Karriere mit links: Warum die Krise der Linkspartei auch eine Krise des Parteiensystems ist

Seite 2: Fixierung auf "Follower" statt Masse der Beschäftigten

Aber auch Bewegungslinke und Linksliberale zeichnet die Nähe zu dem sozialen Gefüge aus, das eine eigene Realität im politischen Betrieb darstellt. Es sollte nicht unterschätzt werden, welche Kraft solche Netzwerke (auch die sogenannten sozialen Netzwerke) dabei als Räume der Resonanz der eigenen (politischen) Sozialisation haben.

Für nicht wenige Aktivisten gelten vor allem die Reaktionen des Umfelds und der "Follower" im Social-Media-Bereich als wesentliche Gradmesser der politischen Bedeutung. In der Linken würde wohl kaum jemand widersprechen, dass es die Masse der Beschäftigten braucht, um linke Ziele durchzusetzen. Eine große Schwierigkeit ist es dabei aber geworden, eine Politik für diese Masse mit Forderungen und Sprache zu verbinden, die sie auch erreicht.

Die Resonanz der politisch "Aktiven" im eigenen Umfeld hat leider immer stärkeres Gewicht gegenüber der Mehrheit der "ganz normalen" Beschäftigten. Konfrontiert man Vertreter aus den aktivistischen Kreisen mit diesem Problem, wird einem in der Regel erwidert, dass die Masse der Beschäftigten nicht traditionell, ländlich und fortschrittskritisch sei.

Natürlich sind "die Beschäftigten" keine homogene Gruppe und es ist völlig richtig, auf die Vielfalt der Beschäftigten hinzuweisen. Aber es ist Selbsttäuschung, wenn man den Befund ignoriert, dass das überzogen progressive Auftreten der Linken sie für große Teile der Beschäftigen unwählbar gemacht hat.

Statt diese Entfremdung aufzuarbeiten, werden Beispiele gesucht, die das eigene Weltbild bestätigen. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn Klimaaktivisten Forderungen vortragen, die massive finanzielle Nachteile für die "einfache Bevölkerung" haben, und gleichzeitig betonen, dass sie "Arbeiterkinder" sind oder solche auch in ihren Kreisen mitdemonstrieren. Eine Politik gegen objektive Interessen einer Gruppe wird auf diese Weise mit deren scheinbarer Repräsentation ihrer "Identität" kaschiert.

Entfremdung in Corona-Krise und Ukraine-Krieg verstärkt

Die starke Hegemonie des politischen Zentrums und vor allem der Lebensweise des großstädtischen, akademischen Milieus hat in der Partei Die Linke zu Hemmungen geführt, sich mit ihm anzulegen. Denn es ist das soziale Milieu, aus dem ein Gros der Politfunktionäre auch der Linken inzwischen selbst stammt. Vor allem in der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg hat sich die Konfliktunlust durchgesetzt und den Widerspruch zwischen abwandernden Wählerinnen und Wählern der Partei Die Linke und dem biografischen Umfeld der Funktionäre verstärkt.

Nicht von ungefähr schrieb der Philosoph und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates der Rosa Luxemburg Stiftung, Michael Brie vor bald einem Jahr, dass die Partei sich in wichtigen Fragen aus Angst vor Kontroversen wegduckte (Pandemie und Ukraine-Krieg), oder sich weit vom Standpunkt der Mehrheit der Beschäftigten entfernte (Migration).

Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, gehören zwar zu einer gewissen Grundprofessionalität, die es in der Politik braucht. Aber in den vergangenen Jahren wurde aus dieser Professionalität immer häufiger eine "Äquidistanz" besonders in schwierigen Fragen. Es dominierte eine Angst, sich Karrierewege zu verbauen.

Der Partei Die Linke gelang es daher auch wegen biografischer Ängste zuletzt immer weniger, die elektorale Leerstelle in traditionellen und einfachen Milieus zu bedienen. Weil dieses Milieu einem karrieretechnisch – anders als das eigene soziale Milieu – nicht viel zu bieten hat: Es bietet schlichtweg keine Jobs in den Medien, in der Wissenschaft, bei NGOs, Likes auf Twitter oder das gemeinsame Gefühl von "Wir sind die Guten".

Mit der Zeit "professioneller" – und unattraktiver für Profis

Das Angebot der Linken war einst die besondere Bereitschaft zum Anecken und Widerspruch zum Mainstream. Auf vorsichtigeres Auftreten, besonders bei den großen Themen, die die Gesellschaft beschäftigen, folgten auch stärkere Abstrafungen bei Wahlen. Dies wiederum führte nur umso mehr dazu, dass die Partei immer weniger institutionelle Ressourcen hatte. Somit wurde sie auch gerade, weil sie besonders "professionell", anerkannt und gemäßigt sein wollte, immer unattraktiver für viele Profis. Ein Teufelskreis.

Der Abstieg der Linken sollte aus diesen Gründen keinen Anlass für Häme und Spott bei anderen Parteien bieten. Denn es gibt insgesamt eine Krise der Repräsentation der Parteien jenseits der AfD. Alle Parteien, die das Interesse vereint, die Vertretung der Unzufriedenen nicht allein den Blauen bis Braunen zu überlassen, sollten sich daher mit der Frage beschäftigten, wie es gelingen kann, dem Anpassungssog des politischen Zentrums die Kraft zu nehmen.

Nur dann kann die postdemokratische "Behäbigkeit" in den Parteien überwunden werden. Dass große Teile der Bevölkerung sich gegenwärtig von keiner Partei vertreten fühlen, sollte auch vor dem Hintergrund der hier vorgetragenen (zugespitzten) These zu mehr Selbstkritik im Politikbetrieb führen.

Denn ein sich in seiner Blase einrichtender Karrierismus hat nicht nur der Linkspartei enorm geschadet, sondern schadet am Ende allen Parteien, weil sie dadurch politikunfähiger werden.

Jöran Klatt, Historiker aus Berlin, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Abgeordneten der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag

Constantin Braun, Politikwissenschaftler aus Berlin, arbeitete viele Jahre für Die Linke im Deutschen Bundestag sowie im Europaparlament