Warum Klimaaktivistin Lena Schiller verurteilt wurde – und nicht Olaf Scholz

Lena Schiller (43) engagiert sich für Klimabildung an Schulen, hat die Organisation "Zukunft für Kinder e.V." mitgegründet, macht politische Lobbyarbeit für mehr Klimaschutz und unterstützt die "Letzte Generation". Bild: privat

Eine vierfache Mutter wird von einem Berliner Gericht für schuldig befunden. Sie war an einer Aktion der "Letzten Generation" beteiligt. Warum der Prozess zeigt, dass unser Rechtssystem versagt.

Amtsgericht Tiergarten in Berlin, Raum 4100. Das Strafverfahren gegen die Klimaaktivistin Lena Schiller endet. Richterin Wermter verurteilt sie zu 50 Tagessätzen à 50 Euro. Neben der Strafzahlung von 2.500 Euro muss sie auch die Kosten des Verfahrens tragen.

Die Sitzung dauerte rund 1,5 Stunden. Lena Schiller konnte schon vor der Verhandlung wissen, dass ihre Chancen, Recht zu bekommen, eher gering sind – es ist ja nicht der erste Prozess, der gegen Aktivisten der "Letzten Generation" geführt wird.

Fast täglich gibt es Strafverfahren an Berliner Gerichten. Bundesweit sollen es laut Medienberichten bereits Anfang November letzten Jahres 2000 gewesen sein.

Trotzdem kämpft Lena Schiller im Prozess um Anerkennung und die Rechtmäßigkeit ihres Protests. Sie vertritt sich dabei selbst und trägt allein sechs Beweisanträge vor – alle ausführlich begründet, rechtlich mit Paragrafen und Gerichtsurteilen untermauert.

Doch es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Und am Ende mahlen die Mühlen des Rechtssystems. Urteil: schuldig.

Der 43-jährigen Therapeutin, Gründungsmitglied einer gemeinnützigen NGO und Mutter von vier Kindern, wird von der Staatsanwaltschaft Nötigung und Widerstand vorgeworfen. Die Richterin folgt dieser Ansicht.

Konkret geht es um zwei Sitzblockaden am 4. und 6. Juli 2022, an denen Lena Schiller mit anderen Aktivist:innen auf Berliner Straßen teilnahm. Als die Polizei eintraf, klebten sie sich an, wurden von den Beamt:innen daraufhin abgelöst und erzeugten dabei einen Stau von rund zwanzig Minuten.

Lena Schiller bei einer Sitzblockade der "Letzten Generation" im Juli 2022.

Die Klimaschützerin wird in Berufung gehen, wie viele andere auch, und ist bereit, die Klage bis zum Europäischen Gerichtshof zu tragen. Keineswegs ein hoffnungsloses Unterfangen. Es gibt durchaus Juristen, die die rechtliche Lage anders bewerten, als Richterin Wermter im konkreten Fall, und die Sitzblockaden als legitimen Ausdruck der Versammlungsfreiheit bewerten.

Denn Sitzblockaden sind an sich noch nicht strafbar. Für den Tatbestand der Nötigung bedarf es des Nachweises der Verwerflichkeit, was letztlich bedeutet, dass Mittel und Ziel nicht zusammenpassen. Oder um es anders zu formulieren: Es gibt – anders als bei Castortransport-Blockaden und Protesten vor Militärstützpunkten – keine Verbindung der Störung mit dem Protestort und den Betroffenen.

Die Aktion, so Richterin Wermter, sei für sie verwerflich, weil sie willkürlich Unbeteiligte bzw. die Falschen treffe und ihre Bewegungsfreiheitsrechte in erheblicher Weise einschränke. Zugleich betont sie in der Urteilsverkündung, dass Ankleben, wie Festketten, eine Form des Widerstands sei und die Polizeiarbeit behindere.

Dem widerspricht Schiller in ihren Beweisanträgen. Sie argumentiert, dass die Aktion nicht willkürlich gewesen sei und mit dem Ankleben kein Widerstand geleistet wurde. Der Versammlungsort sei bewusst gewählt worden, um Aufmerksamkeit auf die Dringlichkeit der Klimakrise zu lenken und auf die Tatsache, dass jede Form der fossilen Verbrennung schnell auf null reduziert werden müsse.

Das Versagen der Regierung und die Dringlichkeit der Kursänderung belegt sie mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien und Aussagen. Dass die konkrete Aktion, wie die Richterin betonte, nichts erreiche, die Menschen gegen Klimaschutz aufbringe und zudem schädlich sei (Wermter führt Lohneinbußen und sogar mehr CO2-Emissionen durch den Stau an, wobei von ihr keine Belege dafür angeführt werden), weist die Klimaschützerin zurück.

So habe es eine Reihe von Gesprächen von Vertreter:innen der "Letzten Generation" mit Repräsentant:innen von diversen Städten gegeben. Der Oberbürgerrmeister von Hannover hat sich nach einem Treffen öffentlich hinter die Ziele der Aktivist:innen gestellt und einen Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag geschickt, indem er anmahnt, die Forderungen der "Letzten Generation" umzusetzen.

Andere Städte wie Tübingen, Lüneburg, Bonn, Marburg und Greifswald haben ebenfalls bekundet, die Ziele der "Letzten Generation" zu unterstützen. Zudem weist Schiller darauf hin, dass seit dem "Hungerstreik 2021" etwa 25.000 Medienberichte im Zusammenhang mit der Klimaprotestform Sitzblockade erschienen sind.

Doch das Gericht weist all das als irrelevant ab. Die "Fernziele" und "idealistischen Motive" spielten keine Rolle.

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