Keine Dolchstoßlegende Made in Germany gegen Griechenland!

Erklärung der InitiatorInnen des appell-hellas.de zum Referendum

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Die meisten bisher von den deutschen Mainstreammedien bemühten Mythen über die griechische Krise stammen natürlich aus Griechenland: Trojanisches Pferd, Schiffbruch des Odysseus usw.. Aber es gibt auch schlagkräftige Mythen made in Germany, zum Beispiel die Götterdämmerung, die dem griechischen Volk angedroht wurde, wenn es mit OXI stimmt. Und nicht zuletzt die Dolchstoßlegende, mit der die deutsche Reaktion die Schuld am verlorenen Ersten Weltkrieg der Novemberrevolution in die Schuhe schieben wollte. Angeblich hätte die Armee des Kaisers noch gute Siegeschancen gehabt - und Rosa Luxemburg hätte ihr den Dolch in den Rücken gestoßen (weshalb man sie schnell umbringen musste).

Nun also die Neuauflage: die Troika und die alte Regierung hätte das Land schon weitestgehend "saniert" gehabt, als die Regierung Tsipras gekommen wäre und dem Aufschwung den Dolch harter Verhandlungen in den Rücken gestoßen hätte. Tatsächlich ist das Gegenteil wahr: Der Rückfall in die Rezession nach dem sommerlichen Wachstum durch den Tourismus kam bereits im letzten Quartal 2014, also unter der alten Regierung.

Und Tsipras lehnte das Ultimatum vom 26. Juni ab und fragte das Volk, weil in dem Ultimatum u.a. eine sprunghafte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent auf den Tourismus gefordert wurde: Wenn schon Dolchstoß, dann war das einer. Das war also das "Entgegenkommen", das die Regierung Tsipras ablehnte (ebenso weitere Rentenkürzungen, ebenso die Ablehnung eines Soli auf hohe Kapitalgewinne u.a.) - und nun auch das Volk.

Diese Entscheidung hat die Qualität einer Zweidrittelmehrheit, weil sie gegen eine internationale und nationale Erpressungskampagne sondergleichen zustande kam und weil das OXI in der Jugend völlig dominiert. Eine Mehrheit des großen griechischen Volks hat sich nicht durch Bankenschließungen und Rentenblockaden erpressen lassen, weil sie begriff, dass nicht Tsipras die Banken schloss und die Renten blockierte, sondern Merkel und Schäuble.

Ja, wie soll man das nun den Deutschen erklären? Ganz einfach: Die Griechen kannten bei der Abstimmung das Ultimatum mit den 23 Prozent und den weiteren Forderungen, die nur eine völlig sklavische Regierung wie diejenige von Samaras und Venizelos hätte annehmen können - und die Deutschen kannten dieses Ultimatum ihrer Regierung eben nicht - dank der einäugigen Berichterstattung der Mehrheit der deutschen Mainstreammedien. Das ist wieder ein griechischer Mythos: Die Mehrheit der deutschen Mainstreammedien ist zyklopisch; sie hat nur ein riesiges "deutsches" Auge offen (das Auge ihrer Regierung) - und nur wenige Mainstreammedien öffnen ab und zu auch ein zweites, griechisches Auge.

Der von 1600 in Deutschland eingewanderten Griechen und philhellenischen Deutschen unterzeichnete appell-hellas.de warnte vor genau einem halben Jahr, also vor den Wahlen, die zur Regierung Tsipras führten, vor dieser Einäugigkeit, weil sie zu einer katastrophalen Eskalation führen und das Verhältnis zwischen dem deutschen und dem griechischen Volk auf lange Zeit vergiften würde. Unser Appell wurde nur von alternativen Internetmedien verbreitet, und heute müssen wir mit Trauer und Empörung feststellen, dass die Vergiftung eingetreten ist.

Nun könnte die deutsche mediopolitische Klasse endlich ein zweites, griechisches Auge öffnen und damit sehen: Die rigide Sparpolitik à la Brüning ist gescheitert, das europäische Urgestein-Volk schlechthin ist verelendet - es muss jetzt Schluss sein mit weiteren Kürzungen, und es muss jetzt ein Schuldenerlass her. Warum soll Griechenland nicht wenigstens so fair behandelt weerden wie Kiew (darf Schulden streichen, bekommt Geld auf bloße vage Versprechen von "Reformen")? Deutschland hat genug Elend über Europa gebracht - nicht zuletzt aus unerträglicher oberlehrerhafter Rechthaberei, wie sie jetzt wieder in Regierung und Leitmedien im Schwange ist.

Ein halbes Jahr nach der Verbreitung unseres Appells, am Tag des Ultimatums vom 26. Juni und der folgenden Ankündigung des Referendums (was niemand ahnen konnte), fand an der TU Dortmund eine wissenschaftlich-politische Tagung statt, die eine Art Bilanz der Medienberichterstattung gezogen hat. Damit wurden die 10 Punkte des appell-hellas.de bestätigt. Wir richten ihn also erneut an die Medien: Öffnet ein zweites, griechisches Auge! Verzichtet auf eine neue Dolchstoßlegende!

Der Appell von 1600 eingewanderten Deutsch-Griechen und philhellenischen Griechen-Deutschen "Für eine faire Berichterstattung über demokratische Entscheidungen in Griechenland" warnte vor genau einem halben Jahr, also vor der Wahl von 25. Januar und der Bildung der Regierung Tsipras, vor der Fortsetzung dieser "Brüningpolitik" ("Schuldenerlass plus Haftbarmachung der Oligarchie und der Banken").

Wir verurteilen die in den Mainstreammedien weitgehend herrschende Einäugigkeit, die nun angesichts des Referendums alle Rekorde schlägt, und erklären, dass ein Rolf-Dieter Krause als von unseren Geldern alimentierter Top-ARD-Mann nicht in unserem Namen spricht, wenn er bei Plasberg fordert, die griechische Regierung wegen der Volksabstimmung "zum Teufel zu jagen". Wir sagen den Krauses: Eure Meinung kennen wir langsam - ihr sollt Informationen liefern: Ihr liefert aber nicht! Ihr macht eure Hausaufgaben nicht! Ihr informiert nicht über die Punkte des Ultimatums vom 26. Juni, u.a. die 23 Prozent Steuer auf den Tourismus usw.

Gastkommentar von Prof. a.D. Dr. Jürgen Link, TU Dortmund, für die Initiatorinnen des appell-hellas.de.