Karriere mit links: Warum die Krise der Linkspartei auch eine Krise des Parteiensystems ist

Für die Linke-Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler gibt es viel aufzuarbeiten. Foto: Steffen Prößdorf / CC-BY-SA-4.0

Die Linke will wegen Parteiaustritten ihre Bundestagsfraktion auflösen – nach Jahren zwischen progressivem Auftreten und Streben nach "Regierungsfähigkeit". Was sind die Lehren?

Am Dienstag wurde bekannt, dass Die Partei Die Linke nächste Woche den Zeitpunkt der Auflösung ihrer Bundestagsfraktion festlegen will. Hintergrund sind die Parteiaustritte der bisherigen Fraktionsmitglieder rund um Sahra Wagenknecht.

Die Krise der Linkspartei ist aber auch das Ergebnis des Ankommens der Partei im politischen Mainstream. Die notwendige Etablierung wurde davon begleitet, dass sie über die Jahre immer attraktiver für Karrierewege wurde. Dies wurde ihr zum Problem, weil dabei zunehmend das politische Profil auf der Strecke blieb.

Die Parteienlandschaft befindet sich im Umbruch. Das politische Zentrum um SPD, Grüne, FDP und Union wird von einem Umfrage-Hoch der AfD herausgefordert. In die Serie an Niederlagen für Die Linke reihte sich jüngst das Ausscheiden der hessischen Linksfraktion aus dem Wiesbadener Landtag ein. Die Linkspartei zerbricht derzeit und Sahra Wagenknecht wird versuchen, die Repräsentationslücke selbst zu füllen. Das Potential ist groß, denn viele Menschen fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten.

Wenn Parteien "zu behäbig" werden

Die FAZ schrieb kürzlich, dass die klassischen Parteien "offenbar zu behäbig geworden" sind, um "Entwicklungen aufzugreifen, die im Volk die Willensbildung bestimmen." Die "Behäbigkeit" hat indes vor der Linkspartei nicht Halt gemacht. Die ersten Jahre hatte Die Linke unterschiedlichste Gruppen als Protestpartei vertreten und sich als Stimme für soziale Gerechtigkeit und Frieden etabliert.

Nun befindet sich die Partei in der Defensive. Mehr noch: Sie läuft Gefahr, endgültig in die Bedeutungslosigkeit abzusinken. Der Niedergang der Partei ist vor allem das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, die durch interne Machtkämpfe um die Ausrichtung der Partei herbeigeführt wurde. Durchgesetzt haben sich dabei jene Kräfte, die aus der Partei eine "moderne Gerechtigkeitspartei" machen wollen, die das Sprachrohr für alle "Bewegungen" und "Aktivisten" sein will.

Kurzum: für sich als fortschrittlich verstehende Milieus, meist aus Großstädten. Die Marke Die Linke wurde in diesem Sinne neu erfunden. Dies allerdings auf Kosten der Interessen von Milieus, die überwiegend nicht in den Zentren der Großstädte leben. Der Richtungsstreit der Linken hat aber auch mit den Biografien und den individuellen Karriereplanungen des politischen Personals der Partei zu tun.

Denn auch wenn Die Linke als Protestpartei gestartet ist, wurde sie – überspitzt gesagt – über die Jahre von einer Partei, die sich etablierte, zu einer Partei der Etablierten. Ähnliches war in den Jahren und Jahrzehnten zuvor bereits SPD oder den Grünen "widerfahren".

Diese Entwicklung wurde von großen Teilen in der Linken begrüßt und aktiv unterstützt. Insbesondere gilt das für das Lager der "Reformer" in der Partei, das vor allem in den ostdeutschen Bundesländern stark vertreten ist. Bereits als Teile der Linken noch PDS hießen, strebten Reformer an, Kurs und Auftreten der Partei stärker auf Akzeptanz im politischen Zentrum hin zu korrigieren..

Neben den Reformern haben in den vergangenen Jahren die Lager der "Bewegungslinken" und Linksliberalen an Bedeutung gewonnen. Sie repräsentieren jene Gruppen, die die Partei nahe an aktivistischen Bündnissen ausrichten wollen, dabei vor allem an den Klimaprotesten um Fridays for Future sowie dem inzwischen aufgelösten Unteilbar-Bündnis.

Unterschiedliche Auffassungen, gleiche Zielgruppe

Auch wenn Bewegungslinke und Linksliberale in manchen Fragen unterschiedliche Auffassungen vertreten, einte sie immer eines: die Zielgruppe ihrer Politik. Das ist eben jenes großstädtische, in der Regel gut gebildete, aktivistische Milieu, aus dem auch fast alle ihrer Mitglieder stammen. Zwar plädiert die Bewegungslinke für eine besonders laute, schrille und konfrontative politische Kultur.

Der damit verbundene Aktivismus, die moralische Grundhaltung sowie die zuweilen reflexhafte Verortung auf der Seite der "Guten" in öffentlichen Debatten führen jedoch schnell in den Mainstream zurück. Das moralische und aktivistische Linkssein definiert sich immer stärker durch die gemeinsame "Brandmauer" gegen die AfD.

Sich gegen die Rechtspopulisten zu positionieren, gehört in den Milieus, die eine Bewegungslinke erreichen will, zum guten Ton. Die Haltung gegen rechts ist – so ehrlich sie sein mag - ein Akt der Performance und Selbstvergewisserung, der einen großen Teil der Linken mit dem politischen Zentrum verbindet.

So nachvollziehbar diese Haltung ist, ignoriert sie leider einen Teil der wesentlichen Ursachen für das Erstarken der AfD. Diese wiederum deutet für ihre eigene Anhängerschaft die gemeinsame Brandmauer der Anderen zum "Einheitsbrei" der "Altparteien" um.

Nähe der Linken zur "Mitte" dient Rechten als Steilvorlage

Die Rechte punktet vor allem in gesellschaftlichen Fragen, auf die das restliche Parteiensystem kein ausreichendes Angebot an seriösen Lösungskonzepten liefert. Überall dort, wo dies geschieht, gewinnen sie aber auch proportional an Kraft, je mehr sich Linke und Mitte gegen sie unter die Arme greifen, inhaltlich angleichen und genau die Nähe demonstrieren, an der die Rechten sich abarbeiten.

Dies war beispielsweise nach der gemeinsamen Abstimmung von AfD, Union und FDP im Thüringer Landtag die Folge, als diese gemeinsam gegen die "rot-rot-grüne" Minderheitsregierung eine Absenkung der Grunderwerbssteuer durchgesetzt haben.

Viele Linke stimmten in die große Empörung ein, die darüber besonders in sozialen Netzwerken geäußert wurde. Dabei spielte die sachliche Frage keine Rolle, ob die Absenkung dieser Steuer nicht möglicherweise auch zum Vorteil für Familien mit geringen Einkommen wäre – und damit für eine Zielgruppe der Linken. Entscheidender als der Inhalt war offenkundig die Frage, von wem dieser vertreten wird.

Gleiches gilt für Auseinandersetzungen zu den Themen Klimawandel und Migration, aber auch im Fall des Ukraine-Krieges, bei dem diejenigen, die für Diplomatie statt für immer mehr Waffen eintreten, regelmäßig als "rechtsoffen" oder "putinfreundlich" bezeichnet werden. Im Mainstream werden Meinungsspektren zu vielen Themen in einer moralisierenden Tonlage verengt.

Der politische Betrieb wird geprägt von einer sehr starken Sogwirkung dieses Zentrums in Form von Netzwerken und einem Umfeld an Akteuren (Presse, Nichtregierungsorganisationen etc.), die einem schneller und professioneller rückkoppeln, was richtig und was falsch ist, als der ferne Demos – das Wahlvolk. Das Feedback aus diesen Kreisen bedeutet deutlich mehr, auch weil man es tagtäglich und unmittelbar erhält. Die Rückmeldung der Wählerinnen und Wähler erfolgt dagegen zeitversetzt, zum Teil erst nach Jahren.

Das Reformerlager in der Linkspartei kommuniziert seine Sehnsucht nach Nähe zum politischen Zentrum sehr offen: Das erklärte Ziel vieler Vertreter dieses Flügels ist es seit Jahren gewesen, Die Linke "regierungsfähig" zu machen. Dafür sollte Die Linke gemäßigter auftreten und sich mehr an die Spielregeln des politischen Zentrums halten.