Nord-Stream-Ermittlungen führen zu Eklat zwischen Polen und Deutschland
Nord-Stream-Anschlag: Polen und Deutschland streiten. Warschau greift Berlin scharf an. Warum weigerte sich Polen, einen Verdächtigen festzunehmen?
Die jüngsten Enthüllungen über den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline haben zu einem Eklat zwischen Polen und Deutschland geführt. Auslöser waren Berichte, wonach eine Gruppe aus der Ukraine für den Anschlag verantwortlich war und Polen als logistische Basis genutzt haben soll.
Polens Regierung steht geschlossen hinter scharfer Kritik an Deutschland
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk griff Deutschland am Samstag scharf an. In einem Beitrag auf der Plattform X, ehemals Twitter, schrieb er: "An alle Initiatoren und Förderer von Nord Stream 1 und 2, das Einzige, was Sie heute tun sollten, ist sich zu entschuldigen und zu schweigen.
Dass dies keine Einzelmeinung in der polnischen Regierung ist, machte Jacek Siewiera, Leiter des polnischen Büros für Nationale Sicherheit, deutlich. Er bezeichnete Tusks Erklärung als Ausdruck eines "felsenfesten Konsenses" in Polen, schreibt das Wall Street Journal (WSJ).
Deutsche Offizielle zeigten sich demnach überrascht von dem Kommentar, beschlossen aber, nicht zu reagieren, um die Beziehungen zu Polen nicht weiter zu belasten. "Wladimir Putin ist unser gemeinsamer Feind, und wir täten alle gut daran, uns daran zu erinnern", sagte ein deutscher Minister laut WSJ.
Polen verweigert Festnahme von Verdächtigem trotz europäischen Haftbefehls
Konkret entzündete sich der Streit an der Weigerung Polens, einen Verdächtigen festzunehmen, gegen den die deutschen Behörden im Juni einen Haftbefehl erlassen hatten. Die polnischen Behörden reagierten nicht auf den Haftbefehl, woraufhin der Verdächtige am 6. Juli in die Ukraine floh.
Die polnische Staatsanwaltschaft begründete die Nichtfestnahme mit einem angeblichen Fehler der deutschen Behörden bei der Beantragung des Haftbefehls. Diese wiesen den Vorwurf zurück. Polen erklärte daraufhin, der Inlandsgeheimdienst ABW müsse den Fall erst prüfen.
Deutsche Ermittler und Politiker vermuten, dass Polen die Ermittlungen bewusst behindert. Bereits im vergangenen Jahr hatten die polnischen Behörden die Herausgabe von Videoaufnahmen und Handydaten im Zusammenhang mit der verdächtigen Jacht verweigert.
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Bei einem Treffen beider Regierungen Anfang Juli in Warschau forderten deutsche Minister ihre polnischen Kollegen auf, für die Vollstreckung des Haftbefehls zu sorgen. Die Polen lehnten ab. Ein hochrangiger polnischer Beamter soll sogar gesagt haben, mögliche Verdächtige sollten "Orden bekommen, statt verhaftet zu werden".
Auch EU-Kommission förderte Nord-Stream-Projekt jahrelang
Tusks Schelte trifft nicht nur Deutschland, sondern auch die EU-Kommission in Brüssel. Im Jahr 2000 hatte die EU-Kommission das Projekt in ihre Richtlinie für Transeuropäische Energienetze (TEN-E) aufgenommen. Im Jahr 2006 bestätigte sie erneut, dass die Nord-Stream-Pipeline gefördert werden soll, um eine diversifizierte, schockresistente, grenzüberschreitende und vernetzte Energieinfrastruktur für alle europäischen Länder zu schaffen.
Im Jahr 2000 war Polen noch nicht Mitglied der Europäischen Union, verarmt und von Transitgebühren abhängig. Die Regierung in Warschau sah in der Ostseepipeline deshalb eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Gleichzeitig sah sie mit dem Projekt den eigenen geopolitischen Spielraum schwinden, der durch den Status als Transitland gegeben war.
Ausschlaggebend für den Bau der Nord Stream war jedoch die Ukraine, die sich als unsicheres Transitland erwies. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erhielt Kiew viele Jahre lang Erdgas zu besonders günstigen Konditionen. Als 2004 eine prowestliche Regierung an die Macht kam, wollte Russland die Preisbildung am Markt ausrichten.
Kiew weigerte sich damals, die neuen Bedingungen zu akzeptieren. Die Differenzen führten schließlich dazu, dass Russland seine Lieferungen an die Ukraine einstellte, was auch in Europa zu Lieferengpässen führte. Die ukrainische Regierung wurde daraufhin beschuldigt, für Europa bestimmtes Gas für den Eigenbedarf abzuzweigen.