Klassenkampf mit der Stasi
Weshalb es bei der Kampagne gegen den geschassten Berliner Bau-Staatssekretär Andrej Holm zu keinem Zeitpunkt um dessen Biografie ging
Nun ist er also da, der Showdown im Streit um den kurzzeitigen Berliner Bau-Staatssekretär Andrej Holm. Ohne hinreichende Rücksprache und mit knapper Begründung kündigte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Wochenende die Entlassung Holms wegen dessen Stasi-Vergangenheit an. Holm trat daraufhin heute zurück.
Die Stimmung in der jungen rot-rot-grünen Koalition wird das nicht verbessern. Während Akteure im Mitte-rechts-Spektrum jubeln und auch in der Immobilienbranche einige Champagnerkorken knallen dürften, zeigt sich die Linkspartei pikiert; im Netz werden Unterschriften für Holm gesammelt; unter dem Hashtag #Holmbleibt läuft in den sozialen Netzwerken eine Solidaritätskampagne.
Dass der Stadtsoziologe nicht geblieben ist, liegt auch daran, dass die Berliner Linkspartei, von regierungswilligen Realos geprägt, nicht an ihm, sondern an der Koalition mit SPD und Grünen festgehalten hat. Dabei zeigt der Fall Holm schon jetzt zwei Lehren: Wie tief die Spaltung der deutschen Nach-Wende-Gesellschaft ist und wie heftig nach wie vor mit absurden Stasi-Vorwürfen Interessenpolitik betrieben wird. Oder, wenn man so will, Klassenkampf.
Die Debatte um Holm hatte sich an dessen Verpflichtung beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR entzündet. Der 46-Jährige hatte mehrfach öffentlich erklärt, dass er als 16-Jähriger bei der Stasi unterschrieben und im September 1989 ein Grundausbildung beim Wachregiment Feliks Dzierzynski begonnen hatte.
Für Müller war der offene Umgang nicht genug. Er sei "noch am Ringen, wie ich damit umgehe", sagte der Regierende Bürgermeister am vergangenen Dienstag. Am Samstag dann gab er die Entlassung Holms bekannt, seinen Koalitionspartnern wurde dies kurz zuvor per Handy-Kurznachricht angekündigt. Die Linken waren nicht sonderlich amüsiert: Die Ankündigung sei "überraschend" gekommen, hieß es dort, und: "Wir werden unser weiteres Vorgehen in dieser Frage intern und innerhalb der Koalition weiter beraten."
Der Vergleich mit anderen Politiker-Biografien
Natürlich kann man den Berliner Linken nun vorwerfen, nicht sensibel genug mit dem Stasi-Thema umgegangen zu sein. Auch hatte Holm widersprüchliche Angaben gemacht und sich in den vergangenen Wochen anders geäußert als etwa 2007, als er in der linksliberalen "tageszeitung" seine Verpflichtung beim Dzierzynski-Regiment öffentlich gemacht hat.
Dass dieses fahrlässige oder vorsätzliche Zurechtbiegen der eigenen Biografie entschuldbar ist, meinen einige Historiker, die sich damit gegen Kollegen aus dem konservativen Lager stellen. Zur Bewertung der Causa Holm im regional und bundespolitischen Kontext können daher Vergleiche helfen. Zum einen mit "stasi-belasteten" Politikern seines Lager, zum anderen mit umstrittenen Politikern, die bis vor Kurzem in Berlin für erheblich mehr Unruhe gesorgt haben.
Beispiel eins: Der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich. Der heute 44-Jährige hat eine in Teilen Holm ähnliche Biografie. Er wurde mit 13 Jahren von der Stasi kontaktiert, Holm war zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme 14 Jahre alt. Heute sagt Liebich: "Als mich im Alter von 13 Jahren das Ministerium für Staatssicherheit fragte, ob ich bereit wäre, später dort hauptamtlich zu arbeiten, sagte ich nicht nein. Gut, dass alles anders kam."
Holm erklärte öffentlich 1989 die Grundausbildung im Wachregiment Dzierzynski begonnen zu haben - mit der Perspektive, "in der Stasi zu bleiben". Nach der Wende sei er "extrem erleichtert gewesen, dass ich aus meinem Dilemma entlassen worden bin". In beiden Fällen bestand der Kontakt zur Stasi, ohne dass Menschen zu Schaden kamen. Liebich mach politisch Karriere, Holm ist draußen.
Beispiel zwei bietet die Berliner Politik selbst. Bis vor wenigen Monaten schließlich hatte Michel Müller mit einem Gesetzesbrecher regiert, dem damaligen CDU-Innensenator Frank Henkel. In seinem Fall wurde gerichtlich festgestellt, dass er mit der gewaltsamen Räumung eines besetzten Hauses in der Berliner Rigaer Straße illegal gehandelt hat. Doch selbst angesichts des Rechtsbruchs hielt Müller die Koalition aufrecht.
Nach welchen Kriterien richtet sich also die Bewertung "stasi-belasteter" Amtsträger in Deutschland 2017? Die alleinige Mitgliedschaft ist es nicht, wie das Beispiel des Abgeordneten Liebich (und anderer) zeigt. CDU-Mann Henkel belegt indes sogar, dass man die Staatsgewalt ohne gesetzliche Grundlage ungestraft gegen Bürgerinnen und Bürger hetzen kann. Greifen hier also moralische Maßstäbe auf Basis der historiografischen Bewertung eines der vormaligen deutschen Staaten?
Mitnichten, wie der bis heute herrschende Umgang mit dem Nazi-Regime zeigt. Bekannt ist, dass die westdeutsche Politik von Nazis mit aufgebaut wurde. Eine kleine Auswahl:
- Hans Filbinger (CDU), 1966-1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg; 1937-1945 Mitglied der NSDAP; an mindestens 234 Strafverfahren bei der Marine beteiligt, in 63 Fällen als Ankläger, in vier Fällen Todesstrafen;
- Kurt Georg Kiesinger (CDU), 1958-1966 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 1966-1969 deutscher Bundeskanzler; 1933-1945 Mitglied der NSDAP und im Auswärtigen Amt tätig;
- Karl Carstens (CDU), 1979-1984 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland; ab 1933 Mitglied der SA, 1940-1945 Mitglied der NSDAP;
- Rolf Dahlgrün (FDP), 1962-1966 Bundesminister der Finanzen; 1933-1945 Mitglied der NSDAP, NS-Führungsoffizier;
- Wilhelm Grewe, 1955 Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes; 1933-1945 Mitglied der NSDAP; verteidigte den Krieg gegen die Sowjetunion als "große weltgeschichtliche Mission".
Diese ungebrochenen Biografien aus Nazizeit und Bundesrepublik sind mitnichten ein vergangenes und aufgearbeitetes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Noch 2007 bescheinigte der CDU-Politiker und derzeitige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger dem damals verstorbenen Filbinger, "kein Nationalsozialist" gewesen zu sein, sondern "ein Gegner des NS-Regimes". Die Kritik daran bezeichnete er als "Kampagne von Rot und Grün", der er sich nicht beugen werde. Der Fall blieb ohne Konsequenzen.
"Er ist dem Hausbesetzer näher als den Investoren"
Solche Vergleiche von Biografien und dem politischen Umgang mit Lebensläufen in den deutschen Vorgängerstaaten belegen - so schwer vergleichbar die Umstände auch sein mögen - die bis heute geltenden Unterschiede in der historiographischen Bewertung. Sie lassen auch erkennen, wie gerade im Fall Holm die Stasi-Debatte als politisches Instrument genutzt wurde und wird, dass es also gar nicht um Verpflichtungserklärungen Minderjähriger, abgebrochene Grundausbildungen, falsch gesetzte Kreuze in Fragebögen oder unterschiedliche wiedergegebene Chronologien geht.
Inmitten der politischen Kampagne gegen den gerade berufenen Bau-Staatssekretär sprach diese Wahrheit ausgerechnet der Spitzenvertreter der Berliner FDP im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, aus: "Er ist dem Hausbesetzer näher als den Investoren, deswegen hat er im Senat nichts zu suchen."
Diese schlichte Feststellung belegte schon zwei Tage vor Müllers Intervention, dass es im Kern nicht um die Stasi-Vergangenheit Holms ging, sondern um dessen sozial- und wohnungsbaupolitische Positionen. Was nicht weiter dramatisch gewesen wäre, hätten sich SPD, Linke und Grüne auf eine Umkehr in der weitgehend gescheiterten Berliner Wohnungsbaupolitik und eine Linie gegenüber der rechten Opposition geeinigt.
Der Wille dafür aber fehlte, worauf auch der Pankower Bezirksverordnete der Linken Michail Nelken verwies. Es gebe zwar eine breite, politisch eher linksliberale Mittelschicht in dieser Stadt, der das "Gerede von Gentrifizierung" Unbehagen bereite, weil sie sich und ihre Nachbarschaft in ihrer Lebensweise angegriffen fühle. "Was Holm über all die Jahre attackiert hat, ist die Grundlage ihres heutigen sozialen und kulturellen Alltags in dieser Stadt. Sie haben den Wissenschaftler Holm als notwendigen Teil des gesellschaftlichen Diskurses akzeptiert und ihm auch eine Plattform eingeräumt, als politischem Staatssekretär entziehen sie ihm die Sympathien."