Klimastreik: Wie die Eliten seit fünf Jahren gegen Generation Alarm kämpfen

Seite 2: Verschweigen, Umarmen, Denunzieren

Greta Thunberg prägte den Begriff "Fridays For Future", weil sie nach den Wahlen in ihrem Land nur noch am Freitag protestierte. Auch an anderen Schulen, zuerst in Schweden, begannen Schüler:innen für das Klima zu streiken. Es folgten nachahmende Aktionen in Belgien, Frankreich, Finnland und Dänemark. Am 30. November waren es schon 10.000 Streikende in Australien. In den folgenden Monaten fanden überall auf der Welt Schulstreiks fürs Klima statt.

In Deutschland und der Schweiz kamen am 18. Januar 2019 schon rund 50.000 Menschen zusammen, um auf die ungenügende Klimapolitik zu verweisen. Ihre Forderung war keineswegs revolutionär. Sie verlangten von den Regierungen schlicht, das umzusetzen, worauf sie sich selbst verpflichtet hatten: mindestens einen Zwei-Grad-Celsius-Kurs.

Der Zulauf war derart stark, dass aus den Kundgebungen globale Klimastreiks wurden, organisiert auch von anderen Klimagruppen, etwa 350.org, Extinction Rebellion, Sunrise Movement oder Ende Gelände. Am 15. März fanden parallel 2.200 Veranstaltungen in 125 Ländern mit über 1,4 Millionen TeilnehmerInnen statt.

Am 24. Mai wurde weltweit in 1.600 Städten gestreikt. Im Wochenrhythmus erhoben nun Menschen ihre Stimme, und es schallte durch die Straßen: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" Vom 20. bis zum 27. September kulminierten die Streiks in einer globalen Klimaaktionswoche. Allein an den beiden Freitagen versammelten sich insgesamt sechs Millionen Menschen bei 2.000 Veranstaltungen auf der ganzen Welt. In Deutschland demonstrierten am 20. September 1,4 Millionen Menschen, davon 270.000 in Berlin. Ein Klimaprotestrekord jagte den nächsten.

Wissenschaftlerinnen, Prominente und sogar Unternehmer schlossen sich der Bewegung an. Als "Scientists for Future" unterzeichneten im März 2019 rund 27.000 Forscher eine Stellungnahme, in der die Forderungen der Streikenden für berechtigt erklärt wurden. Die derzeitigen Maßnahmen seien aus wissenschaftlicher Sicht bei Weitem nicht ausreichend. Auch Eltern und Großeltern von Schüler:innen gründeten Ableger von Fridays for Future.

Die politisch Verantwortlichen versuchten von Anfang an, den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, nach dem traditionellen Muster des Krisenmanagements.

Zunächst tat man die Streiks ab als nette Geschichte eines Mädchens, das fürs Klima protestiert. Als Thunberg dann auf Klimademos redete, etwa einem Protest von Extinction Rebellion in London, wurde sie, verstärkt durch ihre kompromisslose, weil wissenschaftsbasierte Anklage, zum Problem für Regierungen.

Der australische Premier Scott Morrison kommentierte die Schulstreiks im November 2018 mit den Worten: "Wir wollen mehr Lernen und weniger Aktivismus in der Schule." Seine britische Amtskollegin Theresa May blies ins gleiche Horn. Der russische Präsident Wladimir Putin unterstellte Greta Thunberg, "schlecht informiert" zu sein, und mutmaßte, dass sie manipuliert wurde und "anderen Interessen" dient.

Während auch in Deutschland Schüler:innen vom Unterricht fernblieben, betonte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Februar 2019 am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz, keinen Anlass zu sehen, "dass plötzlich alle deutschen Kinder – nach Jahren ohne sozusagen jeden äußeren Einfluss – auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss". Sie stellte die Streiks dabei in Zusammenhang mit der "hybride(n) Kriegsführung" in Russland.

Eine "unglückliche Formulierung", antwortete Thunberg nüchtern. Es gebe sehr wohl einen "Anlass", nämlich das Versagen der Regierungen, obwohl sie die "volle Bedeutung der Klimakrise gekannt haben, die unsere komplette Existenz bedroht". Es sei interessant: "Immer wenn die Schulstreiks als Thema aufkommen, reden fast alle politischen Führer und viele Journalisten über alles Mögliche – außer über den Klimawandel." Der damalige deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert ruderte daraufhin zurück.

Auch die persönlichen Diffamierungen durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, den brasilianischen Ex-Staatschef Jair Bolsonaro und in den üblichen rechten Echokammern, das schwedische Mädchen sei nicht bei Verstand und krank, erreichten keineswegs ihr Ziel. Im Gegenteil.

Als FDP-Chef Christian Lindner die klimastreikenden Schüler:innen abkanzelte, sie verstehen nicht, was machbar ist, und sollten daher die Klimaschutzpolitik den Profis überlassen, ging das Ganze nach hinten los. Denn die "Profis" hatten sich da längst hinter die Schüler:innen gestellt. Die Reaktion des Influencers Rezo auf die politische Bevormundung erreichte Millionen und sprach ihnen aus dem Herzen.

Auch der Versuch, die Streikenden durch Umarmung zu beschwichtigen, geriet zum PR-Desaster. So bekam Greta Thunberg zahlreiche Einladungen, Reden zu halten: bei der UN-Klimakonferenz in Katowice, bei der EU, vor dem britischen Parlament. Der französische Präsident lud sie in den Elysée Palast. Angela Merkel traf sich mit ihr.

Selbst nach Davos zum Weltwirtschaftsgipfel, dem Treffen der Reichen und Mächtigen, lud man sie ein. Und Thunberg segelte zwei Wochen lang über den Atlantik, um vor der UN-Vollversammlung in New York City zu sprechen. Man versicherte ihr: Wir finden ganz toll, wie ihr euch einsetzt. Wir versprechen, uns zu bessern. Merkel lobte im Video-Podcast die SchülerInnen für ihr Engagement. "Realsatire", war die Antwort aus den Bewegungen. Die SchülerInnen wollten Taten, keine Worte.

Von Politikern und Journalisten wurde schließlich der "Greta-Hype" kritisiert. Sie versuchten verzweifelt ein Feuer auszutreten, das sie selber unvorsichtigerweise durch ihre Umarmungsversuche mit verbreitet hatten. Parallel fanden endlose Debatten übers Schulschwänzen statt, man drohte mit Sanktionen. Über die Motive des Streiks und die verfehlte Klimapolitik sprach kaum jemand.

Bei der Europawahl 2019 wurde die Klimakrise aufgrund des öffentlichen Drucks erstmals zum zentralen Wahlkampfthema. Das Resultat: In Deutschland verloren CDU/CSU sechs Prozent, die SPD stürzte um elf Prozentpunkte ab auf knapp 16. Gewinner waren die Grünen mit einer Verdopplung der Stimmen auf 21 Prozent.

In einem Ranking zeigte sich, dass in der vorausgegangenen Legislaturperiode die Unionsparteien im EU-Parlament nur jeder achten, SPD und Linke lediglich jeder zweiten Vorlage für konsequenten Klimaschutz zugestimmt hatten, die Grünen aber bei fast 90 Prozent aller Abstimmungen. Auch europaweit wurden die Umweltparteien zum Gewinner, wobei in Italien, Frankreich und Österreich auch Klimaleugner-Parteien zulegen konnten.

Die schwarz-rote Bundesregierung sah sich durch die Proteste letztlich gezwungen, klimapolitisch etwas anzubieten. Kurz vor dem historischen Klimastreiktag am 20. September verabschiedete das Kabinett unter Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ein hastig zusammengeschustertes Klimapaket.

Es war wieder einmal ein Reförmchen ohne Lenkungswirkung. Aber diesmal kamen sie damit nicht so einfach davon. Nicht nur die 1,4 Millionen Streikenden kritisierten das als "politische Bankrotterklärung". Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Klimaschutzpolitik wurde ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung in der breiten Öffentlichkeit unisono und eindeutig als Komplettversagen gebrandmarkt.

Das übliche Schönreden und Weichzeichnen blieb aus. Selbst die Medien, die sonst jeden klimapolitischen Murks durchwinkten, konnten nicht anders, als das wiederzugeben, was die "Profis" zu Protokoll gaben.

Scientists for Future zeigte sich "entsetzt über das Paket". Auch der Klimaforscher Mojib Latif war "entsetzt ob der Tatsache, dass da so gut wie gar nichts beschlossen wurde". Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sprach von "Pillepalle" und kritisierte, dass wissenschaftliche Ratschläge durch die Regierung ignoriert worden seien.

Es sei so, "als ob der Arzt bei einer akuten und lebensgefährlichen Infektion eine Kur mit Antibiotika verschreibt, ab sofort fünf Tabletten pro Woche, dann steigern. Und du tust erstmal eine Woche gar nichts, dann nimmst du eine Tablette in der Woche, und in der nächsten Woche zwei." Volker Quaschning sah "keine Logik und keinen Sachverstand". Die Ergebnisse seien "existenzbedrohend". Er twitterte, dass man als Wissenschaftler eigentlich sachlich bleiben müsse: "Aber jetzt kann ich gar nicht so viel essen, wie ich nach dem #Klimaschutzpaket kotzen möchte".

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kam wie Wissenschaftler des Mercator-Instituts und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zu dem Schluss, dass mit den Maßnahmen nicht einmal das offizielle Klimaziel der Bundesregierung im Rahmen der EU bis 2030 noch erreicht werden kann. Zudem sei das Paket unsozial. Es belaste die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen deutlich mehr als die oberen Schichten.

Die notwendige Kursänderung und eine frühere Dekarbonisierung, wie von den Protestbewegungen gefordert, um die Erde nicht über zwei Grad Celsius zu erhitzen, wurde durch das Klimapaket erneut zur unerreichbaren Vision erklärt, für die Politiker, so die frühere Umweltministerin Merkel, eben nicht zuständig sind.

Die AfD kritisierte das Paket ebenfalls. Doch wenig überraschend von der anderen Seite. Der "geballte Irrsinn" der Merkel-Regierung, so Bundessprecher Jörg Meuthen, beruhe "auf der Klimareligion ökosozialistischer Schulschwänzer und deren linksgrüner Hintermänner". Die FAZ zeigte sich erleichtert. Zwar kritisierten die Umweltverbände das Resultat, so Niklas Zábolji, aber "aus der Wirtschaft gibt es mehr Lob".

Man ließ den Industrieverband BDI kommentieren, dass die geplanten Entlastungen bei den Strompreisen "hinter den Erwartungen zurückblieben" und damit die, wie die FAZ titelte, "Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland gefährdet" sei.