Kampf oder Untergang!
Noam Chomsky über die US-Außenpolitik, die amerikanische Kriegsmaschine und den Schutz der "Position der Disparität"
Die Situation vieler Staaten in Südamerika ist bis heute sehr problematisch. In Brasilien und anderen Staaten in der Region gibt es eine herrschende, weiße Klasse, die den Rest, also hauptsächlich Schwarze und Indigene, ausbeutet. Die Folgen des Kolonialismus europäischer Staaten und später des Imperialismus - vor allem während des Kalten Krieges - scheinen bis heute nachzuwirken. Welche Auswirkungen hat die US-amerikanische Außenpolitik auf die Lage in der Region?
Noam Chomsky: Die US-Außenpolitik hat Südamerika gewiss in diese Richtung gelenkt, sprich, die Macht von weißen Eliten in diesen Ländern wurde verstärkt. Demnach wurde indirekt auch deren rassistische Politik, die sich gegen die unteren Klassen richtet, gefördert.
Die grundlegende Ausrichtung der Politik ist nicht schwer zu verstehen. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wussten die Architekten der US-amerikanischen Politik, dass sie in einer Position waren, in der sie den Rest der Welt nach ihren Interessen formen konnten, und genau so haben sie auch gehandelt. Das allgemeine Ziel war - und das war nicht überraschend - eine Ausrichtung des internationalen Systems, das sich dem amerikanischen Wirtschaftssystem und deren politischer Kontrolle öffnet und sich davon aushöhlen lässt. Dies erkennt man auch ganz klar an geheimen Dokumenten, die später für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Ein Beispiel hierfür ist das PPS 23, was von George Kennan, einem führenden Staatsmann und Stabschef des State Departments, verfasst wurde. Kennan und seine Leute wiesen jeder Region der Welt eine Funktion in der US-dominierten Weltordnung zu. Die Rolle Südostasiens war etwa die Zulieferung von Rohstoffen an die ehemaligen Kolonialherren und an die Vereinigten Staaten. Kennan war der Meinung, dass die USA nur wenig Interesse an Afrika hätten, weshalb er den Kontinent den Europäern überließ. Diesbezüglich sprach er ganz klar von einer Ausbeutung, die seitens der Europäer in Afrika erfolgte, um den Wiederaufbau auf dem alten Kontinent in Gang zu bringen.
Südamerikas Rolle in dieser neuen Weltordnung war der Verkauf seiner Rohstoffe an die USA sowie die Absorbierung überschüssigen US-Kapitals. Der für die CIA tätige Historiker Gerald Haines zelebrierte die "Amerikanisierung Brasiliens" und erklärte, dass Washingtons Ziel "die Eliminierung jedweden ausländischen Wettbewerbs" in Südamerika gewesen sei, um dadurch die Region als wichtigen Markt für überschüssige US-Produktion und private Investitionen aufrechtzuerhalten.
Ziel war in diesem Kontext natürlich auch die Ausbeutung der riesigen Rohstoffressourcen und der Kampf gegen den internationalen Kommunismus. Die Geheimdienste fanden keine Anhaltspunkte, dass der Kommunismus versuchte, nach Südamerika zu gelangen. Doch wir sollten uns dabei stets vor Augen halten, dass das stillschweigende Verständnis von "Kommunismus" alles betraf, was die Armen dazu verleiten könnte, "die Reichen auszuplündern", wie die Administration von Präsident Eisenhower, allen voran sein Minister John Foster Dulles, regelmäßig beschwor.
Es war demnach alles andere als überraschend, dass die Südamerikaner andere Ziele hatten. Sie hatten sich einer Sache verschrieben, die die US-Regierung als eine "Philosophie von neuen Nationalismen, die eine weitere Verteilung von Wohlstand und einen erhöhten Lebensstandard der Massen anstreben", beschrieb. Einer weiteren Einschätzung des State Departments zufolge war der wirtschaftliche Nationalismus der gemeinsame Nenner für die neuen Bestrebungen der Industrialisierung. Die Südamerikaner waren davon überzeugt, dass jene, die von wirtschaftlichen Entwicklungen eines Landes profitieren sollten, in erster Linie die Bürger sein sollten. Die USA hatten gänzlich andere Ziele. Bereits im Februar 1945 wurde gesetzlich beschlossen, dass dieser wirtschaftliche Nationalismus "in all seinen Formen" ein Ende finden müsse. Die Nachricht war klar: Von den Ressourcen eines Staates sollten vor allem die US-Investoren und deren lokale Klienten profitieren, nicht die Bürger des betreffenden Landes.
In Brasilien sind diese lokalen Klienten jene weißen Eliten aus der Oberschicht, die nun mit voller Wut und Entschlossenheit gegen die Politik des "Untermenschen" Lula da Silva, der sich für die Arbeiterklasse einsetzte, vorgehen. Da Silva könne nicht einmal anständiges Portugiesisch sprechen und verschwende Ressourcen zugunsten der Armen - so zumindest die Auffassung ebenjener Herrschaften.
Auszug aus dem Buch: Noam Chomsky im Gespräch mit Emran Feroz: "Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen", Westend Verlag, 192 Seiten, November 2018. In diesem Buch spricht Chomsky über die großen Fragen: Warum herrscht auf unserer Welt weiterhin so viel Ungleichheit? Leben wir bereits in der Dystopie? Steht die Menschheit am Rande der Selbstauslöschung? Warum begehren die "99 Prozent" nicht gegen die "Eliten", die "Herren der Menschheit", wie Chomsky sie einst nannte, auf?
Momentan erleben wir, dass die amerikanische Kriegsmaschinerie alle ihre Ressourcen darauf verwendet, um noch mehr Krieg und Chaos zu stiften. Ist dies eine spezielle Charakteristik der Trump-Regierung oder das allgemeine Merkmal eines strauchelnden Imperiums?
Noam Chomsky: Die USA investieren so viel in ihr Militär wie alle sieben Mächte zusammen, die in der Liste hinter ihnen stehen. Trumps Erhöhung des Militärbudgets beträgt ungefähr 80 Prozent des Gesamtbudgets des russischen Militärs. Die Vereinigten Staaten sind allen anderen Staaten technologisch weit voraus. US-amerikanische Streitkräfte sind in 70 Prozent der Länder dieser Welt aktiv, und die USA betreiben über 800 Militärbasen im Ausland.
Eine alarmierende Studie hat vor Kurzem aufgezeigt, dass führende Waffenexperten, die die nuklearen Modernisierungsprogramme untersuchen, zum Schluss gekommen sind, dass "revolutionäre, neue Technologien" die gesamte Zerstörungskraft der vorhandenen US-Raketenabwehrkräfte um den Faktor drei erhöht haben. Das bedeutet, dass diese Waffen genau das schaffen, was von ihnen erwartet wird und wovon ein atomar bewaffneter Staat ausgeht: einen Atomkrieg zu führen und zu gewinnen, in dem der Feind mit einem überraschenden Erstschlag entwaffnet wird. Dies ist natürlich kein Geheimnis für gegnerische Staaten, die 'dementsprechend planen. Für die Welt sind solche Neuigkeiten allerdings nicht gut.
Viele Menschen scheinen derartige Gefahren dennoch nicht wirklich wahrzunehmen. Viele Amerikaner wissen nicht einmal, dass ihr Militär im Niger oder in anderen afrikanischen Staaten aktiv ist. Ich selbst lebe in Stuttgart, wo man viele US-Militärinstallationen finden kann, darunter etwa EUCOM und AFRICOM. Das alles befindet sich wortwörtlich vor den Nasen der Menschen, und doch kümmert es sie nicht. Woran kann das liegen?
Noam Chomsky: Die USA betreiben 800 Militärbasen in 70 Staaten. Kommandoeinheiten es Militärs sind in über 70 Staaten aktiv. Trotz der Arbeit von couragierten Journalisten bleibt dies meistens unbemerkt. Die Reaktionen sind allerdings verschieden. In Stuttgart setze ich auf Menschen wie Sie. An anderen Orten, zum Beispiel in Okinawa, finden regelmäßig lautstarke Proteste gegen die Präsenz des US-Militärs statt.
In Deutschland befindet sich auch die Ramstein Air Base. Mittlerweile wissen wir, dass ohne diese Basis der mörderische US-Drohnenkrieg nicht möglich sein würde. Würden Sie behaupten, dass Deutschland in gewisser Weise eine "Kolonie" der USA geworden ist? Manche Menschen in Deutschland würden derartige Schlussfolgerungen als rechte, neonazistische Propaganda bezeichnen.
Noam Chomsky: Ich denke nicht, dass das eine faire Bewertung des Geschehens ist. Wenn arme Menschen auf den Jeju-Inseln in Südkorea couragierte Proteste gegen die US-amerikanische Militarisierung organisieren können, so können das gewiss auch Deutsche tun, um derartigen Praktiken ein Ende zu setzten. Außerdem ist die NATO in keiner Weise heilig. Die Rolle der Organisation sollte vor allem seit dem Fall des Eisernen Vorhangs als äußerst kritisch betrachtet werden.
Was ist der Unterschied zwischen dem Kolonialismus der Briten und anderer europäischer Mächte im 18. sowie im 19. Jahrhundert und der US-amerikanischen Außenpolitik heutzutage? Gibt es einen klaren Unterschied, oder erleben wir lediglich eine andere Form der Rhetorik und des Framings?
Noam Chomsky: Es gibt viele Unterschiede. Früher war der Imperialismus darauf ausgerichtet, immer mehr Staaten mittels direkter Gewalt zu unterwerfen. Man hat daraus kein Geheimnis gemacht. Es passierte ziemlich offensichtlich. Die Jäger, also die Kolonialisten, teilten die Welt durch internationale Abkommen immer wieder zu ihren Gunsten auf. Die Menschen, die erobert wurden, waren einer extrem brutalen Behandlung und rassistischer Hetze ausgesetzt. Ein weiteres Merkmal des früheren Imperialismus war der Siedlerkolonialismus, der die indigene Bevölkerung verjagte oder ermordete und sie durch die favorisierte Bevölkerung, die "bessere Rasse", ersetzte. Dies war eine britische Spezialität, die später auch von den Amerikanern übernommen wurde.
Die gegenwärtige US-Außenpolitik verfolgt keine derart ambitionierten Ziele. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Vereinigten Staaten nicht die führende globale Macht. Die Rolle wurde damals noch Großbritannien und, etwas weniger, auch Frankreich zugeschrieben. Dies änderte sich mit dem Krieg, welcher der USA enorme Macht, beispiellose Sicherheit und zahlreiche Vorteile bescherte. Das globale System war wie geschaffen für die USA und indirekt Mittel zur wirtschaftlichen Aushöhlung und Ausübung politischer Kontrolle. Dies bedeutete sicherzustellen, dass die großen Weltmächte so umfassend wie möglich in die von den USA dominierten Bündnissysteme einbezogen werden. Gleichzeitig sollten - wie offizielle Dokumente beweisen - "radikale und nationalistische Regime" unterdrückt werden, insbesondere jene, die auf den Druck der Bevölkerung reagieren, um "sofortige Verbesserungen des niedrigen Lebensstandards der Massen" zu schaffen und die "der Notwendigkeit eines politischen und wirtschaftlichen Klimas für private Investitionen mit angemessener Rückführung von Gewinnen" widersprechen.
Die Methoden dagegen, so hieß es, sollten möglichst schonend, wenn nötig aber auch hart sein. George Kennan, eine der führenden Figuren der frühen Nachkriegsplanung, warnte 1948 in einer geheimen Richtlinienüberprüfung wie folgt: "Wir sollten aufhören, über vage und unrealistische Ziele wie die Menschenrechte, die Anhebung des Lebensstandards und die Demokratisierung zu sprechen." Laut Kennan sollte man bereit sein, in direkten Machtkonzepten zu handeln und sich nicht von idealistischen Slogans, in denen es um Gleichberechtigung und Ähnliches geht, führen lassen. Nur durch eine solche Haltung ließe sich die "Position der Disparität", wie er es ausdrückte, beibehalten. Und nur dadurch bleibt der enorme Reichtum der USA, der das Land von der Armut anderer trennt, erhalten.
Die politischen Richtlinien waren sehr strikt und an die damaligen Umstände angepasst - und sie waren erfolgreich. Eine oftmals unbeachtete Folge davon ist die Tatsache, dass in den USA ansässige Unternehmen etwa die Hälfte des weltweiten Vermögens besitzen und in fast jeder Sparte der internationalen Wirtschaft den ersten Platz einnehmen. Das ist die große Errungenschaft jener, die Adam Smith zu seiner Zeit als "Herren der Menschheit" bezeichnete. Zu seiner Zeit waren das britische Händler und Fabrikanten. In unserer Zeit sind das multinationale Konzerne mit komplexen globalen Lieferketten.
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