Kann ein Sonderparteitag die Spaltung der Linken verhindern?
Seite 2: Sonderparteitag als Lösung?
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Auffällig ist, dass die Kritiker sich jetzt nicht mehr auf bestimmte Inhalte von Wagenknecht einschießen. Vielmehr wird ihr die Spaltung der Partei vorgeworfen. Teilweise sind es die gleichen Politiker, die vor Monaten Wagenknecht auffordern, sie solle die Partei verlassen. Es scheinen jetzt vor allem die Wagenknecht-Gegner zu sein, die einen Kompromiss ablehnen, der eine Spaltung verhindern könnte.
Das könnte auch daran liegen, dass Wagenknecht und ihre Anhänger durchaus eine Taktik verfolgen, wenn sie mit der Parteigründung warten. Sie könnten hoffen, dass es in der Linken Widerstand gegen den Kurs der aktuellen Parteiführung gibt. Schließlich ist sie in vielerlei Hinsicht in der Defensive.
Die Vorsitzenden, sowohl Janine Wissler als auch Martin Schirdewan, sind wesentlich weniger bekannt als Wagenknecht. Sie werden nicht mit einer bestimmten politischen Linie verbunden, eher als Verwalterinnen und Verwalter des Status quo. Zudem könnte Wissler weiter unter Druck geraten, wenn bei den Landtagswahlen in Hessen, wo sie aktiv ist, die Linke aus dem Landtag fliegt.
Dann könnte innerhalb der Partei der Ruf nach einem Sonderparteitag stärker werden. Ursprünglich kam er von Michael Brie, der eher dem Lager der "Reformer" zuzurechnen ist. Mittlerweile wird diese Forderung aber auch von Parteimitgliedern in Leipzig erhoben, was der aktuellen Parteiführung gefährlich werden könnte.
Denn eines der Direktmandate der Linken hat Sören Pellmann in Leipzig errungen. Er kandierte beim letzten Parteitag mit der Erklärung, dass er die Partei zusammenführen statt weiter spalten wolle. Er scheiterte jedoch. Pellmann und seine Anhänger wurden von der aktuellen Mehrheit der Reformlinken zusätzlich brüskiert, indem Kandidaten, denen vorgeworfen wurde, sie wollten Brücken zum "Wagenknecht-Flügel" bauen, systematisch bei den Wahlen abgestraft wurden.
Daher gibt es auch unter Linken, die keineswegs die Wagenknecht-Linie vertreten, genug Unmut über die aktuelle Parteiführung. Zudem haben sie keine Erfolge vorzuweisen. Es gibt immer wieder Meldungen über Austritte von Politikern aus allen Flügeln. Die einen gehen, weil sie sich aufregen, dass Wagenknecht ausgegrenzt wird, die anderen verlassen die Partei, weil sie nicht schon längst ausgeschlossen wurde.
Die Parteiführung vermittelt den Eindruck, sie verwalte den Untergang der Linken. Da wird es dann schon als Erfolg gebucht, wenn in einer ostdeutschen Kleinstadt ein Parteimitglied in die Stichwahl kommt.
Wäre eine Wagenknecht-Partei rechts?
Hinzu kommt, dass mit der Reform des Wahlgesetzes Die Linke wohl sicher nicht mehr im Bundestag wäre, weil die Regelung wegfallen soll, dass eine Fraktion auch durch drei Direktmandate zustande kommt. Eigentlich müsste die Parteiführung zum Protest dagegen aufrufen. Doch auch davon ist wenig zu hören. Bis auf scharfe Erklärungen im Parlament ist hier Funkstille. Dadurch wächst der Eindruck, dass der gegenwärtige Parteivorstand schlicht überfordert ist.
Ob andere Personen das anders halten könnten, ist unsicher. Doch es könnte denen nutzen, die das zumindest mal probieren wollen. Auf einen solchen Sonderparteitag zumindest hofft das Wagenknecht-Lager. Wenn man die Leserbriefe an der Linkspartei nahestehende Medien wie junge Welt und Neues Deutschland liest, sind deren Anhänger an der Basis zumindest nicht so wenige. Hier könnte auch ein Teil der Basis einer neuen Partei liegen.
Wäre es eine linke Partei? Wagenknecht-Gegner verneinen das und verweisen auf Umfragen, aus denen hervorgeht, dass auch ein Teil der aktuellen AfD-Wähler für eine solche Partei stimmen würde. Doch auch das ist eine zweischneidige Argumentation. Zunächst einmal könnte man sagen, dass es der AfD doch schadet, wenn es einer Partei mit sozialpolitischen Themen gelingt, ihr Wählerinnen und Wähler auszuspannen.
Zumal ja ein Teil dieser Wähler noch vor einigen Jahren Die Linke oder früher schon die PDS gewählt hat. Damit kämen also ehemalige Wähler zurück. Ist das rechts – oder müsste es nicht das Ziel linker Organisationen und Parteien sein, Wählerinnen und Anhänger von den Rechten zurückzuholen? Ein solches Ziel war zumindest zu Zeiten der Weimarer Republik bei sehr unterschiedlichen Spektren der Linken unstrittig.
Nicht nur die KPD versuchte, an der Basis der Nazis Anhänger abzuwerben. Auch der Anarchist Rolf Rocker diskutierte in den 1920er-Jahren mit NSDAP-Mitgliedern, weil er ihnen deutlich machen wollte, dass rechte Organisationen keine Interessenvertreter für sie sind.
Rocker war kein Anhänger von Parteien, sondern warb für die Organisierung in Basisgewerkschaften. Damals hatten sehr unterschiedliche linke Gruppen also noch das Selbstbewusstsein, auch Menschen anzusprechen, die rechts gewählt hatten oder überlegten, dies zu tun. Dieses Selbstbewusstsein ist der gesellschaftlichen Linken heute weitgehend verloren gegangen.