Kanal der Konflikte
Panamakanal: Die wichtigste künstliche Wasserstraße der Welt soll erweitert werden
102 Jahre nach Beginn der ersten Bauphase wird der Panama-Kanal erweitert. Entsprechende Pläne wurden am Sonntag bei einem Volksentscheid mit 78 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen. Die Bedeutung dieser Entscheidung geht weit über die Grenzen des kleinen lateinamerikanischen Landes hinaus. Immerhin handelt es sich bei dem Kanal um die wichtigste künstliche Wasserstraße der Welt: Etwa 14.000 Schiffe nutzen die rund 80 Kilometer lange Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik jedes Jahr. Zugleich ist der Kanal die größte Konfliktquelle im Land. Das wurde auch bei dem Referendum deutlich.
Denn nach der Entscheidung war nicht allen Panamesen zum Feiern zumute. Das "Volk mit großer Mehrheit" hatte mitnichten für den Ausbau gestimmt, wie es etwa "Die Presse" aus Wien vermeldete. Tatsächlich hatten sich nur gut 60 Prozent der Bevölkerung an dem Referendum um Modernisierung und Bau einer dritten Kanalstrecke beteiligt.
Die Baukritiker, die sich unter anderem in der "Nationalen Front für die Verteidigung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte" (FRENADESO) zusammengeschlossen haben, sprechen in einem Kommuniqué daher von einer gerade einmal 30-prozentigen Unterstützung des Projektes. FRENADESO und weitere Gegner des Ausbaus hatten im Vorfeld des Urnengangs zudem auf die unkalkulierbaren Kosten und die wahrscheinlichen Umweltschäden verwiesen.
Gut fünf Milliarden US-Dollar, die nun aus der Staatskasse in den Ausbau fließen werden, sollten ihrer Ansicht nach in die dringend notwendige Armutsbekämpfung investiert werden. Doch die Befürworter waren stärker: Regierung, private Medien, Unternehmer und die mächtige Kanalbehörde (ACP) hatten für Zustimmung geworben.
Konflikte mit den USA
Dabei hatte der Panamakanal schon vor Baubeginn 1904 für Konflikte gesorgt. Nachdem sich Kolumbien damals geweigert hatte, den USA die Baurechte zu gewähren, arbeitete Washington unter Präsident Theodore Roosevelt auf die Abspaltung des Territoriums um die Landenge von Panama hin. Am 3. November 1903 spaltete sich Panama von Kolumbien ab, um sogleich unter den militärischen Schutz der USA gestellt zu werden. Die bilateralen Verträge über den Bau des Kanals wurden nur drei Monate später unterzeichnet.
Obwohl Panama ein mehr oder minder künstlicher Staat ist, kam es im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder auch zu Konflikten mit der Protektoralmacht USA, die weiterhin die territoriale Hoheit über den Kanal beanspruchte. Anfang 1964 starben bei dem so genannten Flaggenstreit mehrere US-Soldaten und panamesische Zivilisten. Auslöser für die tödlichen Zusammenstöße war ein Streit um die Beflaggung des Kanals.
Dabei hatte US-Präsident Dwight D. Eisenhower als Teil immer neuer Zugeständnisse gut drei Jahre zuvor erst verfügt, beide Staatsfahnen am Kanal zu hissen. Die politischen und wirtschaftlichen Konzessionen blieben auch später nur bedingt erfolgreich: 1989 intervenierte die US-Armee in Panama, um den Militärmachthaber Manuel Noriega zu stürzen und in den USA zu inhaftieren. Fast genau zehn Jahre später, zum Jahreswechsel 1999/2000, wurde der Kanal an Panama übergeben.
Seither waren die Ausbaupläne immer wieder Anlass innenpolitischer Kontroversen. Nach dem Entscheid von Sonntag werden die Kanalschleusen nun von 34 Meter auf 55 Meter verbreitert, auch sollen die einzelnen Schleusenabschnitte verlängert werden.
Wem nützt der Ausbau des Kanals?
An Kritiken mangelt es nicht. Die FRENADESO bezweifelt etwa die positiven Einnahme- und Beschäftigungsprognosen der Regierung unter dem Sozialdemokraten Martín Torrijos. Demnach sollen während der rund zehnjährigen Bauphase 42.000 Arbeitsplätze entstehen, 7.000 davon als Festanstellungsverhältnisse. Die Kosten dafür werden von Regierung und Kanalbehörde auf 5,24 Milliarden Balboa (entspricht dem US-Dollar) beziffert. Die Kritiker aber gehen von rund acht Milliarden Bolboa aus - was rund der Hälfte des Bruttoinlandsproduktes entsprechen würde.
Unabhängig von den Kosten hat die Regierung trotz einer massiven Medienkampagne nicht erklärt, wie der Wohlstand geschaffen werden soll. Derzeit geht nur knapp ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung Panamas einer geregelten Betätigung nach, der Rest ist im informellen Sektor tätig oder lebt von Subsistenzwirtschaft.
Selbst bei einer positiven Prognose würde der Staat in jeden der 47.000 Arbeitsplätze umgerechnet rund 111.500 US-Dollar investieren, während übrige Wirtschaftszweige weiter brach liegen. Die Gegner des Kanalausbaus fordern deswegen dringend notwendige Investitionen in Landwirtschaft, Industrie und soziale Nothilfeprogramme. Sie können unter anderem auf die Zahlen des UN-Entwicklungsprogramms UNDP verweisen:
In Panama leben rund 40 Prozent der Bevölkerung in Armut, davon 16,6 Prozent in extremer Armut, was einer Zahl von 508.700 Menschen entspricht.
Aus der Länderinformation des UNDP
Diese unabhängigen Angaben belegen ein strukturelles Problem. Der panamesische Staat stützte sich von Beginn seiner Existenz an auf die Einnahmen aus dem Kanal. An der Entwicklung einer umfassenden Wirtschaft hatte die Oligarchie nie Interesse. Nicht zu Unrecht wird die Kanalbehörde ACP in einigen aktuellen Presseberichten als "Staat im Staat" bezeichnet: Seit ihrer Gründung 1997 alimentiert sie eine Oberschicht, die eine Investition der Einnahmen in den Agrarsektor oder in den Aufbau einer nationalen Industrie schlichtweg für unnötig hält.
Zieht man dieses akzeptierte Scheitern einer nachhaltigen Wirtschafts- und Sozialpolitik in Betracht, so erfüllt Panama die wichtigsten Kriterien eines "failed state" - mit dem Unterschied, dass die schwache Führung in diesem Fall Teil des Systems und historische Grundlage des in den USA entworfenen Staatskonstruktes ist.
Panama befindet sich damit in einer Situation wie die meisten Erdölstaaten. Auch das nahe Venezuela war bis zur Übernahme der Regierung Chávez in einem vergleichbaren Dilemma gefangen: Das Land hing wirtschaftlich fast ausschließlich von der Erdölförderung ab, 80 Prozent der Nahrungsmittel wurden aus den USA importiert.
Erst in den vergangenen Jahren versucht Caracas Landwirtschaft und Industrie außerhalb des petroindustriellen Sektors aufzubauen. Dieser Ansatz einer nachholenden Entwicklung aus eigener Motivation hat auch in Panama die Gegner der "Kanalpolitik" angespornt.
Unregelmäßigkeiten bei dem Referendum beanstandet
Die hohe Wahlenthaltung deuten die Aktivisten der FRENADESO als Zeichen der Ablehnung. Sie verwiesen Anfang der Woche darauf, dass die Kampagne für den Ausbau mit Millionenmitteln von Regierung, ACP, Unternehmern und privaten Medien bestritten wurde. Dass trotzdem so wenig Menschen an dem Referendum teilnahmen, belege das Scheitern.
Immerhin habe die Regierung die gesamte staatliche Infrastruktur dafür verwandt, die Abstimmung in ihrem Sinne zu beeinflussen, heißt es in der Erklärung von Montag. Bekannte Gegner des Ausbaus seien in den Wahllokalen mit dem Argument abgewiesen worden, sie seien nicht im Wahlregister eingetragen. Regierungsnahe Aktivisten hätten vor und in den Wahllokalen politisches Material verteilt, und Stimmen seien gekauft worden. Jaime Caballero, der Vorsitzende der FRENADESO, hat inzwischen bei der Organisation Amerikanischer Staaten Protest gegen die mutmaßliche Manipulation erhoben. Eine Antwort der Regionalorganisation steht noch aus.