Kann die Friedensbewegung wieder an Bedeutung gewinnen?

Seite 2: Perspektiven für die internationale Friedensbewegung

Was lässt sich nun aus dem Verlauf und den Inhalten dieser internationalen Konferenz für die Perspektiven der internationalen Friedensbewegung ableiten?

Die Hauptgegner sind nach wie vor die Nato und die USA sowie die EU - also die Hauptakteure des sogenannten Westens. Der brutale Imperialismus Russlands wird in den meisten Redebeiträgen ausgeklammert. Nur wenige weisen darauf hin, dass es sich bei der gegenwärtigen russischen Regierung und den mit ihr verbundenen Institutionen um ein autoritäres Regime handelt, das seine Opposition nach innen repressiv ausschaltet und nach außen imperialistisch-aggressiv agiert.

Die Kritik an den völkerrechtswidrigen Kriegen der USA wie dem Vietnamkrieg oder dem zweiten Irakkrieg ist nachvollziehbar und berechtigt. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Russische Föderation in ihren Nachbarstaat mit dem Ziel einmarschiert, die Staatlichkeit der Ukraine zu zerstören.

Das russische Militär und unter anderem die Privatarmee der Wagner-Gruppe haben dies mit unglaublicher Brutalität gegen die ukrainische Zivilbevölkerung getan.

Auch die völkische Ideologie und die rassistische Überhöhung des Russentums in Verbindung mit russischen Großmachtambitionen müssten von der Friedensbewegung beim Namen genannt werden, wenn sie aus der ideologischen Sackgasse und der geopolitischen Einseitigkeit, in der sie sich noch immer befindet, herauskommen will.

Das bedeutet - um nicht missverstanden zu werden - nicht, die ökonomischen und geopolitischen Interessen des Westens zu verschweigen.

Die Profite des militärisch-industriellen Komplexes, die Bewirtschaftung riesiger ukrainischer Agrarflächen durch US-Konzerne, Bodenschätze wie Lithium, Grafit und Kobalt sowie verschiedene Seltene Erden, Profite aus einem Wiederaufbau und Strategien geopolitischer Konkurrenz spielen sicherlich eine Rolle.

Dies gilt sowohl für das bisherige Desinteresse der US-Regierung an ernsthaften Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung als auch für die westliche Einmischung in die Friedensverhandlungen im Frühjahr 2022.

Nur ein ukrainischer Sieg würde diesen wirtschaftlichen und politischen Interessen dienen. Auch dies muss kritisch analysiert und deutlich angesprochen werden.

Für die Friedensbewegung sollte daher gelten: Das eine nicht lassen, aber auch das andere tun. Die westlichen Interessen und die Ablehnung diplomatischer Verhandlungsergebnisse einerseits und die Verurteilung der russischen Aggression als völkerrechtswidrig, verbunden mit der Forderung nach Rückzug des russischen Militärs aus dem ukrainischen Territorium, andererseits müssen von der Friedensbewegung angemessen thematisiert werden.

Wenn dies der Öffentlichkeit glaubhaft vermittelt werden kann, wird die Friedensbewegung wieder aus ihrem Schattendasein heraustreten können und den Zulauf und die Unterstützung erhalten, die die brutale Problematik der derzeit weltweit geführten Kriege verdient.

Diese Einschätzung wird manchen ideologischen Hardlinern nicht gefallen, die aus alter Verbundenheit immer noch meinen, die russische Regierung und Putin seien in der gegenwärtigen Situation zu unterstützen und es handele sich vor allem um einen US-imperialistischen Stellvertreterkrieg. Im Interesse des Weltfriedens und letztlich auch im Interesse der internationalen Friedensbewegung ist aber eine kritische Perspektive auf beide Seiten zu fordern.

In diesem Sinne schreibt auch die österreichische Journalistin Anna Giulia Fink in ihrem Kommentar in der Tageszeitung Der Standard:

Die alte Friedensbewegung mag es gut meinen in ihren Absichten: Tatsächlich sollte alles versucht werden, um ernsthafte Initiativen für Verhandlungen zu ermöglichen. (…) Zwar wird Moskau als Aggressor bezeichnet, aber nicht alle gestehen der Ukraine das Recht zu, fremde Streitkräfte aus dem eigenen Land zu vertreiben. Mehr noch: Kiew wird Mitschuld an der Invasion gegeben. Diese Weigerung, die Positionen des unbedingten Pazifismus zu hinterfragen, ist gefährlich: Sie macht blind für russische Kriegsverbrechen. Diese waren bei der sogenannten Friedenskonferenz nur am Rande Thema.

Trotz aller westlichen Interessen an der Ukraine und aller historisch gegebenen und gebrochenen Versprechen: Ziel der Verhandlungen muss sein, dass sich das russische Militär so weit wie möglich in Richtung der eigenen Staatsgrenzen zurückzieht, dass beide Staaten die Kampfhandlungen einstellen, dass eine international zu schützende entmilitarisierte Zone an der russischen Ostgrenze zur Ukraine eingerichtet wird und dass über den Status der Krim und der anderen russisch besetzten Gebiete verhandelt wird.

Das sollten zentrale Forderungen der internationalen Friedensbewegung sein. Bis dahin aber muss die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung gegen einen übermächtigen Aggressor unterstützt werden - allerdings ohne Waffen zu liefern, die den Krieg weiter eskalieren und völlig unkontrollierbar machen können.

Ausgeschlossen werden sollten daher Lieferungen von Kampfflugzeugen, weil damit Angriffe auf russisch besetztes und innerrussisches Gebiet möglich und wahrscheinlich werden.

Dann ist der Point of no Return erreicht und die Eskalationsdynamik nicht mehr kontrollierbar. Zwangsläufig werden dann die Stimmen noch lauter werden, auch Nato-Soldaten in größerem Umfang zu entsenden.

Hier zeigt sich, wie wichtig es wäre, eine immer größer werdende zivilgesellschaftliche Friedensbewegung zu haben, die die Problematik differenziert und multiperspektivisch wahrnehmen kann und die herrschende Politik zunehmend unter Druck setzt, den verhängnisvollen bellizistischen Eskalationskurs zu verlassen.

Waffenstillstandsverhandlungen müssen so schnell wie möglich beginnen und auch durch internationalen Druck und die Vermittlung der dafür zuständigen internationalen Organisationen (Vereinte Nationen und OSZE) erreicht werden.

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