Kein Betriebsrat bei AVM

Der FRITZ!Box-Hersteller AVM verhindert in Berlin einen Betriebsrat und bleibt damit der Branche treu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die IT-Branche bleibt sich treu. Das Berliner Kommunikationsunternehmen AVM hat erfolgreich die Gründung eines Betriebsrates verhindert. Auf einer Mitarbeiterversammlung der RSS Rat, Service und Support GmbH hieß es am Freitag von Beschäftigten, die Geschäftsleitung habe die Belegschaft erpresst. Dass die Mitarbeiter überhaupt auf einer Betriebsversammlung der RSS zusammen kamen – und nicht, wie zu erwarten, auf einer Versammlung der AVM Computersysteme Vertriebs GmbH –, ist Folge der Auseinandersetzung um die Gründung eines Betriebsrates. Die hundertprozentige Tochterfirma RSS Rat, Service und Support ging aus einer erst vor zwei Wochen von AVM ausgegliederten Abteilung hervor. Die meisten Beschäftigten wollen nun von weiteren Bemühungen für die Einsetzung eines Betriebsrates zunächst absehen. Sie befürchten, dass der Tochterfirma von der AVM-Zentrale anderenfalls die Aufträge entzogen werden. AVM beschäftigt bundesweit fast 500 Mitarbeiter, in Berlin sind es etwa 400 - mehr als 160 davon arbeiten nun bei RSS.

„Wir möchten nicht riskieren, dass wegen unserer Bemühungen 160 Kollegen auf der Straße landen“, teilte die Betriebsratsinitiative mit. Die Mitstreiter der Initiative wollen auch weiterhin anonym bleiben. „Alle hier gehen davon aus, dass sie die ersten sind, die rausfliegen werden“, sagte Anton Mayer. Der Student arbeitet seit mehreren Jahren bei AVM, zuletzt in der Abteilung „Support“. Nachdem seine Abteilung von der Geschäftsführung verdächtigt wurde, einen Betriebsrat ins Leben rufen zu wollen, informierte AVM-Geschäftsführer Johannes Nill die Kollegen am 10. August dieses Jahres darüber, dass die bisherige Tätigkeit des Bereichs „Support“ auf die neu gegründete Firma RSS Rat, Service & Support GmbH übertragen wird.

„Wir wurden ausgegliedert, um deutlich zu machen, dass die Firmenleitung keine Mühe scheut, einen Betriebsrat zu verhindern“, sagte Mayer. Auffällig ist, dass die Gewerkschaft IG Metall kurz vor der Ausgliederung dieses Jahres erfolglos versuchte, mit der Firmenleitung wegen einer Betriebsratswahl ins Gespräch zu kommen. Bisher sind bei RSS nur ein Dutzend Kollegen in den Gewerkschaften IG Metall und Verdi organisiert. AVM-Sprecher Urban Bastert weist die Vorwürfe zurück und sagte dem Berliner Tagesspiegel: „Mitarbeitern wurde in keiner Weise gedroht, wegen des Betriebsrats ihre Arbeitsplätze zu verlieren.“ AVM stellt vor allem DSL- und ISDN-Modems für die Internetnutzung her, unter der Marke FRITZ!Box vertreibt das Unternehmen erfolgreich Router. 2005 erzielte es einen Umsatz von 200 Millionen Euro.

Dass die Firma in Sachen Mitarbeitervertretung kein Einzelfall ist, darauf verweisen Gewerkschafter. Arbeitnehmervertreter haben vielerorts mit Outsourcing und Offshoring, also dem Ausgliedern von Abteilungen und Neugründungen von Tochterfirmen im Ausland, zu kämpfen. Eine gewachsene Kollegialität innerhalb der Belegschaften sei oft nicht zu verzeichnen. Die in Ver.di gewerkschaftlich organisierten Betriebsräte in der Informations- und Telekommunikationsbranche, die im Januar 2006 in Leipzig zum 9. IT-Forum der Gewerkschaft zusammenkamen, klagen außerdem über die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Vergütungsmodellen. Michael Jaekel, bei Verdi für die IT-Branche zuständig, spricht von einer ernstzunehmenden Herausforderung. Genaue Zahlen über Betriebsräte in IT-Unternehmen liegen derzeit zwar nicht vor, Gewerkschafter gehen aber davon aus, dass es höchstens in 25 Prozent aller Firmen der Branche einen Betriebsrat gibt. Noch weniger ausgeprägt dürfte die gewerkschaftliche Repräsentanz in den Unternehmen sein.

Beim Software-Riesen SAP – das letzte unter den 30 Dax-Konzernen ohne Betriebsrat – konnte erst im Juni dieses Jahres ein Betriebsrat erzwungen werden, da in Betrieben mit mehr als fünf fest Angestellten laut Betriebsverfassungsgesetz ein Betriebsrat vorgesehen ist. Die IG Metall setze ihn im Fall von SAP gerichtlich durch. Erstmals in der Firmengeschichte gibt es bei SAP nun eine organisierte Arbeitnehmervertretung. Im Betriebsratsvorstand ist aber nur ein Mitglied gewerkschaftlich organisiert. „Trotz unserer Bemühungen konnten wir uns in der Belegschaft nicht verankern“, heißt es von einem Mitarbeiter der IG Metall. Seit der Gründung von SAP im Jahr 1972 hat die IG Metall immer wieder erfolglos versucht, einen Fuß in den Konzern zu bekommen. Noch im März dieses Jahres hatten 90 Prozent der Belegschaft einen Betriebsrat abgelehnt. Europas führender Softwarekonzern hat in Deutschland 14 000 Mitarbeiter. Vor der ersten Abstimmung im März hatte SAP-Mitgründer Dietmar Hopp scharfe Kritik an einem Betriebsrat geäußert.

Geradezu katastrophal verlief der Versuch der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, im Internetauktionshaus eBay Fuß zu fassen. Die Geschäftsleitung legte im April 2004 den eBay-Angestellten anonym zugespielte, interne Unterlagen der Ver.di-Abteilung connexx.av vor, die deutlich machten, dass sich die Gewerkschaft aus Sorge vor skeptischen Reaktionen der Belegschaft zunächst nicht offen zu erkennen geben wollte. Die Belegschaft fühlte sich daraufhin von Verdi hintergangen. Das wusste die Geschäftsleitung zu nutzen:

Für ein paar Wochen hieß es bei eBay-Mitarbeitern daraufhin „Gemeinsam gegen die Gewerkschaft“. Dutzende Mitarbeiter demonstrierten vor dem Firmensitz öffentlich gegen die connexx.av-Kampagne. „Wir Mitarbeiter von eBay haben beschlossen, uns zu der von connexx.av geführten, untragbaren Kampagne gegen unser Unternehmen zu äußern“, hieß es in einem offenen Brief an die Gewerkschaft. In einer Reaktion gaben die Gewerkschafter von connexx.av zu, dass sie die Härte der Auseinandersetzung unterschätzt hatten. Bei eBay werde mit harten Bandagen gekämpft. „Wir haben nicht mit der unautorisierten Beschaffung oder Weitergabe von Projektinterna, nicht mit anonymen Droh-Mails und nicht mit persönlichen Einschüchterungsversuchen gerechnet.“ Trotz des entmutigenden Beispiels will sich die Gewerkschaft bei AVM beziehungsweise RSS nicht ganz geschlagen geben. „Immerhin diskutiert die Belegschaft jetzt über eine Mitarbeitervertretung“, erklärte Petra Jentzsch von der IG Metall. Auch die Geschäftsführung signalisierte dazu ihre Zustimmung. Den Haken für die Mitarbeiter kann jedoch auch die IG Metall nicht abstreiten: Die Befugnisse dieses Gremiums sind stark beschränkt, rechtliche Garantien - wie sie für einen Betriebsrat gelten - gibt es nicht.