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Der Wahlsieg von Lukaschenko wird angezweifelt, der Medien und Oppositionelle mundtot zu machen sucht

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Seit dem 21. Dezember wurden auf der Internetseite des weißrussischen Präsidenten die Glückwünsche jener Staatsoberhäupter veröffentlicht, die Alexander Lukaschenko zu seiner Wiederwahl (Massenproteste und Verhaftungen in Minsk) am 19. Dezember gratulierten. Den Reigen begann Gurbanguly Berdimuhamedow, der seit seinem Machtantritt 2007 einen ähnlichen Kult um seine Person aufbaut, wie einst sein Vorgänger Saparmurat Nijasow, der sich bis zu seinem Tod mit Vorliebe "Türkmenbasi", Vater der Turkmenen nennen ließ, und schließt der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch.

Das einzige Staatsoberhaupt eines im klassischen Sinne westlichen Staates, der Lukaschenko zu seiner Wiederwahl beglückwünschte, ist der türkische Staatspräsident Abdullah Gül. Alle anderen westlichen Regierungen haben die Wahlen vielmehr verurteilt. "Wir stellen mit Bedauern fest, dass die von der OSZE/ODIHR ermittelten Tatsachen nicht das Bild freier und fairer Wahlen ergeben. Dies stellt einen herben Rückschlag für die demokratischen Ambitionen der Bevölkerung in Weißrussland dar", heißt es beispielsweise in einer am 20. Dezember veröffentlichten Erklärung von Guido Westerwelle und seines polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski, die Ende November auch gemeinsam nach Minsk reisten.

Lukaschenko auf einer Pressekonferenz am 20. 12 nach seiner umstrittenen Wiederwahl. Bild: president.gov.by

Noch deutlicher drückten sich Westerwelle und Sikorski gemeinsam mit ihrem schwedischen Kollegen Carl Bildt und dem tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg am 23. Dezember in einem Beitrag für die International Herald Tribune aus. "Nachdem, was in Weißrussland seit den Präsidentschaftswahlen vom letzten Sonntag passiert ist, kann es zwischen der Europäischen Union und dem weißrussischen Präsidenten Lukaschenko keine Beziehungen wie bisher geben", schreiben die Außenminister der vier EU-Staaten.

Aus dem Beitrag für die von der New York Times weltweit herausgegebene Tageszeitung wird aber auch deutlich, in welchem Dilemma sich die Europäische Union seit Jahren befindet, wenn es um ihr Verhältnis zu Weißrussland geht. 2006 verhängte sie noch Einreisesanktionen gegen Alexander Lukaschenko und andere Vertreter des Regimes. Im Mai 2009 wiederum nahm Brüssel Weißrussland in seiner Östlichen Partnerschaft auf und hob vorher die Sanktionen gegen Lukaschenko auf. Und da sich "der letzte Diktator Europas" in den letzten Jahren wegen Gas und Öl wiederholt mit Russland anlegte und aus seiner Angst vor in Weißrussland expandierenden russischen Staatsunternehmen kein Geheimnis machte, wuchsen die finanziellen Zuwendungen aus dem Westen.

Der erhoffte politische Wandel, von dem Westerwelle, Sikorski, Bildt und Schwarzenberg in ihrem Beitrag für die International Herald Tribune umständlich schreiben, blieb jedoch aus. Vielleicht sogar im Gegenteil. Die EU muss sich durchaus die Frage stellen, ob sie nicht durch die wirtschaftliche Annäherung Lukaschenko die Macht mitsicherte. Denn der Zuspruch der Weißrussen für Lukaschenko ist durchaus groß und er beruht vor allem auf der wirtschaftlichen Stabilität, die in dem Land im Gegensatz zu vielen anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion herrscht.

Und dass Alexander Lukaschenko auch diese Wahlen gewinnen würde, davon dürften auch die westlichen Politiker ausgegangen sein. Sie zweifeln aber daran, ob er dies tatsächlich schon im 1. Wahlgang getan hat, wie es das offizielle Endergebnis von über 79 Prozent suggeriert. "Herr Lukaschenko hat vielleicht verstanden, dass er die notwendigen 50 Prozent nicht bekommt, um einen 2. Wahlgang gegen einen einzelnen oppositionellen Kandidaten zu vermeiden", schreiben die vier Außenminister in ihrem Beitrag und berufen sich dabei auf angeblich unabhängige Wahlprognosen, die im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen durchgeführt wurden. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski bekräftigte diesen Vorwurf sogar. "Aus Quellen, denen wir vertrauen, geht hervor, dass Lukaschenko die Wahlen nicht gewonnen hat", sagte der Politiker wenige Tage nach dem Urnengang dem polnischen Fernsehsender TVN und wiederholte diese Behauptung auch gegenüber anderen polnischen Medien.

Mit diesem Vorwurf steht der polnische Außenminister nicht alleine dar. Obwohl am 25. Dezember auch Russlands Präsident Dimitrij Medwedew Lukaschenko zu seinem umstrittenen Wahlerfolg gratulierte, strahlte der russische Staatssender Pervyj Kanal am 24. Dezember einen Beitrag aus, der aufgrund von heimlich aufgenommenen Videoaufzeichnungen Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen belegen soll. Zudem behauptet der staatliche Sender, dass Lukaschenko im 1. Wahlgang nur 39 Prozent der Stimmen erhielt, während die drei wichtigsten oppositionellen Kandidaten gemeinsam auf 46 Prozent kamen. "So einen sicheren Sieg hat es für Alexander Lukaschenko noch nicht gegeben", ironisiert der Sender am Ende seines Beitrags und wird in seinen Behauptungen durch zwei Mitglieder der Minsker Wahlkommission bestärkt. Wie am 27. Dezember bekannt wurde, verweigerten diese ihre Unterschrift unter das offizielle Auszählungsergebnis, um so gegen Unstimmigkeiten bei der Wahl zu protestieren.

Lukaschenko geht gegen kritische Medien und Journalisten vor

Doch nicht nur der Verlauf der weißrussischen Präsidentschaftswahlen wird von der Presse in Russland, Polen und anderen Staaten der Region kritisch beobachtet, sondern auch das harte Vorgehen der weißrussischen Miliz gegen die Demonstranten, die am Wahlsonntag auf dem Minsker Oktober-Platz gegen das Ergebnis protestierten. Auch deshalb, weil sich unter den Festgenommenen nicht nur weißrussische Staatsbürger befanden. So wurden auch 11 Russen festgenommen und zu Haftstrafen zwischen 10 und 15 Tagen verurteilt, weshalb es in den Tagen nach der Wahl zu einigen diplomatischen Unstimmigkeiten zwischen Moskau und Minsk kam. Am 29. Januar wurden diese zwar wieder freigelassen, doch für zwei von ihnen war es nur ein kurzer Ausflug in die Freiheit. Am 30. Januar wurden sie im Zusammenhang mit den Demonstrationen vom 19. Dezember erneut verhaftet.

In den weißrussischen Gefängnissen befanden sich auch Korrespondenten ausländischer Medien. Die bekannteste und bis heute in Haft einsitzende Journalistin ist Irina Chalil, Ehefrau des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Andrej Sannikow, die für die russische Novaja Gazeta aus Weißrussland berichtet. Um auf ihr und das Schicksal anderer weißrussischer Journalisten aufmerksam zu machen, organisierte die Zeitung am Montag letzter Woche eine Solidaritätskundgebung vor der weißrussischen Botschaft in Moskau.

Das Lukaschenko-Regime versucht aber nicht nur durch die Verhaftungen von Journalisten kritische Medien mundtot zu machen. So fanden seit dem 19. Dezember gleich in mehreren Redaktionsräumen Hausdurchsuchungen und Einbrüche statt, unter anderem bei Belradio.FM (Europäisches Radio für Weißrussland) () und Belsat TV. Und dies, obwohl die Anstalten ihre Zentralen im Ausland haben. Belradio.FM ist in Warschau registriert und Belsat TV wird sogar vom polnischen Staatsfernsehen TVP betrieben.

Über Schikanen seitens des Regimes klagten in den letzten Tagen aber auch oppositionelle, in Weißrussland beheimatete Medien. So wurden Anfang vergangener Woche die Redaktionsräume der unabhängigen Zeitung Nascha Niwa durchsucht und ihre Computer konfisziert. Zu Säuberungen kam es aber auch bei den regimetreuen Medien. Mehrere Journalisten, die Lukaschenko ein Dorn im Auge waren, verloren seit den Präsidentschaftswahlen ihre Positionen.

Niederschlagung der Opposition

Die Demonstrationen vom 19. Dezember nutzt das Regime auch dazu, gegen die unterschiedlichen Oppositionsgruppierungen des Landes vorzugehen. Nach Angaben der Bürgerrechtsbewegung Viasna wurden allein zwischen dem 19. und 21. Dezember 700 Personen verhaftet und zu Haftstrafen zwischen 10 und 15 Tagen verurteilt. Und auch in den vergangenen Tagen wurden die Repressionen gegen Oppositionelle fortgesetzt. So wurden weitere Aktivisten vom KGB verhaftet. Denjenigen, denen Gefängnisgitter bisher erspart blieben, lernten den langen Arm des Regimes auf andere Art und Weise kennen. In die Wohnungen und Büros von mehreren Bürgerrechtlern wurde in den letzten Tagen eingebrochen, andere wiederum werden quasi täglich in die lokalen Büros des KGB gerufen.

Die Sicherheitsbehörden des Landes gehen jedoch nicht nur gegen die vielen namenslosen Bürgerrechtsaktivisten vor. Von den neun oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, die am 19. Dezember gegen Alexander Lukaschenko antraten, befinden sich mit Nikolaj Statkewitsch, Andrej Sannikow, Ales Michalewitsch und Wladimir Neklajew gleich vier Kandidaten in Gewahrsam.

Für Aufsehen und Spekulationen sorgte vor allem das Schicksal von Wladimir Neklajew. Der Dichter, der am 19. Dezember offiziell 1.7 Prozent der Stimmen erhielt, wurde am Wahlsonntag von Sicherheitskräften niedergeschlagen und in ein Krankenhaus gebracht. Doch bis auf wenige Fotos, auf denen Neklajew mit einem zerschlagenen Gesicht zu sehen ist, war von seinem Schicksal nichts bekannt. Nicht einmal Neklajews Ehefrau wusste, ob sich ihr Ehemann weiterhin in einem Krankenhaus oder einem Gefängnis befindet, obwohl sie bei den Behörden Anfragen und Beschwerden vorlegte. Ein Umstand, der zu den wildesten Spekulationen führte. Neklajews Ehefrau vermutete schon, dass ihr Ehemann unter Einfluss von Medikamenten in aller Öffentlichkeit bei Lukaschenko Abbitte leisten soll. Zerschlagen haben sich diese Gerüchte erst vergangene Woche, nachdem Neklajew das erste Mal Kontakt mit seinen Anwälten hatte.

Sorgen macht man sich auch um das Schicksal der Familie von Andrej Sannikow. Nach der Verhaftung des Präsidentschaftskandidaten und seiner Ehefrau Irina Chalil kam deren dreijähriger Sohn in die Obhut von Irina Chalils Mutter. Doch als diese ihrer Tochter ein Lebensmittelpaket ins Gefängnis brachte, wurde das Kind von Angestellten des Sozialamtes im Kindergarten abgeholt und in ein Kinderheim gebracht. Die Großmutter kann das Kind zwar wieder zurückbekommen, aber nur wenn sie einen offiziellen Antrag stellt. Eine Garantie auf einen Erfolg hat die Großmutter jedoch nicht. Falls das Sozialamt befindet, dass die Großmutter gesundheitlich und finanziell nicht in der Lage ist, für das Wohl des Kindes zu sorgen, könnte dieses dauerhaft in ein Kinderheim kommen. Aus diesem Grund hat die russische Novaja Gazeta bereits angekündigt, die Großmutter bei sich einzustellen um wenigstens so ihre finanziellen Möglichkeiten zu vergrößern.

Doch egal ob der dreijährige Sohn der Sannikows zu seiner Großmutter zurückkehrt oder in staatlicher Pflege bleibt: bis er seine Eltern in Freiheit wieder sieht, könnten viele Jahre vergehen. Wie die weißrussische Nachrichtenagentur Belapan am Donnerstag berichtete, sollen gegen die vier bereits inhaftierten Präsidentschaftskandidaten und drei weitere Politiker, die sich um das Präsidentschaftsamt bewarben, Gerichtsverfahren wegen der Anstiftung zu Massenunruhen eröffnet werden. Insgesamt sollen sich offenbar 25 Oppositionelle vor der Justiz verantworten und allen drohen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren.

Zumindest der Untersuchungshaft können die Oppositionspolitiker offenbar entgehen, dies jedoch zu einem hohen Preis. Neben Neklajew, Sannikow, Michalewitsch und Statkewitsch gehörte bis zur Silvesternacht auch Vitalij Rymaschewski zu den inhaftierten Präsidentschaftskandidaten. Doch wie man in Minsk vermutet, wurde der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Partei Weißrusslands, der am 19. Dezember von den Sicherheitskräften krankenhausreif geschlagen wurde, aus der Haft entlassen, weil er in einem persönlichen Brief an Lukaschenko die Ereignisse vom Wahlsonntag verurteilt haben soll. Mit solchen öffentlichen Aussagen und Distanzierungen von der übrigen Opposition konnten sich bereits die Präsidentschaftskandidaten Jaroslaw Ramantschuk, Grigorij Kostujew und Dimitrij Uss vor der Untersuchungshaft schützen. Zu den Umständen seiner Haftentlassung wollte sich der 35-jährige Rymaschewski am gestrigen Dienstag äußern, doch wie er in einem kurzen Interview für die Internetseite seiner Partei erklärte, musste er diese auf Druck des KGB absagen.

Ob aber die versuchte Erstürmung eines Regierungsgebäudes, die am Tag der Wahl zu dem brutalen Einsatz der Miliz führte und auf der die Anklage gegen die Oppositionspolitiker basiert, allein das Werk der Demonstranten war, daran zweifelt die Opposition. Schon einen Tag nach den Ereignissen behauptete die Opposition, dass der Sturm auf das Regierungsgebäude von KGB-Agenten provoziert wurde. Nun hat die im litauischen Exil lebende Aktivistin Tatjana Jelawaja auf ihrem Blog Tonbandaufnahmen veröffentlicht, die belegen sollen, dass der KGB die Ausschreitungen vom 19. Dezember ausgelöst hat.

Von solchen Enthüllungen und Vorwürfen lässt sich Alexander Lukaschenko jedoch nicht beirren. Sogar im Gegenteil. Nachdem er am 31. Dezember zuerst ein Dekret unterschrieb, mit dem die Liberalisierung der weißrussischen Wirtschaft forciert werden soll, ließ er am folgenden Tag das Minsker Büro der OSZE schließen. Für die EU eine Provokation, die das Fass zum Überlaufen brachte und auf die offenbar scharf reagiert werden soll. Wie der schwedische Außenminister vorgestern erklärte, sollen Lukaschenko und weitere Vertreter des Regimes mit einem erneuten Einreiseverbot sanktioniert werden. Auch die Wirtschaftshilfe von 3 Milliarden Euro, die in den nächsten drei Jahren von Brüssel nach Minsk fließen sollte, soll eingefroren werden. Über das endgültige Vorgehen der Gemeinschaft wollen die EU-Außenminister am 31. Januar beraten.