"Killerspiele im Kinderzimmer"

Thomas Feibel plaudert in dem gleichnamigen Buch über die alltägliche Gewalt

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Eltern kümmern sich längst nicht mehr um die Spiele am Computer im Kinderzimmer. Lediglich Politiker und so genannte Jugendschützer sind immer wieder für das Thema zu begeistern und wohl eben an diese besorgte Zielgruppe wendet sich Thomas Feibel mit seinem Buch "Killerspiele im Kinderzimmer".

Gewalt ist überall und alltäglich, das zumindest erklärt Feibel in seinem charmanten Plauderton auf. Dabei stellt er deutlich die Rolle der Medien heraus, denn deren Fokus ist eben die alltäglich sichtbare Gewalt. Kinder und Jugendliche sind in den Nachrichten zum Beispiel nur präsent, wenn sie entweder Opfer oder Täter waren. Computerspielern wird seit über 20 Jahren ein ähnlich negatives Bild angeheftet. Wenn sie mal in den Medien in Erscheinung treten, dann gleich als Amokläufer. Hier kommen sogleich stereotype Erklärungen zum Vorschein: Spieler von Computerspielen mit Gewaltinhalten entwickeln sich zu Serienkillern. Schnell sind dann auch Politiker und Pädagogen zur Stelle und verdammen die "bösen" Computerspiele, ohne je eines gespielt zu haben.

Eltern und Computerspiele sind offenbar zwei so verschiedene Welten, die im Rahmen der Aufsichtspflicht einfach nicht zueinander passen können. Während Eltern jegliche andere Leistungen ihrer Zöglinge gern herbeizitieren, um als Eltern zu glänzen, sind virtuelle Erfolge schwer greifbar. Übungsphasen für Shooterspiele scheinen nun einmal nicht gut geeignet zu sein für die sonstigen lebensnotwendigen Leistungen in Hinblick auf eine berufliche Zukunft.

Stress bestimmt den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen. Manche Pädagogen entdecken, dass Kinder einen fast so gefüllten Terminkalender haben wie Manager. Neben der ganzheitlichen Unterbringung in den Schulen stehen Sportverein, Musik- oder Kunstschule auf dem Programm. "84 Prozent der Kinder in Deutschland zwischen elf und 14 Jahren fühlen sich gestresst", zitiert Feibel die Studie "European Kids Inside". Dabei steht Deutschland mit diesen Prozentsätzen an der Spitze in Europa. "In Frankreich, Holland, England und Schweden" empfinden sich 72 Prozent und in Italien nur 65 Prozent der Kinder gestresst.

Ganz vorn auf der Liste des Stressempfindens stehen die Hausaufgaben. Doch schon an zweiter Stelle kommt der Zoff mit den Eltern. Stress verursachen offenbar auch Konsumterror, Sport, die Familie und dort insbesondere die Gewalt in der Familie. Insofern ist es dann nicht besonders verwunderlich, dass Kinder und Jugendliche eben genau diesen stressreichen Situationen zu entkommen versuchen.

Rückzugsmöglichkeiten bieten dabei das Fernsehen und natürlich auch die Computerspiele. Hier haben sie die Möglichkeit, komplett abzuschalten. Weil sich Eltern in der Regel nicht für die Spiele begeistern können und sich raushalten, haben sie ihre eigene Erlebniswelt gefunden. Hier entscheiden sie ganz allein darüber, wie viel Leistung sie erbringen wollen. Dem Computerspiel ist es dabei völlig egal, wie viele Versuche sie für die erforderliche Leistung brauchen. Und wenn ein Spiel als zu anstrengend oder langweilig empfunden wird, steht schon das nächste neue Spiel bereit. Dank der Multimediafähigkeit ist auch der Weg ins Internet zu anderen Kommunikationspartnern oder in das illegale Kino nicht weit.

Nach allen bisherigen Analysen des Erfurter Schulmassakers bietet Feibel eine gut lesbare Alternative und setzt sich mit diesem Themengebiet auseinander, ohne dass sich der Leser in Theoriegebilde verstricken muss. Locker stellt er die Frage, ob IKEA aggressiv macht und verschafft durch fortlaufende Perspektivwechsel einen Einblick in die Welt der Killerspiele und deren Spieler. Er bietet einen Diskurs in die Welt der Kinder und Eltern sowie den Umgang mit Computerspielen und zeigt auch, dass Jugendschutz zu Hause anfängt und ein Teil von Erziehung ist.

Thomas Feibel: Killerspiele im Kinderzimmer. Was wir über Computer und Gewalt wissen müssen. Patmos Verlag 2004 (6 Level plus Endlevel), 180 Seiten. 15,40 Euro.