Cybertruck von Tesla: Maga-Mobil überholt die Autoindustrie

Zwei Tesla Cybertrucks auf der Straße

Tesla Cybertrucks. Bild: Shutterstock.com

Ein Fahrzeug für geltungssüchtige Mittelklasse-Männer und die Frage: Warum ist es wieder die Firma von Elon Musk, die der Branche vorangeht? Analyse.

Der Tesla Cybertruck ist mehr als nur ein weiteres Elektroauto auf dem Markt. Mit seiner innovativen Technologie und seinem futuristischen Design stellt er die etablierten Normen der Automobilindustrie infrage und wirft wichtige Fragen über die Zukunft der Mobilität und die Rolle von Technologie in unserer Gesellschaft auf.

Abgesehen von der polarisierenden Monstrosität im Außen: Unter der Edelstahlhaube liegen drei Innovationen versteckt, die in der Autoindustrie schon lange Thema sind: Steer-by-wire, Ethernet-Kommunikation und 48Volt-Bordsystem.

Ein Monster: "Bereit für jedes Abenteuer"

2019 wurde es erstmals vorgestellt, das kantige Edelstahlfahrzeug, das aus einem Science-Fiction-Film zu stammen schien. Seit vergangenem Jahr ist der elektrische Pick-Up-Truck tatsächlich in den USA für ca. 80.000 US-Dollar in der Basisvariante zu haben. Das Fahrzeug leistet 600 PS, wiegt über drei Tonnen, ist fünfeinhalb Meter lang und zwei Meter breit.

Für unsere Verhältnisse ein Monster, in den USA lediglich einer unter vielen Pick-up-Trucks, die mit 20 Prozent Marktanteil eine der beliebtesten Kategorien bei Privatfahrzeugen ausmachen. Der elektrisch angetriebene Pick-Up von Tesla ist das ideale Fahrzeug für geltungssüchtige Mittelklasse-Männer, die bereit sind "für jedes Abenteuer" (Tesla).

Fragwürdige Ökobilanz und schlechter Fußgängerschutz

Angesichts des gerade für europäische Maßstäbe monströsen Dimensionen und einem apokalyptisch anmutenden Designs handelt es sich beim Cybertruck ganz sicher nicht um ein Elektrofahrzeug, das die Herzen von ökologisch Eingestellten höherschlagen lässt. Ist es doch denkbar weit entfernt von den für eine Dekarbonisierung des Verkehrs dringend benötigten kleinen und günstigen Elektrofahrzeugen.

Neben der fragwürdigen Ökobilanz und dem übertriebenen Platzbedarf sieht es auch mit Fußgängerschutz schlecht aus, das Fahrzeug bekommt in der EU vermutlich auch keine Zulassung.

Angesichts des Flirts von Elon Musk mit Donald Trump könnte man den Cybertruck als Maga-Mobil bezeichnen, nach dem Motto: "Make amerikanische Autoindustrie great again".

Die Lenkung

Im Cybertruck findet sich eine ganze Reihe an technischen Innovationen. Dazu zählen, neben der Karosserie aus Edelstahl, insbesondere drei digital-elektrische Neuerungen: digitale Lenkung (Steer-by-wire), der Umstieg auf ein 48 Volt Bordsystem und ein neues Bus-System für die gesamte Kommunikation an Bord (Ethernet Ring).

Steer-by-wire bezeichnet eine Lenkung, bei der die mechanische Kopplung zwischen Lenkrad und Rädern aufgehoben ist. Die Signale von der Eingabeeinheit für die Lenkungssteuerung werden ausschließlich elektronisch an die Elektromotoren an den Rädern übertragen. Steer-by-Wire erlaubt eine vollständige Trennung von Input (Lenkeinschlag) und Output (Einschlag der vier Räder).

Die Vorteile der Entkopplung liegen in der Möglichkeit, die Wirkung des Lenkungs-Inputs je nach Fahrsituation oder -geschwindigkeit frei zu programmieren. Zusammen mit der Möglichkeit beim Cybertruck, auch die Hinterräder bis zu 10 Grad einzuschlagen, ergibt sich auch ein recht kleiner Wendekreis.

Die Tester von Car and Driver finden, dass "die Kombination aus Hinterradlenkung und Steer-by-Wire-System mit variabler Übersetzung das Manövrieren im Stadtverkehr erleichterte als bei einem typischen Pick-Up“.

Die Technologie ist altbekannt und wird beispielsweise in Flugzeugen und Schiffen standardmäßig eingesetzt. Auch bei Autos wurde sie vereinzelt schon verbaut, so z.B. bei Daimler- und Infinity-Fahrzeugen, allerdings bislang immer mit elektromechanischem bzw. hydraulischem Backup.

In Teslas Cybertruck wurde erstmals ein System integriert, welches ohne mechanisches Backup auskommt und über eine dreifache Redundanz verfügt, ähnlich wie in der kommerziellen Luftfahrt. Der Lieferant ist der deutschen Hersteller Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF), der das System in Zusammenarbeit mit Tesla entwickelt hat.

48Volt-Bordsystem

Tesla hat im Cybertruck eine 48-Volt-Batterie verbaut und sich damit von der traditionellen 12-Volt-Bordspannung verabschiedet. In der Automobilindustrie wurde wiederholt der Umstieg auf eine höhere Spannung diskutiert, jedoch letztlich nie umgesetzt.

Dabei sind die Vorteile bekannt, es kann mehr Energie übertragen werden durch gleichzeitig dünnere Kabel, was eine erheblichen Material- und Gewichtseinsparung zur Folge hat sowie zu geringeren Wärmeverlusten.

Frühe Autos mit Verbrennungsmotor hatten keinerlei Elektrik an Bord, die Fahrzeuge wurden mit einer Handkurbel gestartet. Das änderte sich mit der Erfindung des Anlassers durch Charles Kettering, die zum Durchbruch des Verbrennungsmotors führte. Seit den 1950er Jahren verfügen Fahrzeuge über ein einheitliches Bordnetz mit einer Niederspannung von 12V.

Auch bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen, die über Hochspannungs-Antriebsbatterien verfügen, wird stets eine 12-Volt-Batterie verbaut, welche elektrische Funktionen wie Fensterheber, Scheinwerfer und Entertainment-Systeme versorgt.

Seitdem hat es die Branche, von einzelnen Versuchen abgesehen, nicht geschafft, den 12-Volt-Technologiepfad zu verlassen. In den 1990er Jahren scheiterte der Versuch einer branchenübergreifenden Normungsgruppe, ein 42-Volt-Bordnetz zu spezifizieren, das Projekt wurde aufgegeben.

Tesla geht nun diesen Schritt beim Cybertruck. Der Experte für Innovation in der Autoindustrie, Sandy Munro, prognostiziert, dass Teslas Umstellung auf 48 Volt Schule machen wird: „Dies ist wahrscheinlich das, was Sie in der ganz neuen Zukunft in jedem Auto sehen werden“, ist er überzeugt.

Um die Einführung einer 48-V-Systemspannung für Automobilkomponenten durch andere Automobilhersteller zu beschleunigen, hat Tesla im Dezember 2023 allen Branchenführern ein "Whitepaper zum 48-Volt-Bordnetz“ angeboten und Einblick in seine Spezifikationen erlaubt.

Ethernet ersetzt den CAN-Bus

Bei Kraftfahrzeugen hat sich der CAN-Bus (Controller Area Network) für den seriellen Datenaustausch zwischen Steuergeräten als Standard etabliert. Er erlaubt den Datenaustausch zwischen Komponenten in Fahrzeugen und Maschinen, ohne dass ein Zentralcomputer nötig wäre.

Der CAN-Bus verwendet Multiplexing, also die Zusammenführung mehrerer Signale bei der Übertragung, was die Komplexität und Kosten der elektrischen Verkabelung reduziert. Der CAN-Bus wurde Anfang der 1980er-Jahre bei Bosch entwickelt und entwickelte sich rasch zum internationalen Industriestandard.

Der CAN-Bus ist in die Jahre gekommen, jetzt unternimmt Tesla den Versuch, ihn abzulösen: Im Cybertruck wird eine sogenannte Etherloop-Technologie verwendet.

EtherLoop ist eine Hybridtechnologie, die Aspekte von Ethernet – ein in lokalen Computernetzwerken gebräuchlichen Standard für kabelgebundene Datenübertragung – mit anderen Technologien kombiniert. Das System basiert auf dem Gigabit-Ethernet-Standard kombiniert mit einem proprietären Netzwerkprotokoll.

Es verbessert die Kommunikationsgeschwindigkeit und erhöht den Datenfluss mit einer Latenz im Millisekunden-Bereich. Das System wird im Fahrzeug für alle Kraftfahrzeug-Subsysteme verwendet, einschließlich Steer-by-Wire, Motorsteuerungen sowie alle Fahrzeug-Controller (Cybertruck Etherloop wiring system).

Die Autoindustrie sieht alt aus

Tesla führt eine Technologie, die aus Computernetzwerken kommt, im Auto ein. Tesla entscheidet sich für eine Batteriespannung fürs Bordsystem, die sich an physikalisch-technischen Überlegungen leiten lässt, und nicht an etablierten Branchentraditionen festhält.

Tesla traut sich als erster Autohersteller, ein konsequent digitales Lenkrad in seine Fahrzeuge einzubauen, und auch hier aus anderen Branchen Anleihen zu nehmen. Bis heute scheint Tesla den Geist der ständigen Verbesserung aufrechtzuerhalten, Industriestandards infrage zu stellen und der Philosophie der "first principles" zu folgen.

Dieses Prinzip besteht darin, nur die Gesetze der Physik als gegeben zu akzeptieren, nicht jedoch tradierte "Best Practices" in der Industrie.

Teslas Führungsrolle erweist sich so nicht nur bei der Elektromobilität, auch im Fahrzeugbau und der Konzeption der Fahrzeuge selbst als in erster Linie digitale Geräte. Anscheinend kann am ehesten ein ehemaliges Silicon-Valley-Start-up auch in der Autoindustrie einen steten Strom an Innovationen vorantreiben.

Die Autoindustrie mit ihren Dieselmotoren, CAN-Bussen und manueller Lenkung sieht dagegen alt aus.

Auch marktstrategisch ging Teslas Kalkül bislang auf: Ein Segment nach dem anderen – Sportwagen, Luxuslimousinen, Mittelklassewagen, Mittelklasse-SUVs – bediente es mit einer elektrischen Variante. Im November 2022 überholte das Tesla Model Y den Volkswagen Golf als meistverkauftes Auto in Europa.

Und jetzt folgt eben der Versuch, für das in den USA so dominante Truck-Segment eine batterieelektrische Option zu etablieren. Vielleicht gelingt es via Cybertruck sogar, der Trump-Community die Elektromobilität schmackhaft zu machen.

Ein weiteres Beispiel für diese Innovationsdynamik ist Teslas neues Produktionsmethode "Unboxing“, die nichts weniger als die von Ford in die Autoherstellung eingeführte Fließbandproduktion zu überwinden trachtet.