"Keinen Inch weiter nach Osten": Was den Russen zur Wiedervereinigung über die Nato versprochen wurde
Seite 2: USA schürte Angst vor einem neutralen Deutschland
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Die Wiedervereinigung sei unvermeidlich, meinte er und begründete seine Haltung gegen ein neutrales Deutschland, wie das Modrow gefordert hatte, mit der aus der Geschichte abgeleiteten Sorge, dass "ein neutrales Deutschland unzweifelhaft eigene Atomwaffen beschaffen" würde. Besser sei es deswegen, wenn Deutschland in einer "veränderten Nato fest eingebunden" sei. Die Nato sei, so Baker, "viel weniger eine militärische, als eine politische Organisation". Und es müsse "eiserne Garantien geben, dass die Jurisdiktion der Nato oder ihre Streitkräfte nicht nach Osten vorrücken". Das müsse so geschehen, dass Deutschlands östliche Nachbarn damit zufrieden sind. Die Gefahr, dass ein neutrales Deutschland wieder militaristisch werden könnte, betonte Baker immer wieder. Man müsse auch das Wiedererstarken eines extremen Nationalismus vermeiden.
Gegenüber Gorbatschow sagte er im Anschluss, dass die USA weiterhin in Europa militärisch präsent sein würden, aber nur solange dies die Alliierten wünschen: "Wenn wir eine militärische Präsenz in einem Deutschland haben, das Teil der Nato ist, wird es keinen Inch weit eine Erweiterung der Jurisdiktion der Nato für Nato-Streitkräfte nach Osten geben." Und er fragte später Gorbatschow, ob er lieber ein unabhängiges vereintes Deutschland außerhalb der Nato ohne US-Militär haben wolle: "Oder wollen sie ein vereintes Deutschland mit Verbindungen zur Nato und mit der Zusicherung, dass es keine Erweiterung der gegenwärtigen Nato-Jurisdiktion Richtung Osten geben wird?"
Baker schrieb in einem Brief an Helmut Kohl, dass Gorbatschow dulden könne, dass Deutschland in der Nato bleibt, aber dass "jede Erweiterung der Nato-Zone inakzeptabel" sei. Kohl wiederum versprach am 10. Februar Gorbatschow: "Wir glauben, die Nato sollte ihren Aktivitätsgebiet nicht erweitern." Gegenüber Gorbatschow versicherte Baker am 18. Mai, man sei nicht mehr daran interessiert, Osteuropa von der Sowjetunion zu trennen, sondern man wolle "ein stabiles Europa zusammen mit Ihnen aufbauen". Dass man die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion achten werde, versicherten auch Francois Mitterrand, Bush und Margaret Thatcher.
Zwar gab es im US-Verteidigungsministerium Stimmen, die forderten, dass die Tür der Nato für die osteuropäischen Länder offen bleiben sollten, aber die Regierung schloss sich der Haltung des Außenministeriums an, dass es nicht im Interesse der USA sein könne, eine "Anti-Sowjet-Koalition" aufzubauen, die bis an die russischen Grenzen reicht, weil dies die "positiven" Entwicklungen in der Sowjetunion abbrechen könnte. Im März 1991 versicherte der britische Premier John Major Gorbatschow unmissverständlich: "Wir sprechen nicht über eine Stärkung der Nato."
"Der Westen spielt uns aus"
Dem Verteidigungsminister Dmitri Yazow sagte er auf die Frage nach dem Interesse der osteuropäischen Regierungen an einer Nato-Mitgliedschaft: "Nichts dergleichen wird geschehen." Aus einem russischen Protokoll eines Gesprächs des deutschen Verteidigungsministers Manfred Wörner mit russischen Abgeordneten im Juli 1991 geht hervor, Wörner habe gesagt, dass der Nato-Rat und er gegen eine Expansion der Nato seien. Das würden 13 der 16 Nato-Staaten unterstützen.
Aber all das waren nur Versprechungen von einzelnen Regierungsvertretern, die vielleicht teilweise auch ehrlich gemeint gewesen waren, aber vor allem dem Zweck dienten, Gorbatschow einzulullen und glauben zu lassen, die Nato sei nicht an einer Erweiterung interessiert und würde die Sicherheitsinteressen der Russen achten.
Gorbatschows Berater Valentin Falin hatte diesen allerdings in einem Memo vom 18. April 1991 gewarnt, dass der Westen die UdSSR isolieren wolle. Er schlug ein formales und legal bindendes Abkommen vor, das die sowjetischen Sicherheitsinteressen garantieren sollte. Und er forderte Gorbatschow auf, nicht zu naiv gegenüber den amerikanischen Interessen zu sein: "Der Westen spielt uns aus, verspricht die Achtung der Interessen der UdSSR, aber in Wirklichkeit trennt er uns Schritt für Schritt vom 'traditionellen Europa'." Das hat Falin ganz richtig gesehen.