Klimastreik: Wie die Eliten seit fünf Jahren gegen Generation Alarm kämpfen
2018 hielt Greta Thunberg das Schild mit "Skolstrejk för Klimatet" hoch. Was danach folgte, ist ein historischer Ringkampf. Warum Störaktionen dem Klimaschutz nicht schaden, sondern helfen.
Erinnern wir uns an die Jahre 2018, 2019: Extreme Temperaturen auch in Deutschland, kaum Niederschlag, Dürre. Vor allem Alte und Kranke, die Natur und viele Bauern leiden unter der Hitze und Trockenheit. Die Auswirkungen der Klimakrise sind für alle deutlich sichtbar.
Zugleich protestieren Bewegungen in den Kohletagebauen im Rheinland und in der Lausitz. Sie fordern angesichts der Krise einen schnellen Ausstieg aus der Kohlenutzung und den Umstieg auf Wind und Sonne. Die Polizei geht mit Gewalt gegen die friedlichen Protestierenden vor, mit Pfefferspray, Tritten und Schlägen.
Einige Aktivist:innen werden später zu Millionen-Schadensersatzzahlungen verurteilt, andere müssen für ihren zivilen Ungehorsam für Monate ins Gefängnis. In der Bildzeitung nennt der RWE-Chef Rolf Martin Schmitz sie "Öko-Terroristen", die Süddeutsche Zeitung wirft die Demonstrierenden in einen Topf mit "Reichsbürgern, Rechtsradikalen und anderen Rechtsbrechern".
Aber weder Hitze, Dürresommer noch Kohleproteste führten dazu, dass den Politiker:innen in den Sommerinterviews von ARD und ZDF Fragen zum Klima gestellt wurden. Was musste denn noch passieren, um die Krise auf die Agenda zu bringen oder gar Alarm zu schlagen?
Es sollte etwas passieren. Und es begann mit dem, woran wir uns alle längst gewöhnt haben: Stürme, Dürren, abschmelzende Gletscher und Eisberge, Anstieg des Meeresspiegels, Klimaflüchtlinge, Prognosen über den langsamen Zusammenbruch der Öko-Systeme und unbeirrt weiter steigende Treibhausgase.
Eine achtjährige Schülerin erfuhr im Unterricht vom Klimawandel und konnte danach nicht mehr in ihr bisheriges Leben zurückkehren. Sie begann, sich Dokumentarfilme anzuschauen und wissenschaftliche Studien zur Klimakrise zu lesen. Ziemlich komplizierter Stoff für ein Mädchen, das noch nicht einmal im Teenageralter war.
Die Schülerin lernte, dass die Staaten, die hauptverantwortlich für die drohende Katastrophe sind, seit Jahrzehnten fast nichts getan haben und weiterhin nichts tun wollen. Niemand um sie herum schien aber besorgt zu sein – ihre Eltern nicht, und keiner in der Schule. Man sagte ihr, dass sie keine Angst haben müsse, die Verantwortlichen werden das schon regeln.
Im Alter von elf, ein Jahr vor dem Pariser Klimaabkommen, hörte sie auf, mit anderen Menschen als ihren Eltern und Familienangehörigen zu sprechen. Selektiver Mutismus, attestierten die Ärzte. Sie konnte fast nichts mehr essen und drohte zu verhungern, während sie in eine schwere Depression rutschte.
Ihr Asperger-Autismus ist, wie oft bei dieser Diagnose, verbunden mit hohen kognitiven Fähigkeiten, was aber auch die Unfähigkeit einschließt, Widersprüche zu überspielen. Was nun folgte, scheint also eine Art Überlebensstrategie gewesen zu sein.
Das Mädchen knipste das Licht im Haus aus, überzeugte die Eltern, Abstand zu nehmen vom Fliegen und Fleischessen. Dann malte sie ein Schild und setzte sich am 20. August 2018, inmitten von Dürre- und Hitzewellen, Waldbränden und drei Wochen vor der Wahl zum schwedischen Reichstag, vor das Parlament in Stockholm. Auf dem Schild stand der einfache, heute weltbekannte Spruch: "SKOLSTREJK FÖR KLIMATET" (Schulstreik fürs Klima).
Greta Thunberg war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 15 Jahre alt. Ihr persönlicher Streik entfachte einen Flächenbrand – aber einen anderen als den Trumpschen in den USA. Es war eine Art Gegenfeuer.
Löschkräfte wenden diese Technik bei Waldbränden an, um der Brandwalze den Sauerstoff zu entziehen. Doch der Vergleich trifft nicht ganz zu. Denn als Thunberg sich allein mit dem Schild vors Parlament setzte, erwartete sie sich nicht viel davon. Ihre Eltern und Lehrer waren dagegen, Passanten mokierten sich über sie.
Thunberg streikte, weil sie nicht anders konnte, nicht, um politische Wirkung zu erzeugen. Auf die Idee war sie durch Schüler:innen in Florida gekommen, die sich nach einem Amoklauf geweigert hatten, in die Schule zurückzukehren und ein härteres Waffengesetz forderten.
Der Brand entzündete sich in der Fläche auch nicht, weil sie etwas Neues und Besonderes getan hätte. Schilder in die Luft halten, streiken, Monate in Baumhäusern ausharren, Haftstrafen oder gar den Tod riskieren – alle diese Formen des Widerstands hatte es schon lange gegeben.
An Thunbergs Protest verdichtete sich vielmehr die Klimakrise wie durch ein Brennglas: das Versagen der Regierungen, politische Heuchelei, gesellschaftliches Wegschauen, Beschwichtigen, Hilflosigkeit angesichts des Erstarkens rechtsradikaler Kräfte, Ignoranz gegenüber der Wissenschaft. Der Zündfunke fand zudem Nahrung, weil die protestierende Generation entzündbar war.
Junge Menschen hatten genug von netten Worten und Vertröstungen. Ähnlich fühlten auch viele Erwachsene. Es gab einen Hunger nach Wahrheit, der den Funken nicht verglühen ließ. Denn die Illusion von "Alles wird am Ende gut" hatte starke Risse bekommen in den Jahren des Aufschiebens, es brodelte nicht mehr nur unter der Oberfläche.
Greta Thunberg brachte es schnörkellos auf den Punkt: Wir müssen den Kompass umstellen, und zwar sofort. Das fordere nicht sie, das forderten Wissenschaft und CO2-Budget.
Warum sollen wir für eine Zukunft lernen, die es vielleicht bald nicht mehr gibt, weil niemand etwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten? Und was für einen Sinn hat es, im Bildungssystem Dinge zu lernen, wenn die wichtigsten Tatsachen, die uns die beste Wissenschaft in eben diesem Bildungssystem liefert, von unseren Politikern und unserer Gesellschaft ignoriert werden.
Die schwedischen Zeitungen berichteten vom ersten Tag an über Thunberg. Während sie noch allein vorm Parlament ausharrte, stand ihr Bild bereits auf der Titelseite der Stockholmer Ausgabe von Dagens Nyheter. Via Social Media verbreitete sich die Nachricht vom Streik viral.
Die internationale Presse schloss an die schwedischen Berichte an. Am 27. August brachte die Taz in Deutschland einen Artikel über "Greta", wie sie genannt wurde. Da saßen an ihrer Seite bereits 35 Schüler:innen, auch Erwachsene und ein Lehrer.
Ein BBC-Bericht veranlasste Arnold Schwarzenegger Anfang September zu einem Tweet: "Ich finde es toll, wenn jemand sich nicht nur beschwert, sondern rausgeht und etwas unternimmt. Du inspirierst mich." Schwarzenegger lud sie zu einem Treffen nach Wien ein. Sie antwortete: "Ich bin dabei. Hasta la vista baby!" Schwarzenegger hat 4,5 Millionen Follower auf Twitter.
Verschweigen, Umarmen, Denunzieren
Greta Thunberg prägte den Begriff "Fridays For Future", weil sie nach den Wahlen in ihrem Land nur noch am Freitag protestierte. Auch an anderen Schulen, zuerst in Schweden, begannen Schüler:innen für das Klima zu streiken. Es folgten nachahmende Aktionen in Belgien, Frankreich, Finnland und Dänemark. Am 30. November waren es schon 10.000 Streikende in Australien. In den folgenden Monaten fanden überall auf der Welt Schulstreiks fürs Klima statt.
In Deutschland und der Schweiz kamen am 18. Januar 2019 schon rund 50.000 Menschen zusammen, um auf die ungenügende Klimapolitik zu verweisen. Ihre Forderung war keineswegs revolutionär. Sie verlangten von den Regierungen schlicht, das umzusetzen, worauf sie sich selbst verpflichtet hatten: mindestens einen Zwei-Grad-Celsius-Kurs.
Der Zulauf war derart stark, dass aus den Kundgebungen globale Klimastreiks wurden, organisiert auch von anderen Klimagruppen, etwa 350.org, Extinction Rebellion, Sunrise Movement oder Ende Gelände. Am 15. März fanden parallel 2.200 Veranstaltungen in 125 Ländern mit über 1,4 Millionen TeilnehmerInnen statt.
Am 24. Mai wurde weltweit in 1.600 Städten gestreikt. Im Wochenrhythmus erhoben nun Menschen ihre Stimme, und es schallte durch die Straßen: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" Vom 20. bis zum 27. September kulminierten die Streiks in einer globalen Klimaaktionswoche. Allein an den beiden Freitagen versammelten sich insgesamt sechs Millionen Menschen bei 2.000 Veranstaltungen auf der ganzen Welt. In Deutschland demonstrierten am 20. September 1,4 Millionen Menschen, davon 270.000 in Berlin. Ein Klimaprotestrekord jagte den nächsten.
Wissenschaftlerinnen, Prominente und sogar Unternehmer schlossen sich der Bewegung an. Als "Scientists for Future" unterzeichneten im März 2019 rund 27.000 Forscher eine Stellungnahme, in der die Forderungen der Streikenden für berechtigt erklärt wurden. Die derzeitigen Maßnahmen seien aus wissenschaftlicher Sicht bei Weitem nicht ausreichend. Auch Eltern und Großeltern von Schüler:innen gründeten Ableger von Fridays for Future.
Die politisch Verantwortlichen versuchten von Anfang an, den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, nach dem traditionellen Muster des Krisenmanagements.
Zunächst tat man die Streiks ab als nette Geschichte eines Mädchens, das fürs Klima protestiert. Als Thunberg dann auf Klimademos redete, etwa einem Protest von Extinction Rebellion in London, wurde sie, verstärkt durch ihre kompromisslose, weil wissenschaftsbasierte Anklage, zum Problem für Regierungen.
Der australische Premier Scott Morrison kommentierte die Schulstreiks im November 2018 mit den Worten: "Wir wollen mehr Lernen und weniger Aktivismus in der Schule." Seine britische Amtskollegin Theresa May blies ins gleiche Horn. Der russische Präsident Wladimir Putin unterstellte Greta Thunberg, "schlecht informiert" zu sein, und mutmaßte, dass sie manipuliert wurde und "anderen Interessen" dient.
Während auch in Deutschland Schüler:innen vom Unterricht fernblieben, betonte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Februar 2019 am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz, keinen Anlass zu sehen, "dass plötzlich alle deutschen Kinder – nach Jahren ohne sozusagen jeden äußeren Einfluss – auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss". Sie stellte die Streiks dabei in Zusammenhang mit der "hybride(n) Kriegsführung" in Russland.
Eine "unglückliche Formulierung", antwortete Thunberg nüchtern. Es gebe sehr wohl einen "Anlass", nämlich das Versagen der Regierungen, obwohl sie die "volle Bedeutung der Klimakrise gekannt haben, die unsere komplette Existenz bedroht". Es sei interessant: "Immer wenn die Schulstreiks als Thema aufkommen, reden fast alle politischen Führer und viele Journalisten über alles Mögliche – außer über den Klimawandel." Der damalige deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert ruderte daraufhin zurück.
Auch die persönlichen Diffamierungen durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, den brasilianischen Ex-Staatschef Jair Bolsonaro und in den üblichen rechten Echokammern, das schwedische Mädchen sei nicht bei Verstand und krank, erreichten keineswegs ihr Ziel. Im Gegenteil.
Als FDP-Chef Christian Lindner die klimastreikenden Schüler:innen abkanzelte, sie verstehen nicht, was machbar ist, und sollten daher die Klimaschutzpolitik den Profis überlassen, ging das Ganze nach hinten los. Denn die "Profis" hatten sich da längst hinter die Schüler:innen gestellt. Die Reaktion des Influencers Rezo auf die politische Bevormundung erreichte Millionen und sprach ihnen aus dem Herzen.
Auch der Versuch, die Streikenden durch Umarmung zu beschwichtigen, geriet zum PR-Desaster. So bekam Greta Thunberg zahlreiche Einladungen, Reden zu halten: bei der UN-Klimakonferenz in Katowice, bei der EU, vor dem britischen Parlament. Der französische Präsident lud sie in den Elysée Palast. Angela Merkel traf sich mit ihr.
Selbst nach Davos zum Weltwirtschaftsgipfel, dem Treffen der Reichen und Mächtigen, lud man sie ein. Und Thunberg segelte zwei Wochen lang über den Atlantik, um vor der UN-Vollversammlung in New York City zu sprechen. Man versicherte ihr: Wir finden ganz toll, wie ihr euch einsetzt. Wir versprechen, uns zu bessern. Merkel lobte im Video-Podcast die SchülerInnen für ihr Engagement. "Realsatire", war die Antwort aus den Bewegungen. Die SchülerInnen wollten Taten, keine Worte.
Von Politikern und Journalisten wurde schließlich der "Greta-Hype" kritisiert. Sie versuchten verzweifelt ein Feuer auszutreten, das sie selber unvorsichtigerweise durch ihre Umarmungsversuche mit verbreitet hatten. Parallel fanden endlose Debatten übers Schulschwänzen statt, man drohte mit Sanktionen. Über die Motive des Streiks und die verfehlte Klimapolitik sprach kaum jemand.
Bei der Europawahl 2019 wurde die Klimakrise aufgrund des öffentlichen Drucks erstmals zum zentralen Wahlkampfthema. Das Resultat: In Deutschland verloren CDU/CSU sechs Prozent, die SPD stürzte um elf Prozentpunkte ab auf knapp 16. Gewinner waren die Grünen mit einer Verdopplung der Stimmen auf 21 Prozent.
In einem Ranking zeigte sich, dass in der vorausgegangenen Legislaturperiode die Unionsparteien im EU-Parlament nur jeder achten, SPD und Linke lediglich jeder zweiten Vorlage für konsequenten Klimaschutz zugestimmt hatten, die Grünen aber bei fast 90 Prozent aller Abstimmungen. Auch europaweit wurden die Umweltparteien zum Gewinner, wobei in Italien, Frankreich und Österreich auch Klimaleugner-Parteien zulegen konnten.
Die schwarz-rote Bundesregierung sah sich durch die Proteste letztlich gezwungen, klimapolitisch etwas anzubieten. Kurz vor dem historischen Klimastreiktag am 20. September verabschiedete das Kabinett unter Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ein hastig zusammengeschustertes Klimapaket.
Es war wieder einmal ein Reförmchen ohne Lenkungswirkung. Aber diesmal kamen sie damit nicht so einfach davon. Nicht nur die 1,4 Millionen Streikenden kritisierten das als "politische Bankrotterklärung". Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Klimaschutzpolitik wurde ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung in der breiten Öffentlichkeit unisono und eindeutig als Komplettversagen gebrandmarkt.
Das übliche Schönreden und Weichzeichnen blieb aus. Selbst die Medien, die sonst jeden klimapolitischen Murks durchwinkten, konnten nicht anders, als das wiederzugeben, was die "Profis" zu Protokoll gaben.
Scientists for Future zeigte sich "entsetzt über das Paket". Auch der Klimaforscher Mojib Latif war "entsetzt ob der Tatsache, dass da so gut wie gar nichts beschlossen wurde". Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sprach von "Pillepalle" und kritisierte, dass wissenschaftliche Ratschläge durch die Regierung ignoriert worden seien.
Es sei so, "als ob der Arzt bei einer akuten und lebensgefährlichen Infektion eine Kur mit Antibiotika verschreibt, ab sofort fünf Tabletten pro Woche, dann steigern. Und du tust erstmal eine Woche gar nichts, dann nimmst du eine Tablette in der Woche, und in der nächsten Woche zwei." Volker Quaschning sah "keine Logik und keinen Sachverstand". Die Ergebnisse seien "existenzbedrohend". Er twitterte, dass man als Wissenschaftler eigentlich sachlich bleiben müsse: "Aber jetzt kann ich gar nicht so viel essen, wie ich nach dem #Klimaschutzpaket kotzen möchte".
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kam wie Wissenschaftler des Mercator-Instituts und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zu dem Schluss, dass mit den Maßnahmen nicht einmal das offizielle Klimaziel der Bundesregierung im Rahmen der EU bis 2030 noch erreicht werden kann. Zudem sei das Paket unsozial. Es belaste die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen deutlich mehr als die oberen Schichten.
Die notwendige Kursänderung und eine frühere Dekarbonisierung, wie von den Protestbewegungen gefordert, um die Erde nicht über zwei Grad Celsius zu erhitzen, wurde durch das Klimapaket erneut zur unerreichbaren Vision erklärt, für die Politiker, so die frühere Umweltministerin Merkel, eben nicht zuständig sind.
Die AfD kritisierte das Paket ebenfalls. Doch wenig überraschend von der anderen Seite. Der "geballte Irrsinn" der Merkel-Regierung, so Bundessprecher Jörg Meuthen, beruhe "auf der Klimareligion ökosozialistischer Schulschwänzer und deren linksgrüner Hintermänner". Die FAZ zeigte sich erleichtert. Zwar kritisierten die Umweltverbände das Resultat, so Niklas Zábolji, aber "aus der Wirtschaft gibt es mehr Lob".
Man ließ den Industrieverband BDI kommentieren, dass die geplanten Entlastungen bei den Strompreisen "hinter den Erwartungen zurückblieben" und damit die, wie die FAZ titelte, "Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland gefährdet" sei.
Studie: Ziviler Ungehorsam für Kursänderung notwendig
Auch wenn die Klimaproteste 2019 in Deutschland im ersten Anlauf keine Kursänderung erwirken konnten und abgespeist wurden mit dem üblichen "Weiter so!": Die Schulstreiks waren keineswegs ein Misserfolg. Das öffentliche Spotlight auf das Versagen der Bundesregierung zeigt deutlich, dass sich der Klimadiskurs gedreht hat und die Politik in die Defensive geraten ist.
Die Bundesregierung wirkte als unglaubwürdige Krisenmanagerin, die ihr Versagen nicht mehr kaschieren konnte. Zwar hielt sie vorerst am Kurs Klimakollaps fest, aber als Getriebene, während die großen Parteien im Zuge der Streiks einen Image- und sogar einen ersten Wählerverlust hinnehmen mussten.
Eine weitere unmittelbare Leistung von Fridays for Future und den Demonstrationen war, die Budgetrechnung, die die Menge an Treibhausgasen berechnet, die noch in die Atmosphäre entlassen werden darf, in die öffentliche Debatte eingebracht zu haben. Denn eine ihrer Kernforderung ist neben einer klimagerechten und sozialen Lösung, dass aufgrund des dahinschwindenden Budgets die Dekarbonisierung der Industriestaaten nicht bis 2050, sondern bis spätestens 2035 abgeschlossen sein muss.
Das erhöhte den Druck auf die Politik. Die EU-Kommission kündigte im Dezember an, die Reduktionsziele der Mitgliedsstaaten für 2030 von 40 auf 50 bis 55 Prozent anzuheben. Eine Billion Euro sollen dafür an Investitionen mobilisiert werden. Deutlich zu wenig – es bleiben viele Leerstellen und Schlupflöcher, der Kompass wird bei weitem nicht auf Kursänderung gestellt. Aber es war ein Anfang, eine erste, vorsichtige Kurskorrektur.
Die Bundesregierung wiederum musste angesichts der öffentlichen Reaktionen das Klimapaket nachbessern. Ein weiterer Beleg, dass beim Klimaschutz die Selbstherrlichkeit der politischen Klasse ins Wanken geraten ist.
Das Protestjahr 2019 zeigt aber auch, dass der Kampf um eine Kursänderung erst begonnen hatte. Er wurde nun auch mit härteren Bandagen ausgetragen. Als Greta Thunberg im September 2019 bei den UN in New York Beschwerde gegen die Klimapolitik von Deutschland und Frankreich einlegte, reagierten Macron und Merkel mit brüsken Zurechtweisungen auf das, was ein französischer Minister als "Verzweiflung (…) an Hass grenzend" bezeichnete. Heute markieren die Hetze gegen die Letzte Generation und die Kampagnen gegen die Heizwende die Frontstellungen.
Doch nicht nur "Teflon"-Merkel und Co. können in Stürmen auf Kurs bleiben. Auf der UN-Klimakonferenz in Madrid drei Monate danach hielt Greta Thunberg erneut eine Rede. Sie verwies darauf, dass das CO2-Budget für 1,5 Grad in Höhe von 420 Milliarden Tonnen spätestens in acht Jahren verbraucht ist, wenn nichts getan werde. Das sei keine Meinung, sondern Wissenschaft.
Sagen Sie mir also: Wie kann man angesichts dieser Zahlen keinerlei Panik empfinden? Wie soll man ohne einen Anflug von Zorn reagieren, wenn praktisch nichts getan wird? Und wie will man darüber reden, ohne alarmistisch zu klingen? Ich würde das wirklich gerne wissen.
Wirklich gefährlich sei nicht "Tatenlosigkeit. Die tatsächliche Gefahr besteht darin, wenn Politiker und Vorstandsvorsitzende vorgeben, etwas zu tun, wenn in Wahrheit fast nichts geschieht außer trickreicher Buchhaltung und kreativer PR."
Das ist das Verdienst der neuen Klimabewegungen: Sie haben bis heute nicht nachgegeben und halten dabei das Ziel fest im Blick. Sie greifen die Klimaschutz-Fassaden immer wieder an, konfrontieren Politik unbeirrt mit Wissenschaft, adressieren die Verantwortlichen in Regierung und Parlament direkt, drängen mit unmissverständlichen Forderungen zum Handeln, während sie gleichzeitig Alarm schlagen.
Sie wissen genau, was die eigentliche Ressource für die Kursänderung ist. So erzählte Thunberg in Madrid, dass sie auf ihren Reisen genug an Hoffnung gesehen habe. Sie komme nicht von Regierungen, sondern von Menschen, die aufwachen und sich über die Lage bewusst werden:
Es ist die öffentliche Meinung, auf der die freie Welt ruht. Tatsächlich wurde jede große Veränderung in der Geschichte von den Menschen bewirkt. Wir müssen nicht warten. Wir können den Wandel sofort beginnen. Wir als Menschen.
Als Greta Thunberg diese Worte vor den Klimadelegierten der Welt sagte, war sie 16 Jahre alt. Nach ihrer Rede drängte eine große Gruppe von jungen Aktivist:innen auf die Bühne, während Sicherheitskräfte versuchten, sie wegzuziehen. Doch sie blieben fest verwurzelt stehen, die Fäuste in der Luft riefen sie: "Man kann kein Öl trinken! Lasst es in der Erde!" Als sie die Bühne verließen, riefen sie: "Wir sind nicht zu stoppen! Eine andere Welt ist möglich!"
Doch, wie schon gesagt, die Medien drängten das Thema trotz der enormen Protestwellen aus der öffentlichen Debatte. Bei der 90-minütigen Sommer-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel 2020 sahen die Hauptstadtkorrespondenten über die Klimakrise und den Kurs Klimakollaps der Bundesregierung hinweg. Nur die Journalist:innen der unabhängigen Plattform Jung & Naiv brachten das Thema auf.
Auf Kritik und selbst konstruktive Anregungen reagiert die Medienelite bis heute mit Wagenburgmentalität. So versucht eine Initiative inspiriert von den Klimabewegungen, eine Sendung "Klima vor Acht" entsprechend der "Börse vor Acht" in die öffentlich-rechtlichen Sender zu bringen. Der bis zum März 2022 noch amtierende ZDF-Intendant Thomas Bellut antwortete:
Ich würde es nicht machen. Klima ist wichtig, aber danach kommt das nächste Thema. Themen ändern sich ständig. Ich finde es falsch, so etwas vorzugeben, denn damit macht man Politik. Ist das unsere Aufgabe? Nein.
Die ARD erteilte dem von rund 20.000 Bürgern unterstützten Vorschlag, darunter Prominente wie Carolin Kebekus, Bastian Pastewka, Luisa Neubauer, Bjarne Mädel und ARD-Meteorologe Karsten Schwanke, schließlich eine Absage.
Dann kam die Bundestagswahl von 2021. Sie sollte, so die Hoffnung, eine Klimawahl werden. Doch das wurde sie nicht. Über 70 Prozent der zu den Wahlurnen Gegangenen stimmten am Ende für ein Weiter-So, nicht für eine Klima-Kehrtwende.
Ein zentraler Grund dafür ist: Klimapolitik blieb im "Klimawahlkampf" 2021 trotz aller Bekundungen ein Nebenthema. Das Notwendige wurde verschwiegen, das Falsche als Lösung präsentiert, die PR für bare Münze verkauft und das Viel-zu-Wenig als Aufbruch hochstilisiert.
Man musste nur das Radio anschalten, die Zeitung aufschlagen, die Abendnachrichten schauen: Überall die gleichen Beruhigungen und Halbwahrheiten, wobei meist am Thema vorbeigeschaut wurde. Und wenn in den Triellen der Kanzlerkandidaten über Klimaschutz gesprochen wurde, dann fast ausschließlich als ökonomische Belastung und in Form von Verzicht.
In der 20-Uhr-Tagesschau wurde aus dem historischen Klimastreik kurz vor der Wahl im September 2021 schließlich ein belangloses Ereignis fabriziert: "Zehntausende" hätten demonstriert, hieß es, nach Angaben von Fridays for Future waren es jedoch über 600.000 in Deutschland, weltweit 800.000 Protestierende. In der Tagesschau wurde ein halb leerer Platz vor dem Reichstag präsentiert, offensichtlich vor dem Start der Demonstration gefilmt.
In Wahrheit waren Plätze und Straßen in vielen deutschen Städten am Nachmittag geflutet von Menschen, 100.000 allein in Berlin, die kraftvoll 1,5-Grad, echten Klimaschutz und eine radikale Wende forderten. Zudem kein Wort über die prominente Unterstützung für die Proteste, keine Folgeberichterstattung, dafür Problematisierung des Schulschwänzens.
Auf dem Sender Radio Eins (RBB) verglich der Journalist Hajo Schumacher die Klima-Hungerstreikenden der Letzten Generation in Berlin als einer der Ersten mit RAF-Terroristen. Diese und andere Formen der Diffamierung haben sich bis heute gehalten.
Im ZDF polemisierte zugleich die Umweltredaktion immer wieder gegen Windräder wie Elektroautos, während der Redaktionsleiter in Live-Schalten Investitionen in ausländische Kohlekraftwerke als Klimaschutz verkaufen durfte.
Doch trotz Kampagnen und Repressionen haben die Proteste eine Reihe von Erfolgen erzielt und Dynamiken entfacht, wenn auch bis jetzt keinen Kurswechsel der mächtigen Regierungen erwirken können, die fossile Verbrennung gemäß der Wissenschaft in zehn bis spätestens 15 Jahren einzustellen.
Die Klimakrise ist heute stärker im allgemeinen Bewusstsein, die Medien berichten mehr und besser als zuvor über Klimaschutz, Lösungen werden erstmals ernsthafter politisch diskutiert und es gibt erste Fortschritte in Sachen Energiewende, auch in den USA, siehe Bidens Subventionsprogramm des Inflation Reduction Act (IRA).
Die Liste von positiven Ansätzen ist lang: vor Kurzem hat Ecuador in einem historischen Referendum Nein zur Ölförderung gesagt, überall gibt es Gerichtsurteile, die Regierungen und Unternehmen mehr Klimaschutz vorschreiben, Kalifornien hat sich jüngst für einen Vertrag zur Nichtverbreitung von fossilen Brennstoffen ausgesprochen. Man könnte so weiter machen. Sicherlich, alles nicht ausreichend, aber ein Anfang.
Auch über Strategien und Taktiken in den Bewegungen wird lebhaft diskutiert. Die Aktivist:innen der Letzten Generation müssen die größte Wucht des Widerstands gegen den notwendigen Kurswechsel aushalten. Sie werden von wütenden Autofahrer:innen attackiert, von einigen Polizist:innen drangsaliert und von Richter:innen verurteilt. In der Öffentlichkeit wird ihre Strategie als fehlgeleitet und für die Sache als schädlich dargestellt.
Dabei wird immer wieder auf Umfragen verwiesen, in der eine Mehrheit der Befragten angibt, die Mittel der Letzten Generation für nicht angemessen zu halten. Doch Wissenschaftler:innen warnen, falsche Schlüsse daraus zu ziehen.
So ergab eine aktuelle Befragung unter 120 Experten für soziale Bewegungen, dass fast sieben von zehn Forschern und Expertinnen der Meinung sind, dass störende Protesttaktiken für den Erfolg einer Bewegung "zumindest ziemlich wichtig" sind, insbesondere wenn die Forderungen der Demonstrierenden – wie im Fall der Letzten Generation oder Just Stop Oil – bereits breite Unterstützung finden.
Obwohl die Unterbrechung von Tennisspielen, der durch Blockaden verursachte Verkehrsstau und das Werfen von Suppendoseninhalten auf mit Glas geschützte Kunstwerke in der Öffentlichkeit zu Ablehnung führt, hat die Studie von Apollo Surveys und der Protest-Denkfabrik Social Change Lab ergeben, dass Störungstaktiken im Großen und Ganzen der Fähigkeit einer Gruppe, Veränderungen zu bewirken, nicht schaden.
"Wir waren wirklich erstaunt über den Widerspruch zwischen dem, was die Öffentlichkeit und die Medien über störende Proteste sagen, und das, was Experten dazu denken", stellt der Direktor des Social Change Lab, James Özden, gegenüber dem Guardian fest.
Die Experten, die soziale Bewegungen studieren, glauben nicht nur, dass strategische Störung eine effektive Taktik sein kann, sondern dass sie der wichtigste taktische Faktor für den Erfolg einer sozialen Bewegung ist.
Heute findet erneut ein globaler Klimastreik statt, fünf Jahre, nachdem Greta Thunberg sich vor den schwedischen Reichstag setzte und fürs Klima protestierte. Überall auf der Welt werden wieder Menschen auf die Straße gehen. Sie prangern das "skrupellose Greenwashing" an. Bei Fridays for Future heißt es:
Grüne Märchen und Klimareden anstatt echter Emissionsminderungen sind die beliebten Methoden. Ganz vorne mit dabei ist der selbsternannte Klimakanzler Olaf Scholz. Vor dem G7-Gipfel startet er derzeit eine Lobby-Initiative für neue klimaschädliche Investitionen und wirbt für mehr fossiles Gas. Gleichzeitig stellt er sich hin und rühmt sich für das Vorreiterland Deutschland bei erneuerbaren Energien. Es muss Schluss sein damit, grün zu sprechen und fossil zu handeln!
Der Kampf wird weitergehen. Ende offen.