Klima-Chaos: Wann ist die 1,5-Grad-Grenze wirklich überschritten?
Die-Klima Rekorde purzeln. Nicht nur Februar 2024 war der wärmste seit Aufzeichungsbeginn. Was letzte Meldungen zum Thema bedeuten.
Der Februar 2024 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen – und nach Angaben des EU-Klimawandeldienstes Copernicus schon der neunte Monat in Folge, der im Vergleich zu den jeweiligen Vorjahresmonaten am wärmsten ausfällt.
Februar 2024 sprengt Wärmerekorde
"Der Monat war 1,77 Grad wärmer als der geschätzte Februardurchschnitt im Zeitraum 1850 bis 1900, dem festgelegten vorindustriellen Referenzzeitraum", teilte Copernicus in dieser Woche mit.
Das Jahr 2023 hatte im Durchschnitt ziemlich nah an der 1,5-Grad-Marke gekratzt, unter der die Staaten die globale Erwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit laut Pariser Klimaschutzabkommen halten wollen. Laut Weltorganisation für Meteorologie (WMO) waren es, wie hier bereits berichtetet 1,45 Grad Celsius mehr als vor der Industrialisierung. Die Messunsicherheit lag bei plus/minus 0,12 Grad.
Um diesen Wert zu bestimmen, verwendete die WMO sechs verschiedene internationale Datensätze. Der Europäische Klimawandeldienst Copernicus mittelte die globalen Oberflächentemperaturen bei 1,48 Grad über vorindustriellem Niveau.
1,5-Grad Marke für zwölf Monate überschritten
Legt man nicht das Kalenderjahr an, sondern blickt zurück auf einen Zwölfmonatszeitraum, so lag die Oberflächentemperatur mit nach Angaben von Copernicus mit durchschnittlich 1,52 Grad Celsius mehr als zu vorindustrieller Zeit bereits über der Marke von Paris.
Lesen Sie auch:
Klimageld vom Winde verweht: Weltbank kann 38 Milliarden Euro nicht nachweisen
Der Kipppunkt: Wo stehen wir bei der globalen Energiewende?
Energiewende: So könnte grüner Wasserstoff nach Deutschland gelangen
Studie: Abwrackprämie könnte Klimaziele günstiger erreichen als E-Fuels
CCS in Europa: Ein riskantes Spiel mit hohen Kosten und unsicherer Technik
Durchschnittstemperaturen oberhalb der 1,5-Grad-Marke wurden dabei vor allem seit September 2023 ermittelt. Dass die zweite Jahreshälfte 2023 wärmer sein würde als die erste, war angesichts des Klimaphänomens El Niño zu erwarten. "Jeder Monat seit Juni 2023 hat einen neuen monatlichen Temperaturrekord aufgestellt - und 2023 war das mit Abstand wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
El Niño und Treibhausgase: Eine verhängnisvolle Kombination
El Niño hat zu diesen Rekordtemperaturen beigetragen, aber die wärmespeichernden Treibhausgase sind eindeutig der Hauptverursacher", erklärte kürzlich WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo. Derzeit schwäche sich das Wetterphänomen ab und mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit würden im April bis Juni wieder "neutrale Bedingungen" erreicht.
Die US-Wetterbehörde NOAA rechnet damit, dass die globalen Durchschnittstemperaturen ab April oder Mai wieder unter die 1,5-Grad-Marke im Vergleich zu vorindustrieller Zeit fallen werden.
Rekordtemperaturen im Ozean: Vorhut der Klimakatastrophe
Besonders extrem sind noch immer die Temperaturen an der Meeresoberfläche zwischen 60 Grad Nord und 60 Grad Süd. Diese ließen spätestens seit Juni 2023 alle vergangenen Rekorde mit Abstand hinter sich und im Februar wurde der Rekord aus dem Vorjahr erneut übertroffen. Diese Werte dürften besonders interessant bleiben, da die Hitzewelle im Meer bereits begonnen hatte, bevor El Niño richtig eingesetzt hatte.
Das 1,5-Grad-Ziel: Ein überschrittener Schwellenwert mit Folgen
Doch was bedeuten die Rekordtemperaturen der letzten Monate und des letzten Jahres nun in Bezug auf das Pariser Klimaziel? Ab wann gilt die Grenze von 1,5 Grad globaler Erwärmung als überschritten? Die NOAA erklärt dazu:
Das Überschreiten dieses Schwellenwerts gemäß dem Pariser Abkommen bedeutet, dass die vom Menschen verursachte globale Erwärmung dauerhaft 1,5 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit überschreitet. Das heißt NICHT einfach, wenn die globalen Durchschnittstemperaturen an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Monat oder sogar in einem bestimmten Jahr diese Marke überschreiten. Um zu wissen, wann die Erde diese Schwelle überschritten hat, müssen wir längere Zeiträume betrachten.
Wie lang diese Zeiträume sein sollen, ist im Abkommen von Paris nicht festgelegt. Die NOAA hält einen Durchschnittswert über 20 bis 30 Jahre für sinnvoll. Andere Regierungen oder wissenschaftliche Institutionen könnten daher – und aufgrund anderer im Klimaschutzabkommen nicht genau festgelegter Bedingungen – die 1,5-Grad-Grenze zu einem anderen Zeitpunkt für überschritten erklären.
Vorindustrielle Zeit vs. flächendeckende Aufzeichnungen
Zu den weiteren Variablen gehört, welcher Datensatz zugrunde gelegt und welche Periode genau als vorindustrielle Zeit definiert wird. Die NOAA setzt die vorindustrielle Zeit mit der Periode 1850 bis 1900 gleich.
Das mag zunächst verwundern, da die Industrialisierung bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnt. Der Zeitraum 1850 bis 1900 als klimatologische Bezugsgröße ist eher praktischen Gründen geschuldet: Erst für diese Zeit liegen flächendeckende und durchgehende Temperaturaufzeichnungen vor. Derselbe Zeitraum wird vom europäischen System Copernicus verwendet.
2033 könnte die 1,5-Grad-Marke dauerhaft gerissen sein
Auch wenn die 1,5 Grad noch nicht dauerhaft erreicht wurden, mag es bis dahin auch nicht mehr allzu lange dauern. Bereits im Mai 2023 prognostizierte die WMO, dass zwischen 2023 und 2027 mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit in mindestens einem Jahr die Schwelle von 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau überschritten würde. Es sei allerdings unwahrscheinlich (mit 32 Prozent), dass der Fünfjahresdurchschnitt über dieser Schwelle liegen würde.
Der Klimawandeldienst Copernicus hat eine App entwickelt, mit der angezeigt wird, wann die 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau erreicht sein werden, wenn sich der bisherige Erwärmungstrend fortsetzt. Dies wäre im September 2033 der Fall.
In dieser App lässt sich auch ablesen, dass das Tempo der Erwärmung deutlich zugenommen hat, sodass das Erreichen der 1,5-Grad-Grenze immer näher gerückt ist. Schreibt man etwa nur den Trend der Jahre 1970 bis 2000 fort, dann wären die 1,5 Grad erst im Jahr 2045 erreicht.
Stürme, Überschwemmungen, Hitzewellen
Ein dauerhaftes Überschreiten der 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau bedeutet nun weder, dass ab diesem Moment alles verloren wäre, noch, dass davor keine katastrophalen Auswirkungen der menschengemachten globalen Erwärmung zu spüren wären. Diese sind schon heute präsent, in Form von extremen Stürmen, Überschwemmungen, Hitzewellen oder Dürren.
"Die 1,5°C-Grenze ist kein Lichtschalter, der alle Arten von Klimakatastrophen auslöst. Mit jedem kleinen bisschen zusätzlicher Erwärmung steigt das Risiko negativer Auswirkungen", heißt es bei der NOAA. Die 1,5 Grad sind eine politische Vereinbarung, die allerdings auf einem wissenschaftlichen Fundament steht.
Denn wie der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zu einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad zeigt, steigt ab diesem Wert das Risiko deutlich an, dass Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden. Wo genau diese Schwellen liegen und wie sehr sich mehrere Kipppunkte im Erdsystem gegenseitig beeinflussen, bleibt weiterhin Gegenstand der Forschung.