Kein Ende des "Credit Crunch"
Teil 1: Die direkten Subprime-Verluste dürften bald ausgestanden sein
Nachdem mit den Quartalsberichten der globalen Banken erste Fakten über das Ausmaß der Verluste vorliegen, sinkt das Vertrauen der Märkte in die Finanzinstitute drastisch – dies vielleicht zu Unrecht.
Letzte Woche gab Merrill Lynch-Chief Executive Stan O'Neal 8,4 Mrd. USD an Subprime-Verlusten bekannt und musste den Hut nehmen. Diese Woche folgte mit Charles Prince der Chef Citigroup und kündigte zum Abschied bis zu weitere elf Milliarden Dollar an Abschreibungen im Zusammenhang mit dem Hypothekengeschäft an - zusätzlich zu den 6,5 Milliarden Dollar, die die größte US-Bank im dritten Quartal bereits abgeschrieben hat.
Waren die Börsen vor kurzem noch davon ausgegangen, dass die Subprime-Krise mit dem dritten Quartal verdaut sei, brachen die Kurse der Finanztitel nach dem Bekanntwerden der Citi-Verluste weltweit ein. So könnten die Verluste laut britischem „Economist“ im vierten Quartal noch dramatisch ansteigen, auch die Analysten der Deutschen Bank befürchten noch weitere höhere Verluste für die US-Investmentbanken, als sie bisher bekannt geworden sind Ihr Chef Josef Ackermann habe, so die Welt, sogar unverblümt angemerkt, einige Banken hätten sich bislang gar nicht erlauben können, schon alle Verluste abzuschreiben.
Obwohl UK-Großbanken wie Barclays und Royal Bank of Scotland sowie große französische Institute noch nicht zur Beichte angetreten sind, haben Finanzschwergewichte wie Bear Sterns, Lehman Brothers, Wachowia, Bank of Amerika, UBS sowie große europäische und japanische Banken im dritten Quartal bereits mehr als 30 Mrd. USD an Verlusten in Verbindung mit zweitklassigen US-Hypotheken in die Bücher genommen. Nur wenige Institute mussten gleichzeitig auch einen Quartalsverlust melden und alle kündigten an, im Gesamtjahr jedenfalls Gewinne zu erzielen. Goldman Sachs und Deutsche Bank waren sogar so gut abgesichert, dass trotz ebenfalls hoher Subprime-Abschreibungen erfreuliche Quartalsergebnisse abgeliefert wurden.
Wie hoch ist der "toxic waste"?
Während sich die Börse aber neuer Krisenhysterie hingibt, könnten wenigstens die Subprime-Verluste bald ausgestanden sein. Denn die Motivation hinter der Subprime-Welle bestand darin, die Kredite zu bündeln, in Risikoklassen zu teilen und an Investoren zu verkaufen, also aus den Bankbilanzen auszulagern. Was sich nun noch den Büchern der Banken befindet, sind vor allem die risikoreichen Tranchen von selbst strukturierten Kreditprodukten, die an den Märkten als „Toxic Waste“ bezeichnet werden. Denn um bei Strukturierungen die risikoreichen Tranchen verkaufen zu können, nahmen die Banken Teile davon dauerhaft in das eigene Portfolio. Je aktiver eine Bank also Hypotheken strukturiert und weiterverkauft hat, um so schwerer ist sie jetzt also auch direkt betroffen.
Wie viel das den Finanzsektor insgesamt noch kosten wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wenn die Schätzung von „Prudent Bear“-Kommentator Martin Hutchinson zutrifft, der die Verluste auf US-Hypothekardarlehen auf einer Höhe von mehr als 980 Mrd. USD sieht, hätten die Banken nun wohl tatsächlich für Jahre gravierende Probleme. Diese Zahl erscheint freilich doch etwas übertrieben, immerhin sollten die direkten Subprime-Verluste im Wesentlichen jenen an der Quelle entsprechen – und diese lassen sich ungefähr abschätzen: Laut den auf offiziellen Angaben beruhenden Zahlen des „Center for Respondible Lending“ waren im März 2007 - als die Krise bei „Subprime“-Krediten virulent wurde und die Banken die Vergabe praktisch einstellten – 1.300 Milliarden USD ausständig, von denen rund eine Billion allein seit 2004 zu extrem laxen Vergabekonditionen vergeben wurden und auf die aufgrund extrem niedriger „Teaser-Rates“ bislang noch kaum Tilgungen auf das Kapital angefallen sein dürften. 14,4 Prozent davon sind bereits jetzt in Zahlungsverzug (187,2 Mrd. USD) und insgesamt sollten letztlich 20 Prozent (rund 260 Mrd. USD) in einer Zwangsvollstreckung enden, schätzt das CFRLY, das üblicherweise mit eher pessimistischen Annahmen rechnet.
Wie viel an Kapitals nach der Verwertung der Sicherheit verloren ist, bemisst sich am „loss given default“ (LGD), wobei neben den teilweise drastisch gesunkenen Hauspreisen die hohen Kosten einer Zwangsversteigerung negativ zu Buche schlagen. Diese belaufen sich in der Regel auf 20 bis 24 Prozent des aushaftenden Kredits, so dass die 30 Prozent an LGD, die von den Banken-Modellen zumeist angenommen werden, vermutlich etwas zu optimistisch angesetzt sein dürften. Bei einem LGD 50 Prozent würden sich die Gesamtverluste aber immer noch auf beachtliche 130 Mrd. USD belaufen.
Würde durch Zwangsvollstreckung im Schnitt tatsächlich nur 50 Prozent des Kredits hereingebracht werden können, sollten anderseits die Kredit-Manager noch mehr versuchen, die Kunden durch Friststreckungen und Umschuldungsvereinbarungen über Wasser – und als „Asset“ in den Büchern - zu halten. Auch wenn es laut einer Studie bei einem Drittel der Umschuldungen innerhalb von zwei Jahren zu neuerlichen Zahlungsschwierigkeiten kommt, sei bei rund einem Drittel der eigentlich zahlungsunfähigen Hypotheken eine langfristige Sanierung möglich, dazu dürfte eine Reihe von öffentlichen Maßnahmen kommen, die zur Verringerung der Verluste auf vielleicht 90 Mrd. USD beitragen sollte.
Mit dem gerade erst einsetzenden massiven Anstieg der monatlichen Zahlungsverpflichtungen, könnte sich jedoch auch die Delinquenz-Rate mit 20 Prozent als etwas zu vorsichtig geschätzt heraus stellen. Läge sie um die Hälfte höher, dann könnten die Verluste im ungünstigsten Fall insgesamt fast 200 Mrd. USD erreichen, während im günstigsten Fall (nicht mehr viel weiter abfallende Hauspreise, günstige Konjunktur) mit 90 Mrd. USD an voraussichtlich anfallenden Subprime-Verlusten zu rechnen ist.
Allein die bilanzierten Verluste der globalen Banken belaufen sich bislang auf mehr als 30 Mrd. USD und mindestens noch einmal so viel entfällt auf international ambitionierte Finanzinstitute aus der zweiten Reihe. Wenn aber allein die Kreditinstitute bereits jetzt mehr als 60 Mrd. USD übernommen haben und weite Teile der Risiken zudem von Versicherungen und Fonds getragen werden, dann sollte es für den Finanzsektor kein Problem sein, die Subprime-Verluste zu bewältigen.
Freilich geht aus den Quartalsausweisen teilweise nicht klar hervor, auf welche Verlustkategorien sich die Abschreibungen genau beziehen. Vermengt werden diese mit Wertberichtigungen auf ungewollt verlängerte Zwischenfinanzierungen des „Private Equity“/„Leveraged Loans“- Übernahmefiebers, wovon die Banken nach wie vor rund 250 Mrd. USD in den Büchern haben sollen. Zudem zeigten sich in den USA zuletzt auch bei Unternehmenskrediten, Prime-Hypotheken und bei Kreditkarten- und KFZ-Schulden steigende Delinquenzen. Bisher bringt aber auch das die Banken noch nicht in Bereiche, wo ihre Eigenkapitalbasis bedroht ist, die bei Goldman Sachs beispielsweise 36 Mrd. USD ausmacht und bei der Citigroup etwa doppelt so hoch liegt.
Die Frage ist nun, wie viel an Verlusten steckt tatsächlich noch in den Bankportfolios und wie sehr ist den bisherigen Bilanzansätzen zu trauen? Dahingehend dürfte spätestens mit in Kraft Treten einer neuen US-Bilanzierungsrichtlinie für den ersten Quartalsausweis 2008 weitergehende Klarheit herrschen. Dann müssen die US-Banken nämlich ihre handelbaren „Assets“ in drei Kategorien einteilen, je nachdem, wie leicht es ist, Marktpreise für die jeweiligen Papiere zu bekommen. Während „Level 1“ bedeutet, dass auf aktiven Märkten permanent Preise gestellt werden, bedeutet „Level 3“, dass die Titel nicht regelmäßig gehandelt werden und zur Bewertung interne Berechnungsmodelle herangezogen werden müssen. In diese Kategorie fällt, was an den Märkten als „Toxic Waste“ bezeichnet wird: Die risikoreichen Tranchen von strukturierten Kreditprodukten, die den eigentlichen Unsicherheitsfaktor in der aktuellen Finanzkrise darstellen. Unter den (wenigen) Banken, die diese Zahlen jetzt schon freiwillig veröffentlicht haben, liegt Goldman Sachs mit 72 Mrd. USD an der Spitze, dahinter J.P. Morgan Chase mit 60 Mrd. USD, Lehman mit 22 Mrd. USD und Bear Stearns mit 20 Mrd. USD.