Katerstimmung in Pakistan
In Pakistan ist die Freude über die Absetzung Nawaz Sharifs einem schweren Kater und der Erkenntnis gewichen, dass das Land ein weiteres riesiges Problem hat
Zuerst die gute Nachricht: Im Zuge der Ermittlungen gegen Premierminister Nawaz Sharif zahlen einzelne pakistanische Abgeordnete plötzlich bis zu 3800 Prozent mehr Steuern als zuvor - die Ehrlichkeit oder die Angst erwischt zu werden, ist in den letzten Wochen enorm gewachsen. Zudem steht das Thema Korruption endlich ganz oben auf der Tagesordnung. Denn die Korruption ist es, die dafür sorgt, dass in einem an sich reichen Land wie Pakistan die Mehrheit der Bevölkerung ohne Aussicht auf anständige Bildung und Krankenversorgung in materieller Armut lebt.
Doch schon am Montag kam heraus, dass der neue pakistanischen Premierminister Shahid Khaqan Abbasi der Hauptverdächtige im Fall einer Korruptionsaffäre um eine 2-Milliarden-Dollar-Gaslieferung ist, die er als ehemaliger Minister für Gas und Öl zu verantworten hatte. Zwar hat die Behörde NBA den Fall im Dezember geschlossen, aber festgestellt, dass es bei der Gaslieferung nicht mit rechten Dingen zuging. So hat Imran Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) angekündigt, den Fall wieder vor Gericht zu bringen. "Ach, da laufen noch 10 andere Anzeigen gegen mich", kommentierte der aktuelle Premier Abbasi gelassen den Vorwurf. Zwar gilt Abbasi nur als Platzhalter für Shabaz Sharif, der die Familiendynastie der Sharifs als höchster Staatsmann weiterführen soll, aber auch gegen Shahbaz, derzeitiger Ministerpräsident der Provinz Punjab, laufen allein bei der Korruptionsbehörde (NBA) 16 Untersuchungen. Dazu bombardieren sich Pakistans politische Parteien nun täglich mit ausgeklügelten Anzeigen.
Anzeigen sind ein übliches Druckmittel, nicht nur für Pakistans Polit-Elite. Die Geschichte eines befreundeten Landlords zeigt ebenfalls, dass es gar nicht so einfach ist, aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu gelangen, selbst wenn man will: Nadeem Baloch (Name geändert), der Landlord und Oberhaupt eines 100-köpfigen traditionellen Clans von Belutschen, versucht schon seit Jahren seinen Leuten Bildung zu vermitteln und sie auf höhere Schulen zu schicken. Animiert durch den Kontakt mit einer engagierten Lehrerin, ließ er in seiner Provinz eine Schule bauen und schickte auch seine eigenen Kinder dorthin.
Als er in Lahore auf Geschäftsreise war, bekam er einen Anruf seines Sicherheitschefs: Mitglieder des Nachbars-Clans hätten sein Grundstück betreten, worauf man geschossen hätte. Bevor Baloch zurück war und vermittelnd einschreiten konnte, waren schon zwei Mitglieder der Gegenpartei erschossen worden und ein Krieg im Gange. Der andere Clan holte sich Hilfe vom örtlichen Polizeichef und stellte ihm einen Bagger zur Verfügung, mit dem er das Haus von Baloch dem Erdboden gleichmachte. Anschließend wurde Baloch angezeigt und mit mehr als 30 Verfahren überzogen. Der Landlord war dann für zwei Jahre auf der Flucht. Geklärt wurde das "Problem" nicht von den Gerichten des Landes, sondern vom Oberhaupt der Belutschen der Region. Er rief beide Parteien zu sich und sprach Recht: Balochs Familie hatte einen großen Betrag an Blutgeld für die Toten der anderen Partei zu bezahlen, dann wurden alle Anzeigen zurückgezogen und die Verfahren eingestellt.
Baloch kann im Gegensatz zu den anderen Landlords der Region mit einem Kleinwagen durch die Gegend fahren, denn mittlerweile versteht die eigene Familie, dass dies kein Zeichen von Schwäche ist, sondern eines gegen Protzerei und Verschwendung. Er kann auch Schulen bauen und darauf bestehen, das an den Zapfsäulen seiner Tankstelle der Literzähler nicht wie üblich manipuliert wird, da auch so schon genug Gewinn erwirtschaftet wird. Aber an bestimmte ungeschriebene Gesetze hat sich Baloch zu halten, sonst kann seine Familie im Dschungel Pakistan nicht überleben.
In einer ähnlichen Situation befindet sich Imran Khan momentan. Sein Kampf gegen die Windmühlen der Korruption in Pakistan ist nicht hoch genug zu schätzen, aber auch gegen ihn liegen jetzt schon Anzeigen vor. Nicht nur wegen seines Marsches auf Islamabad im Jahre 2014, sondern weil auch sein Name in den Panama Papers auftauchte. Zwar konnte er den Geldfluss für den Kauf seiner Londoner Wohnung offenlegen und nachweisen, dass er nicht den pakistanischen Steuerzahler betrogen hat, sondern nur (legal) den britischen Fiskus. Doch auch Khan ist nicht gefeit gegen die Spitzfindigkeit der gegnerischen Anwälte. Ganz zu schweigen von seinen Parteikollegen, von denen die Mehrheit dunkle Flecken aus der Vergangenheit mit sich trägt. Nawaz Sharif wurde nicht wegen Korruption aus seinem Amt gejagt, sondern wegen der Spitzfindigkeit seiner Gegner verurteilt. Sie hatten herausgefunden, dass er 2013 die Höhe seines Einkommens falsch angegeben hatte. Gegen jeden möglichen zukünftigen pakistanischen Premierminister laufen schon jetzt Verfahren oder Anzeigen - und so kann jeder von ihnen von der Konkurrenz aus dem Amt geklagt werden.
Viel Schlechtes könnte über die letzten neun Jahre Demokratie in Pakistan erzählt werden, aber trotzdem ist das Leben freier geworden im Vergleich zur Ära von Ex-Diktator Musharraf. Nur dank des Demokratieversuchs hat es das Thema Korruptionsbekämpfung ins allgemeine Bewusstsein geschafft. Doch das war beim letzten Demokratieversuch in den 90ern kaum anders, als sich die Bhuttos und Sharifs gegenseitig wegen Korruption aus dem Amt klagten und dann General Musharraf übernahm. Auch er steht mittlerweile vor Gericht, der Demokratie sei Dank.
So liegt es an Hoffnungsträger Imran Khan, der Konkurrenz die Hand zu reichen, egal wie dreckig die gereichten Hände sind. Es braucht die gemeinsame Anstrengung, um die Verfassung zu ändern, so dass die jeweilige Regierung gestärkt wird und damit das Pflänzchen Demokratie in Pakistan. Bei der nächsten Wahl sollte dann wieder das Volk entscheidend sein - und nicht irgendwelche Spitzfindigkeiten vor Gericht. Dank Imran Khan und einer Presse, die in der Demokratie besser gedeiht, wird auch die Bevölkerung regelmäßig daran erinnert werden, was Korruption anrichtet: Dass wenige den Reichtum ihres Landes für einen Bruchteil seines Wertes verscherbeln und den Gewinn in die eigene Tasche stecken, anstatt in die Entwicklung des eigenen Landes. Ein Phänomen, das sich in aller Welt beobachten lässt.
In ein paar Wochen wird Pakistan in der westlichen Welt wieder einzig wegen Bombenanschlägen und Extremismus in den Schlagzeilen stehen. Und wie immer geht dabei vergessen, dass das Land erst ab 1978 extrem islamisiert wurde, unter Mithilfe Saudi-Arabiens und der USA. Damals wurden die unterstützten "Freiheitskämpfer" Mudschahedin genannt - aus ihnen bildeten sich dann die Taliban und das lose Geflecht von Fanatikern namens al-Qaida. Nicht nur in Pakistan müssen Menschen immer wieder daran erinnert werden, auch in Europa. Schließlich sind es unsere westlichen Staatsführer, die so genannte "Freiheitskämpfer" tatkräftig unterstützen - aktuell im arabischen Raum.