Kernfusion in einer Gasblase

Die Verdichtung von Energie durch Sonolumineszenz ist Grundlage des umstrittenen Experiments der Kernverschmelzung in einer kleinen Apparatur

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Auf der Suche nach einer unerschöpflichen Energiequelle der Zukunft experimentieren Kernphysiker mit riesigen Anlagen, in denen mit Hilfe von Lasern oder starken Magnetfeldern eine kontrollierte Kernfusion erzeugt werden soll. Aber ist dieser Aufwand wirklich nötig? Ein amerikanisch-russisches Forschungsteam jedenfalls glaubt, neue Hinweise dafür gefunden zu haben, dass eine Verschmelzung von Atomkernen auch mit einer Apparatur bewirkt werden kann, die ungefähr so groß ist wie drei übereinander gestapelte Kaffeetassen.

Der Bericht erscheint in der kommenden Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science, hat aber vorab bereits so viel Wirbel verursacht, dass die Redaktion sich entschloss, ihn schon früher zugänglich zu machen. In begleitenden Schreiben werden Journalisten ausdrücklich gebeten, die Dokumente sorgfältig zu lesen, bevor sie möglicherweise übertriebene Schlussfolgerungen ziehen. Das deutet darauf hin, dass der Artikel offenbar auch innerhalb der "Science"-Redaktion umstritten ist (s.a. Kernfusion mit Bläschen).

Ausgangspunkt der Studie ist ein Phänomen, das seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Damals entdeckten die deutschen Forscher H. Frenzel und H. Schultes, dass Fotoplatten in einem abgedunkelten Raum geschwärzt werden, wenn sie in einem Wasserbad einem starken Schalldruck ausgesetzt werden. Sie berichteten darüber in der "Zeitschrift für Physikalische Chemie", schlossen ihren Artikel jedoch mit der Bemerkung, es gäbe wohl Wichtigeres zu untersuchen. Dies war der erste Hinweis, dass Schall in Licht umgewandelt werden kann.

Die nähere Untersuchung dieser sogenannten Sonolumineszenz bekam erst Anfang der neunziger Jahre neuen Auftrieb, als es dem Amerikaner D. Felipe Gaitan gelang, einzelne Gasblasen in einer Flüssigkeit durch gezielte Beschallung zum Leuchten anzuregen und über längere Zeit stabil zu halten. Bis dahin hatten nur ganze Schwärme leuchtender Blasen erzeugt werden können. Gaitans Experimente ermöglichten eine gezieltere Untersuchung dieser faszinierenden Erscheinung.

Inzwischen weiß man, dass der Schall bei bestimmten Frequenzen die Blasen zum Schwingen bringt. Bei 30.000 Hertz und einer Lautstärke von 110 Dezibel (entsprechend einer wenige Zentimeter entfernten Rauchmeldersirene) bewegt sich die Blase im Rhythmus der Schallquelle: Sie dehnt sich zunächst etwa um das Tausendfache ihres Volumens aus, um gleich darauf fast bis auf das Eigenvolumen der Moleküle zu kollabieren. In dem Moment, wenn sie ihre kleinste Größe erreicht, sendet sie einen kurzen Lichtblitz aus.

Diese Lichtblitze erscheinen dem Auge aufgrund der raschen Wiederholungsrate von 30.000 Mal pro Sekunde als schwaches, kontinuierliches Leuchten. Tatsächlich dauern die einzelnen Blitze nur etwa 60 bis 300 Pikosekunden (billionstel Sekunden) und sind damit die kürzesten Lichtpulse, die sich ohne Laser erzeugen lassen. In vorstellbare Maßstäbe übertragen bedeutet das: Wenn die einzelnen Lichtblitze ein bis fünf Minuten dauerten, würde zwischen ihnen jeweils ein Jahr Dunkelheit liegen.

Aber woher kommt nun überhaupt das Leuchten? Offensichtlich findet bei der Sonolumineszenz eine ungeheure Verdichtung von Energie statt: Die Energiedichten von Schall und Licht liegen immerhin um den Faktor eine Billion auseinander. Theoretische Überlegungen und spektralanalytische Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Innere der Blase beim Kollabieren auf über 10.000 Grad Kelvin erhitzt wird - heiß genug, um das Gas zum Leuchten zu bringen. "Wir gehen heute von 12.000 bis 15.000 Grad aus", sagt Detlef Lohse von der University of Twente im niederländischen Enschede. Lohse wurde für seine Forschungen zur Sonolumineszenz 1997 mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

Es gab und gibt aber auch Vermutungen, dass im Innern der Gasblase weit höhere Temperaturen entstehen könnten. Seth J. Putterman von der University of California in Los Angeles hält sogar bis zu einer Million Grad für möglich. Dafür greift er auf die zuvor bereits von anderen Forschern vorgeschlagene "Stoßwellentheorie" zurück: Demnach entstehen beim Kollaps der Blase, der mit Überschallgeschwindigkeit erfolgt, Stoßwellen, ähnlich denen, die bei einem Überschallflugzeug den bekannten Knall erzeugen. Wenn die Blase bereits ihre kleinste Größe erreicht hat, könnten diese Wellen sich noch weiter bis zur Blasenmitte fortbewegen und eine zusätzliche Konzentration von Energie bewirken.

An diese Theorien knüpfen auch die Experimente des Forschungsteams um Rusi P. Taleyarkhan vom Oak Ridge National Laboratory in Tennessee an. Sie erzeugten Sonolumineszenz in Aceton, einer Kohlenstoffverbindung, bei der jedoch die Wasserstoffatome durch Deuterium ersetzt wurden. Deuterium ("schwerer Wasserstoff") reagiert chemisch wie Wasserstoff, enthält im Atomkern aber ein zusätzliches Neutron. Wenn entsprechend große Kräfte wirksam sind, können zwei Deuterium-Kerne miteinander verschmelzen. Dabei entsteht entweder ein Helium-Kern und Neutronenstrahlung im Bereich von 2,5 Millionen Elektronenvolt oder ein Tritium-Kern und Protonenstrahlung. Beides, sowohl die Neutronenstrahlung als auch Tritium, wollen die Wissenschaftler bei ihren Experimenten nachgewiesen haben. Für sie ist das ein deutlicher Hinweis, wenn auch noch kein definitiver Nachweis, dass Kernfusionen stattgefunden haben.

Allerdings konnte ein zweites Team am Oak Ridge National Laboratory die Ergebnisse nicht reproduzieren. Taleyarkhan und seine Kollegen halten zwar dagegen, dass das an der mangelnden Empfindlichkeit der Detektoren gelegen habe. Doch in Physikerkreisen herrscht gleichwohl Skepsis. "Das stimmt vorne und hinten nicht", sagt Detlef Lohse. Sowohl beim theoretischen Modell als auch bei der experimentellen Ausführung gebe es schwere Mängel. So hätten die Forscher zum Beispiel nicht einzelne Blasen untersucht, sondern ganze Blasenwolken. Dabei käme es aber zu Wechselwirkungen, die völlig unbeachtet geblieben seien. Außerdem seien die Blasen nicht nur mit Schall, sondern auch mit Neutronen bestrahlt worden. "Dass dabei Tritium entsteht, ist kein Wunder." Lohse versteht nicht, wie so ein Artikel zur Publikation in "Science" angenommen werden konnte.

Tatsächlich war der Artikel zunächst vom konkurrierenden Magazin "Nature" abgelehnt worden. Und auch die von "Science" beauftragten Gutachter hatten von einer Veröffentlichung abgeraten, berichtet die New York Times.