Kanada: Mehrfacher Mord an Muslimen hat rechten Hintergrund
Der Tatverdächtige von Québec wird als "Internet-Troll" bezeichnet. Wie sieht eine "pro-aktive" Prävention rechter Terrorakte aus?
Die Tat selbst ist noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Feststeht, dass der Täter sechs Männer tötete, womit er 17 Kinder zu Halbwaisen machte, und mehrere Besucher eines Gebetsraums zum Teil schwer verletzte, fünf befanden sich in einem kritischen Zustand. Der junge Mann hatte am Sonntagabend zur Stunde des Abendgebets das Centre Culturel Islamique de Québec betreten und laut Augenzeugen sofort das Feuer eröffnet. Den betenden Männern wurde in den Rücken geschossen.
Der Schütze rief später die Polizei an, ließ sich festnehmen und gestand die Tat ein. Gestern wurde er von einem kanadischen Gericht des Mordes in sechs Fällen und des versuchten Mordes in fünf Fällen angeklagt und in Untersuchungshaft verbracht. Ob Anklage wegen einer Tat im Zusammenhang mit Terrorismus eröffnet wird, steht noch aus. Der Angeklagte wird noch viele Fragen beantworten müssen.
Trudeau: "Terroranschlag gegen Muslime"
Gestern hatte Kanadas Premierminister Trudeau von einem "Terroranschlag gegen Muslime" gesprochen. Auch der Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, reagierte auf das Schockereignis in Kanada. Der Vorfall sei eine schreckliche Mahnung, dass man wachsam bleiben müsse. Spicer verknüpfte den Anschlag mit den kontroversen Maßnahmen Trumps zu den Einreisebeschränkungen. Zur Wachsamkeit seien pro-aktive und nicht nur reaktive Schritte nötig:
It's a terrible reminder of why we must remain vigilant. And why the president is taking steps to be proactive, not reactive.
Sean Spicer
Damit sprach Sean Spicer, der die Politik von Donald Trump verteidigte, einen neuralgischen Punkt an, der sich im Fall des Amoklaufes, mass shootings, Massakers oder wie man den Terror-Mehrfachmord in Québec auch immer bezeichnen will, aus einer speziellen Perspektive zeigt. Die Frage lautet hier: Wie sehen pro-aktive Schritte gegen den Hass auf muslimische Einwanderer aus?
Begeistert von einer "borderline rassistisch-nationalistischen Bewegung"
Nach allem, was über den Haupttatverdächtigen berichtet wird, hängt der Mann radikalen Auffassungen an, die er mit der Politik von Marine Le Pen in Frankreich und Trump in den USA verbindet. Zuwanderung hat er in Internet-Kommentaren mit "Invasion" gleichgesetzt. Er sei ein bekannter "Online-Troll", berichtet die kanadische Zeitung The Globe and Mail aus "Aktivistenkreisen".
Nach deren Aussagen habe der 27-Jährige, der von Nachbarn, Bekannten und Universitätskollegen als still und zurückgezogen geschildert wird, seit dem Besuch von Marine Le Pen im März letzten Jahres (der von massiven Protesten begleitet war) einen "extremen Online-Aktivismus" an den Tag gelegt, der zu Streitigkeiten mit Aktivisten führte, die sich für Einwanderung einsetzen.
Erwähnt wird, dass Alexandre B. identitäre Positionen eingenommen habe, dass er pro-Le Pen war, dass er sich gegen Einwanderung ausgesprochen habe und anti-feministische Beiträge geäußert habe.
Auf einer "Refugee Welcome"-Facebook-Seite war er den Administratoren dafür bekannt, ein langjähriger Bekannter und Facebook-Freund schildert ihn als xenophob, der von einer "borderline rassistisch-nationalistischen Bewegung" begeistert war. Auch auf seiner eigenen, mittlerweile gesperrten oder gelöschten Facebook-Seite solle es Hinweise darauf geben, dass er rechten Ideen und Politikern anhing.
"Äußerungen an der Grenze"
Seine Äußerungen auf der Refugee-Welcome-Seite hätten sich "immer an der Grenze bewegt". Er habe viel von Invasion gesprochen und davon, dass Kanada wie Europa enden werde, dass Chaos in Kanada herrschen werde. Er sei ein "Ultra-Konservativer", beschreibt ihn der Administrator der Refugee-Welcome-Seite. Bekannte von der Universität berichten von Debatten über Immigration und Trumps Politik. Von manchen wird er als sehr weit rechts, ultranationalistisch und als Verfechter der "Überlegenheit der Weißen" geschildert.
Seine Opfer stammten zum Großteil aus Nordafrika (zwei kamen aus Guinea) und waren einem Bericht des Journal de Quebec zufolge, gut integriert. Sie alle hatten sich in Kanada ein neues Leben aufgebaut.
Von den genannten Einstellungen des Hauptverdächtigen, der seine Tat der Polizei gegenüber angeblich sofort eingestanden hat, auf eine Gewaltbereitschafts zu schließen, ist Aufgabe des Gerichtsverfahrens. Gleichsetzungen, die Muslime pauschal zu Terrorismusverdächtigen machen oder pauschal alle Anhänger von Le Pen oder Trump dem Verdacht der Gewaltbereitschaft aussetzen, nähren das Irrationale, das in das ohnehin aufgeladene Klima in vielen westlichen Ländern fatal hineinspielt.
Allerdings verweist der "Einzelfall" - ein Begriff, der in rechten Diskussionskreisen in vielen anderen Zusammenhängen nicht willkommen ist - darauf, dass die Rede von der "Invasion" keine harmlose ist. Es gibt die Forderung nach mehr Kontrolle und es gibt den Sprung darüber hinaus, der die Zugewanderten zu Feinden macht. Genau dahin zielt der Gebrauch des Wortes "Invasion", wenn von Immigranten die Rede ist.