Kanzlerin Merkel verliert, Seehofer wieder als Kandidat gehandelt
ARD-DeutschlandTrend: Die Flüchtlingspolitik bleibt die Maßgabe zur Beurteilung. Zwei Drittel sind gar nicht zufrieden mit Merkel
Die Deutschen sind unzufrieden mit "Mama Merkel". Das Abarbeiten der CSU an ihrer Selbstbefeuerungs-Parole "Wir schaffen das schon" wird belohnt: Horst Seehofer segelt im Popularitätsaufwind.
Zwar ist es an den Grenzen ruhig, von Flüchtlingsandrang kann gar keine Rede mehr sein, aber die Flüchtlingspolitik bleibt der neuralgische Punkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Regierungsarbeit. 65 Prozent der Befragten sind laut dem aktuellen ARD-DeutschlandTrend "weniger bzw. gar nicht zufrieden" mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
Die schlechteste Bewertung für Merkels Flüchtlingspolitik seit Oktober 2015, als die Frage überhaupt zum ersten Mal im DeutschlandTrend gestellt wurde, spiegelt sich auch in den Popularitätswerten wieder. Merkel rutscht deutlich ab. Nur mehr 47 Prozent sind mit ihrer Regierungsarbeit zufrieden. Damit verlor sie 12 Punkte gegenüber dem Vormonat. Nur im Februar lag sie - mit einem Punkt weniger - noch darunter.
Merkel: Mehr Anhänger der Flüchtlingspolitik bei den Grünen als in der Union
Eine Mehrheit für ihre Flüchtlingspolitik findet sie nur mehr bei den Anhängern der Grünen, wie der Deutschlandtrend für Die Welt ausweist. 60 Prozent der Grünen-Anhänger sind "sehr zufrieden/zufrieden" damit. Am anderen Ende stehen die AfD-Anhänger, die zu 100 Prozent "weniger oder gar nicht zufrieden" mit Merkels Flüchtlingspolitik sind.
Selbst bei den Unions-Anhängern hat Merkel findet Merkel keine Mehrheit, die mit ihrer Flüchtlingspolitik zufrieden ist. 52 Prozent sind "weniger oder gar nicht zufrieden". Bei den SPD-Anhängern gaben dies 62 Prozent an, bei den Linken 69 Prozent.
Der Einbruch hängt mit zwei Phänomen zusammen, die zuletzt die Berichterstattung dominierten: die Aufräumaktionen Erdogans in der Türkei nach dem Putschversuch und die IS-Anschläge in Deutschland. Beide Themen sind mit der Flüchtlingspolitik verbunden. Die Angst vor Anschlägen ist laut DeutschlandTrend nach den Anschlägen in Ansbach und Würzburg merklich gestiegen. 76 Prozent der Deutschen fürchten, dass es in nächster Zeit auch Anschläge in Deutschland geben wird.
Die unmissverständliche Ablehnung der Aufnahme der Türkei in die EU - 80 Prozent aktuell, im April waren es noch 68 Prozent - gibt deutlich ein Misstrauen gegen die Führung des Landes zu erkennen. Noch deutlicher wird dies bei einem anderen Ergebnis: "Nur 5 Prozent der Deutschen zeigen Verständnis für das Vorgehen der türkischen Regierung - 90 Prozent haben dafür kein Verständnis." Indirekt ist daran auch abzulesen, dass der Partner des Flüchtlingspaktes, an dem Merkel maßgeblich gestrickt hat, als wenig verlässlich gilt - und der Pakt selbst nicht gut bewertet wird.
Dass mit diesen Umfrageergebnissen auch eine Kritik an der Regierungspolitik verbunden ist, zeigt sich bei den Erwartungen, die an Merkels Linie gestellt werden:
88 Prozent meinen, dass die Bundesregierung der türkischen Regierung entschiedener entgegentreten sollte.
"Ausgeschlossen ist bei Seehofer nichts"
Aus der CSU war von Anfang an Kritik gegen den Flüchtlingspakt mit der Türkei zu hören, sehr deutlich auch gegen die Visa-Erleichterungen, und ganz allgemein gegen die Flüchtlingspolitik Merkels. Insbesondere ihr Motto "Wir schaffen das" löst in Bayern regelmäßig laute Gegenreaktionen aus. CSU-Chef Horst Seehofer konnte sich damit als Gegenspieler profilieren. Beim jüngsten DeutschlandTrend hat ihm einen Popularitätsaufschwung beschert. Er hat um elf Punkte zugelegt und liegt nun bei 44 Prozent. Nur wenig unterhalb des Wertes der Kanzlerin (47 Prozent).
Viele andere Politiker liegen in der Beliebtheitstabelle weit vor ihm: Steinmeier mit 71 Prozent, Wolfgang Schäuble mit 60 Prozent, Winfried Kretschmann mit 51, Cem Özdemir ebenfalls mit 51 Prozent - und aus der Union noch Thomas de Maizière (50 Prozent), selbst Ursula von der Leyen übertrifft ihn, allerdings nur ganz knapp mit 46 Prozent.
Dessen ungeachtet gibt der Höhenwind für Seehofer im Sommerloch der Medienöffentlichkeit wieder Anlass in, die Kanzlerkandidatur Seehofers neu zum Thema zu machen. Ausgeschlossen ist bei Seehofer nichts, wie Beobachter aus dem Süden schreiben.
Zuletzt hatte die CSU wieder verstärkt Signale gegeben, dass man einen eigenen Wahlkampf, also getrennt von Merkel, als ernsthafte Option aufrechterhält. Man wird wohl auch ausreizen, wie weit man mit einem eigenen Kanzlerkandidaten spielen kann. Für Seehofer ist das auch eine gute Möglichkeit, die Konkurrenz in der eigenen Partei unter Kontrolle zu halten. Bis Frühjahr 2017 sollte die CSU einen Plan haben, kommentiert die Welt. Bleibt also noch Zeit, mit "Ausgeschlossen ist nichts" zu taktieren.
Risiken des Streits
Der Clinch mit der Schwesterpartei birgt jedoch auch einige Risiken, wie sich im DeutschlandTrend ebenfalls zeigt. Immerhin sind es knapp zwei Drittel, die der CSU vorwerfen, dass ihr "die eigenen Interessen wichtiger sind als der Erfolg der Regierung".
Demgegenüber sind 40 Prozent der Auffassung, dass es gut sei, dass sich die CSU sehr offensiv gegen die Kanzlerin positioniert. Politischer Streit innerhalb eines Lagers findet in Deutschland aber nur bis zu einem gewissen Maß Rückhalt. Die Welt zitiert aus der Umfrage:
Gut neun von zehn Bürgern sind der Auffassung, die Koalitionsparteien sollten stärker gemeinsame Lösungen vorantreiben, als sich öffentlich zu streiten.
Ein Kanzlerkandidat Seehofer bräuchte also Fingerspitzengefühl. Das hat er öfter mal nicht.