Kein Clown des Kreml: Kadyrow will Ostdeutschland "zurück"
Radikaler mit viel Meinungsfreiheit: Der moskautreue tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow will Ostdeutschland zurück. Wie ernst muss man das nehmen?
Ramsan Kadyrow, Moskaus Regionalfürst in Tschetschenien, wirkt immer etwas wie das "Enfant terrible" des russischen Polit-Establishments. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass er im Kreml-Establishment mit seinen harschen Statements eine gewollte Rolle spielt und Scharfmacher wie er absichtlich eine wesentlich größere Freiheit bei der Meinungsäußerung haben als selbst sanfteste Kriegszweifler.
Kadyrow als Radikaler in einem scheinbaren Konsens
Für das Analyseportal Re:Russia spielen sie innerhalb eines russischen Kriegschors bewusst ihre Rolle, ebenso wie die sogenannten patriotischen "Militärkorrespondenten" auf Telegram oder die systemtreue Opposition in der Staatsduma. Ihr Recht auf eine eigene politische Agenda resultiert dabei daraus, dass der Kreml nun tut, was Radikale wie Kadyrow bereits vor der Ukraine-Invasion forderten, nämlich einen Krieg ins Nachbarland zu tragen.
Ihre Rolle ist nach Meinung von Re:Russia die öffentliche Darstellung, dass auch Leute mit einer ansonsten abweichenden Meinung über "die Berechtigung und Notwendigkeit des Krieges" einig sind. Es gehe um die Darstellung eines "breiten Konsens", in dem Kadyrow den Radikalen mimt. Mit anderen Worten: Er soll Präsident Putin gemäßigt und Russland pluralistisch erscheinen lassen – mit dem gemeinsamen Nenner, dass es nicht ohne Krieg auskommt.
Radikal ist bei Kadyrow normal. So machten Kadyrows verrückt klingende Worte, Ostdeutschland sei "unser Territorium", die Deutschen müssten "als Verräter bestraft werden" und Russland solle dort einfallen, selbst in oppositionell-russischer Presse bei weitem weniger Schlagzeilen als in Deutschland selbst. Keine 20 Stunden davor hatte er gedroht, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj persönlich zu erschießen, am Vortag wollte er in Polen einmarschieren. Auch Radikalität nutzt sich ab, wenn sie zum Dauerzustand wird.
Moskau versteht die Wirkung nicht – Kiew schon
Auf ein Dementi oder eine Distanzierung vom Gesagten durch Kreml-Obere sollte man nicht warten. Notfalls wertet man es dort als Meinungsäußerung. Als sei das Recht darauf im aktuellen Russland für jedermann garantiert.
Weder Kadyrow selbst noch der Kreml sind sich offenbar darüber bewusst, welche verheerende Wirkung es in Mitteleuropa hat, Ostdeutsche pauschal als "Verräter" zu bezeichnen, die man jetzt wieder kontrollieren müsse. Oder es ist einfach egal, da der Kreml ohnehin Deutschland im Rahmen des Westens schon länger als Feind betrachtet. So drückte es der russische Soziologe Grigori Judin gegenüber dem Wochenmagazin Der Freitag - gefragt nach den Auswirkungen der Leopard-Lieferung – aus.
Den Gegnern Russlands im Krieg ist die Wirkung solcher Worte viel bewusster als den Moskauer Regierenden, die Kadyrow ungehindert poltern lassen. Denn dass sich Kadyrows Äußerungen in deutscher Übersetzung so gut verbreiteten, liegt vor allem daran, dass sie vom Berater des Ukrainischen Innenministeriums, Anton Geraschenko, in den Sozialen Netzwerken verbreitet wurden.
Daraufhin verbreiteten Befürworter eines möglichst harten Kriegskurses in Deutschland sie bis in die letzten Winkel von Twitter und Facebook. So soll das Gefühl einer unmittelbaren Bedrohung Deutschlands entstehen und die russlandfreundlichere Stimmung im Osten des Landes kippen.
Kadyrows Sonderrechte und ihre Gründe
Kadyrow hatte schon vor dem Krieg ein großes Maß an persönlicher Freiheit gegenüber Moskau. Er und sein Vater waren es, die Tschetschenien von einem separatistischen Unruheherd im Kaukasus gewaltsam zu einer Zwangshochburg der russischen Regierungspartei "Einiges Russland" machten.
Den deutlich islamistischen Einschlag der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung kooptierte Kadyrow dabei ins eigene System und gibt sich selbst als tiefgläubiger Moslem, der für den Kreml Kontakte in konservativ-islamische Länder knüpft. Das geht so weit, dass er den dort verhassten und kremltreuen syrischen Machthaber Assad trotz Einladung noch nie getroffen hat.
Wenn man nach einer Analyse von Kadyrows Sprüchen in russischen Medien sucht, wird man enttäuscht. Da Kritik an Mitgliedern des Polit-Establishments gefährlich ist, Journalisten sich aber über die Unmöglichkeit der Aussagen bewusst sind, beschränkt man sich darauf, das Gesagte einfach unkommentiert wiederzugeben.
Manchmal mit dem Hinweis, dass der Text die "Rechtschreibung und Zeichensetzung des Autors" wiedergibt, wenn es, wie bei einem homophoben Gedicht Kadyrows zum "nuklearen Bösen" einmal zu abenteuerlich wird. Und das wird es bei Kadyrow – wie gesagt – immer.
Man sollte sich jedoch davor hüten, Kadyrow als so etwas wie den "Clown des Kreml" zu sehen. Denn dafür hat er zu viel Macht und die könnte sich vor allem bei einer Erschütterung des Systems Putin sogar fatal für Russland selbst auswirken.
Für Kadyrow gilt, was die russische Politologin Tatjana Stanowaja für seinen Hardliner-Kollegen Jewgeni Prigoschin aussagt: Solange Putin stark sei, sei er nicht gefährlich. Aber "Krieg macht Menschen zu Monstern und in ihrer Rücksichtlosigkeit können sie den Staat herausfordern, wenn dieser auch nur das geringste Anzeichen von Schwäche zeigt".
So ist der Clown wohl eher ein weniger zutreffender Vergleich, als ein gebändigtes Raubtier mit verrückten Phantasien im Kopf.