteht die angekündigte Möglichkeit, Rossi online mit Fragen zu löchern. Der Megawatt-Reaktor bestehe aus 125 seriell und parallel geschalteten Modulen der demonstrierten Bauweise und würde in den kommenden Monaten fertig gestellt. Reaktoren würden Energie auf Knopfdruck erzeugen. Unter kontrollierten Bedingungen könnte ihre Energiezufuhr abgeschaltet werden, und sie liefen selbständig weiter. Mindestens ein Aggregat habe zwei Jahre lang Energie erzeugt.
Bis 2012 würden die ersten Geräte mit Wartungszyklen von einem halben Jahr auf den Markt kommen. Eine Kilowattstunde Strom würde voraussichtlich 1 Cent kosten und wäre damit mindestens zehnmal günstiger als derzeit käuflicher Kohlestrom und 25 mal als "grüner" Strom. In zwei bis drei Jahren soll die Massenproduktion auf Hochtouren laufen. Nur zu einer Sache äußert sich Rossi immer noch nicht: welche Katalysatoren die Reaktion ermöglichen. Bevor das Betriebsgeheimnis nicht patentiert sei, könne er auch nicht darüber sprechen. Nach vier Stunden beendet er die Fragerunde. In der Folge wird die Seite so viel besucht, dass der Server den Dienst verweigert.
Andrea Rossi ist Ingenieur und Präsident der Leonardo Corporation mit Sitz in Bedford, New Hampshire, USA. Die Firma entwickelte laut Webseite Generatoren, die Wärme und Strom aus Pflanzenöl produzieren. An LENR arbeitet Rossi bereits seit 1993. Zur Größe des Unternehmens wollte Rossi noch keine Angaben machen. Am 5. Februar 2011 ist das Konsortium Defkalion Green Technogies, dessen einzige Aufgabe die Herstellung und Vermarktung der Rossi-Technologie ist, im griechischen Fernsehen an die Öffentlichkeit gegangen. Defkalion wird demnach nicht Strom verkaufen, sondern Generatoren bis zu 20 Kilowatt, mit denen Wärme und Strom dezentral produziert werden können. Dem schwedischen Nachrichtendienst NyTeknik sagte der Konsortiumssprecher Symeon Tsalikoglou:
Diese Technologie wird den Weltenergiekonsum nicht über Nacht verändern. Im Wesentlichen stellen wir eine neue und eindrucksvolle Energiequelle vor, die dem Endbenutzer günstige, saubere und erneuerbare Energie zur Verfügung stellt. Wir beabsichtigen sozial verantwortliche Preisgestaltung und Marktdurchdringung. Wir berücksichtigen auch globale Energietrends und gliedern uns ein in den erwarteten schrittweisen Wandel des Energiesystems.
Symeon Tsalikoglou, Defkalion Green Technologies
Dem Konsortium gehören laut eigenen Angaben Unternehmen der Energiebranche an. Zuvor hatte Defkalion in Rossis Blog bereits geschrieben, es handele sich um "einen bedeutsamen und aufregenden technologischen Durchbruch, wonach Energie kein knapper Rohstoff mehr sein werde".
Einschätzungen von innen und außen
In der Festkörperkernforschung, dem Fachgebiet, auf dem Kernreaktionen in Metallen erforscht werden, hat anfängliche Skepsis einer Hoffnung auf den lang ersehnten Durchbruch Platz gemacht. Focardi und Rossi genießen große Glaubwürdigkeit.
Focardi gehört mit seinem Kollegen Francesco Piantelli, Universität Siena, zu den Pionieren der Erforschung von Kernreaktionen in hydriertem Nickel. Seit 1992 hat die Gruppe mit 50 Watt Überschussleistung nicht nur eins der in dieser Hinsicht ertragreichsten Experimente überhaupt durchgeführt. Mit zwei Experimenten, die fast ein Jahr lang Energie produzierten, und der Produktion von Neutronen, Gamma-Strahlung sowie der Transmutation von Elementen haben sie in den Augen von Insidern auch gezeigt, dass die Phänomene im Metallgitter nicht chemischer und damit konventioneller Natur sein können. Edmund Storms, LENR-Forscher der ersten Stunde, schätzt die heutige Situation wie folgt ein:
Wir sind angekommen. Dabei ist interessant, dass wir in einem anderen Auto angekommen sind, als wir erwartet hatten. Kalte Fusion hat mit [schwerem Wasserstoff] und Palladium angefangen, und nun hat Rossi herausgefunden, dass sie in Nickel und leichtem Wasserstoff ziemlich gut geht. ... [Rossi and Focardi] haben einen Weg gefunden, den Effekt derart zu vergrößern, dass er als industrielle Energiequelle interessant ist. Forscher auf dem Gebiet der Kalten Fusion haben darauf hin gearbeitet, aber nie eine derart große Wärmeproduktion erreicht. Das kam als Überraschung aber auch als kleiner Schock und hat den Leuten einen Stoß verpasst, nun etwas schneller voranzugehen. Jetzt sieht es so aus, als habe das Phänomen tatsächlich Anwendungen.
Edmund Storms, Kivalabs
Mittlerweile liegen auch Einschätzungen von Wissenschaftlern vor, die nicht aktiv in die Festkörperkernforschung oder die Untersuchung der Rossi-Maschine involviert sind. Sven Kullander, emeritierter Professor an der schwedischen Uppsala University und Vorsitzender des Energy Committee of the National Academy of Sciences bescheinigte Rossi und Focardi dem italienischen Blogger Daniele Passerini gegenüber einen "sauberen wissenschaftlichen Ansatz". Er habe einen guten Eindruck von Rossi. "Ich finde, dass es interessant ist, mit ihm zu sprechen, und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er sich einen Betrug ausgedacht hat." Auch Hanno Essen, Professor für theoretische Physik am schwedischen Royal Institute of Technology und Vorsitzender der Schwedischen Gesellschaft der Skeptiker, findet es "sehr unwahrscheinlich, dass es einzig und allein ein Betrug ist."
Entdeckung des sanften Feuers?
Ende 2010 hatte Gerald Celente, Zukunftsforscher und Herausgeber des Trends Journal, geschrieben, wissenschaftliche Visionäre und Unternehmer würden in 2011 vom Mainstream unbemerkt eine neue Wissenschaft basierend auf Prinzipien, die einmal als unmöglich galten, formen und damit Geräte schaffen, die mehr Energie freisetzen als sie konsumieren. Ende Januar 2011 präzisierte er in einem Radiointerview:
Es hat einen großen Durchbruch in der Kalten Fusion gegeben. Es ist in Italien passiert. ... Es gibt weitere Durchbrüche bei der Energieproduktion. Das wird den Lauf der Dinge verändern. Die Große Depression wird nicht passieren. Gehen Sie zurück nach 1990. Wir waren in einer Rezession. Was hat uns rausgeholt? Die Internetrevolution! Heute ist unser ganzes Leben anders. Nun kippt die ganze globale geopolitische Landschaft. Wären wir im Irak, wenn deren größter Export Brokkoli wäre und sie nicht auf dem zweitgrößten Ölvorrat der Welt säßen? Das Spiel verändert sich: Die Energie, die [bei der Kalten Fusion] herauskommt, ist viel größer als die, die hineingeht. Das wird die größte Investitionsmöglichkeit des 21. Jahrhunderts sein. Das ist so groß wie die Entdeckung des Feuers oder die Erfindung des Rades.
Gerald Celente, Trends Research Institute
Seit Giuseppe Levi den Rossi-Reaktor am 10. Februar 2011 ein drittes Mal im Betrieb inspizieren und 18 Stunden lang die Produktion von mindestens 15 Kilowatt beobachten konnte, äußert er sich deutlicher als zuvor. NyTeknik sagte er:
Nun, da ich das Gerät über mehrere Stunden beobachten konnte, sind meiner Meinung nach alle chemischen Energiequellen ausgeschlossen. Dieses Mal habe ich die Kontrolleinheit geöffnet (und das Innere untersucht), da gesagt wurde, sie könnte eine versteckte Batterie enthalten. Ich würde vor Gericht schwören, dass sie bis auf die Kontrollelektronik - fünf simple [Steuerelemente] - leer war... Wenn ich nun mit den genauesten Methoden wirklich nukleare Veränderungen sehe, dann haben wir eine neue Physik. Dann gibt es keinen Zweifel mehr.
Giuseppe Levi, Universität Bologna
Um verbleibende Zweifel an der Technologie zu beseitigen, wird die Universität Bologna in Kürze ein einjähriges Programm zur Erforschung des Rossi-Reaktors bekanntgeben. Mit Einem hat Celente jedenfalls bislang Recht: Die gesamte Entwicklung findet außerhalb des wissenschaftlichen wie medialen Mainstreams statt. Zur Veröffentlichung seines Aufsatzes mit Focardi hatte Rossi eigens eine begutachtete Fachzeitschrift als Blog gegründet, um gar nicht erst von etablierten Journalen "ghettoisiert" zu werden, wie er Telepolis mitteilte. Und außer eine paar Berichten in den italienischen und griechischen Massenmedien werden Informationen fast ausschließlich im Web geschaffen und diskutiert.
Dieser Artikel ist Telepolis-Autor Achmed Khammas gewidmet, der in unermüdlicher Fleißarbeit im Buch der Synergie alles zusammengetragen hat, was es über Energie zu wissen gibt.